Die Feuer-Impfung

Was kann man gegen Waldbrände tun, wie sie gerade wieder Kalifornien verheeren? Ein US-Professor hat ein ebenso einfaches wie geniales Brandschutzmittel erfunden.

Ein Feuer nahe der Ortschaft Geyserville in Nordkalifornien, Ende Oktober diesen Jahres. Viele Brände brechen in unmittelbarer Nähe von Straßen aus, deren Randstreifen gelten als Risikogebiet.

Foto: dpa

Das Problem: Allein in Kalifornien brennen derzeit Dutzende von Feuern. Durch den Klimawandel wüten Waldbrände immer verheerender.
Die Lösung: Ein neues Gel kann Natur gegen Waldbrände »impfen«.

Eigentlich ist Eric Appel, 35, an der Stanford Universität in Palo Alto für ein faszinierendes Projekt zuständig: Der Chemiker entwickelt ein langfristig wirkendes Gel, mit dem der menschliche Körper Medikamente besser aufnehmen kann. Als Beispiel nennt er Antikörper für eine Immuntherapie, die mit einem injizierbaren Gel ein knappes Jahr lang im Körper bleiben könnten, um etwa HIV-Kranke widerstandsfähiger gegen Infektionen zu machen. »Wir sind damit schon ziemlich weit«, sagt der schlaksige Mann mit der Nerd-Brille und dem rotkarierten Holzfällerhemd und lacht etwas verlegen, »aber noch nicht so weit, dass wir es einsetzen könnten.«

Dieses Forschungsvorhaben führte ihn aber zu einer anderen Entdeckung, die bereits eingesetzt wird und gegen die vielerorts dramatischen Waldbrände helfen könnte, die durch die Klimaerhitzung immer verheerender werden. Appels Schwager Jesse Acosta, Feuerschutz-Experte im kalifornischen San Luis Obispo, brachte ihn auf die entscheidende Idee: »Könntest du so ein Gel nicht zur Brandbekämpfung entwickeln?«, fragte er.

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Appel sagt, bei ihm sei sofort »der Groschen gefallen, denn bisher passiert Feuerbekämpfung nur als Reaktion, wenn’s schon brennt«. Auch diesen Herbst stehen wieder Dutzende von Landstrichen in Kalifornien in Flammen, Millionen von Amerikanern wurde wegen der Feuergefahr die Stromzufuhr abgeschaltet, und selbst das berühmte Getty-Museum in Los Angeles ist von Flammen bedroht. »Waldbrände verwüsten jedes Jahr rund vier Millionen Hektar Land in den Vereinigten Staaten«, weiß Appel. »Allein die Feuerbekämpfung kostet den Staat zwei Milliarden Dollar im Jahr, da sind die Verluste an Menschenleben und die Schäden an Häusern und Landschaft noch gar nicht mit eingerechnet.« Die Klimaerwärmung bescherte Kalifornien im letzten Jahr die tödlichsten Brände seiner Geschichte.

»Man muss nicht riesige Flächen besprühen, sondern vielleicht die zwei Meter Straßenrand, die am meisten gefährdet sind«

Seit diesem Oktober produziert Appels Startup Ladera Tech ein leicht milchig wirkendes Gel, mit dem sich die Natur gegen Waldbrände »impfen« lässt, wie Appel sagt. Die Idee ist simpel: »Die meisten Menschen denken, Feuer brechen völlig unvorhersehbar aus«, hat Appel recherchiert, »aber jeder Feuerwehrhauptmann kann dir auf Anhieb die zwei, drei Stellen in seinem Gebiet sagen, die ihm am meisten Sorgen machen.« Tatsächlich beginnen 84 Prozent der Feuer in Kalifornien am Straßenrand oder in unmittelbarer Nähe von Stromtransformatoren. Appel entwickelte ein umweltfreundliches Hydrogel, das sich, vermischt mit Flammschutzmittel, auf die am meisten gefährdeten Stellen sprühen lässt, also etwa auf die knochentrockenen Gräser, bei denen derzeit ein Funke reicht, etwa von einer achtlos weggeworfenen Zigarette, um einen Flächenbrand auszulösen. »Man muss nicht riesige Flächen besprühen, sondern vielleicht die zwei Meter