Das Problem: Allein in Deutschland produzieren wir 14 Millionen Tonnen Plastik-Verpackungen pro Jahr, die teils in Hunderten von Jahren noch nicht verrottet sein werden.
Die Lösung: Kompostierbare Verpackungen aus Zucker. Das funktioniert – nur die deutsche Bürokratie macht nicht mit.
Die Haferflockenpackung, das Schälchen mit Frikadellen, die Tüten mit Linsen und Kichererbsen – das alles sieht in der Supermarktkette Ekoplaza in Holland auch nicht viel anders aus als in jedem anderen Laden. Man muss genau hinsehen (oder dran riechen), dann fallen Unterschiede auf. Der kleine, aufgedruckte Keimling bedeutet: Die Packung darf in den Biomüll. Die Verpackung ist nämlich nicht aus normalem Plastik, sondern kompostierbar. Sie ist zu 100 Prozent aus Zucker und Milchsäure gemacht. Bei Ekoplaza gibt es ganze Regalgänge, die komplett plastikfrei sind.
Klar, es gibt kaum etwas Besseres als Plastik: billig, vielseitig verwendbar und hält ewig. Deshalb produzieren wir Menschen mehr als 250 Millionen Tonnen davon im Jahr und haben nun ein gigantisches Problem. Denn Plastik ist überall: auf dem Boden der tiefsten Weltmeere, in unseren Müllgruben, an Straßenrändern, in unseren Körpern. Dass wir mit Plastik nicht so verschwenderisch umgehen können wie bisher, ist wohl jedem klar. Aber wie ginge es besser?
Patrick Gerritsen, der Geschäftsführer der deutsch-holländischen Firma Bio4Pack, beschäftigt sich seit 18 Jahren mit Bioverpackungen. Die Bio-Schälchen für die Frikadellen produziert er schon lange, die dünnen, transparenten Folien, die reißfest und undurchlässig sein müssen, stellen eine viel größere Herausforderung dar. Dafür nimmt er Zuckerrohr als Basis und Zellulose vom Holz. »Die Schale kann fast jeder machen, die Siegelfolie ist ein Problem, weil sie dünn, durchsichtig und kompostierbar sein, aber trotzdem fest versiegeln muss.«
Vereinfacht ausgedrückt mischt er Zucker, also Dextrose, mit Milchsäure, die dafür sorgt, dass das Material haltbar wird. Durch Fermentation und Polymerisation bekommt er den Rohstoff, den er in verschiedene Formen pressen kann. Dann tüftelte er mit einem Team verschiedener Entwickler noch eine Weile an der Farbe für die grasgrünen Schalen: Die Naturpigmente dürfen bestimmte Schwermetallgrenzen nicht überschreiten, um noch als Bioabfall zu gelten.
Aber nun, da er die Formel raus hat, ist die Produktion ihm zufolge ganz einfach: Er nutzt bei Bio4Pack die gleichen Maschinen wie für konventionelle Plastikprodukte, füttert sie allerdings mit anderem Rohmaterial. An einen Tag werden dort Verpackungen aus Petroleum-Plastik hergestellt, am nächsten Tag aus Zucker. »80 Prozent unserer Verpackungen können wir auf Bio umstellen«, schätzt Gerritsen. Nur mit Vakuumverpackungen kämpft er noch, und bei Nahrungsmitteln, die heiß abgefüllt werden, kommt die Technik noch nicht mit: Das Bioplastik schmilzt oder verformt sich bei 45 Grad.
Man kann durchaus kritisieren, dass ein Nahrungsmittel verwendet wird, um diese Art von Bioplastik zu produzieren. Gerritsen gibt den Kritikern Recht, wendet aber ein: »Wir holen den Zucker aus der Maisstärke, das ist eigentlich Tierfutter und für Menschen nicht genießbar. Davon nehmen wir 35 Prozent raus, der Rest geht zurück ins Tierfutter.« Und für die Folien aus Zuckerrohr? »Zuckerrohr ist ein essbares Produkt, wächst aber sehr schnell. Für Bioplastik werden europaweit genau 0,0002 Prozent der Ackerfläche eingesetzt.«
Das Problem beim Bioplastik: Der Begriff ist nicht klar definiert
Biokunststoffe aus organischem Material wie Zucker, Stärke oder Zellulose schienen mal die Lösung für alle Plastikprobleme und sind ein heiß umkämpfter Markt, mit zweistelligen Wachstumsraten auf der ganzen Welt. Aber dann stellte sich schnell heraus, dass vieles nur Greenwashing ist – für die Herstellung braucht man viel Chemie, Unmengen Wasser oder muss die natürlichen Stoffe mit Weichmachern gefügig machen. Das ist nämlich das Problem beim Bioplastik: Der Begriff ist nicht klar definiert. So gut viele Ideen sind – nicht alles, wo Bio draufsteht, ist auch verträglich für die Umwelt, und Bioplastik heißt nicht automatisch, dass es biologisch abbaubar ist.
Bei Gerritsen ist das Ergebnis kompostierbar und verursacht in der Herstellung etwa die Hälfte weniger CO2 als Petroleumplastik. Einfach auf den Komposthaufen im Garten werfen könnte man Gerritsens Bioplastik zwar nicht, in industriellen Kompostieranlagen werden aber durchaus die entsprechenden Temperaturen erreicht, bei denen sich das Bioplastik zersetzt. »Irgendwo muss man ja anfangen«, sagt Gerritsen. »Wenn die Flugzeugbauer gewartet hätten, bis perfekte Flughäfen da sind, wäre nie ein Flugzeug gestartet.«
So weit, so gut. Die eigentlichen Tücken liegen hier woanders: Gerritsens Firma hat ihren Sitz im deutschen Nordhorn, aber die Verpackungen gehen nur an Supermärkte in Holland. Ekoplaza versucht, aus jeder Produktreihe mindestens ein Produkt ökologisch zu verpacken. 350 Produkte in Zuckerverpackung gibt es schon, in 74 Filialen. Ekoplaza zahlt die Extrakosten. Unter Gerritsens holländischen Abnehmern sind sogar große Ketten wie Aldi Süd oder Lidl, die Filialen in vielen deutschen Städten haben. Aber in deutschen Supermärkten? Fehlanzeige.
Der Grund: Die deutsche Verpackungsverordnung lässt Bioplastik nicht in die Biotonne. »Kompostanlagen werden nach Quantität bezahlt, nicht nach Qualität«, kritisiert Gerritsen. »Das komplette Kompostierungsprogramm ist falsch.« Das Kompostieren von Bioplastik dauert etwa zwölf Wochen und damit fast doppelt so lang wie bei anderem organischen Abfall. Da könne er die deutschen Kompostierer schon verstehen, »die sagen: die Zeit haben wir nicht. Die Kompostierer haben auch Angst, dass sich herkömmliches Plastik mit reinmischt, weil es optisch nicht zu unterscheiden ist.« Die Holländer dagegen kompostieren ohnehin länger. »Die Leute müssen wissen, dass Recycling und Kompostierung im Augenblick in Deutschland nicht funktionieren. Die Recycling-Industrie ist ein Witz. Maximal 20 Prozent aus dem gelben Sack wird recycelt, europaweit. Der Rest kommt in die Müllverbrennung.«
Die Deutschen halten sich zwar für Recycling-Weltmeister, tatsächlich liegt die realistische Recyclingquote in Deutschland bei etwa 30 bis 40 Prozent. Gerritsen hofft auf die neue deutsche Verpackungsverordnung, die sich am 1. Januar 2019 ändern wird und eine mindestens doppelt so hohe Recyclingquote anstrebt. »Dann werden auch biobasierte Produkte belohnt. Da denke ich, dass in Deutschland einiges passieren wird.«
Er kritisiert aber auch grundsätzlich: »Leider hat jedes Land seine eigene Regulierung und auch ein eigenes Preisniveau. In Deutschland liegen die Preise für Produkte im Keller.« Die Schalen, die er aus Reis herstellt, sind fast so billig wie Plastik, aber die Verpackung aus Zucker ist etwa drei Mal teurer. »Wenn man das durchrechnet, sind das etwa drei bis vier Cent pro Verpackung.« Kaum vorstellbar, dass man nicht etliche Konsumenten finden würde, die zu dieser Zusatzausgabe bereit wären. Dass das Plastik dann nicht im Meer landet, ist ohnehin unbezahlbar.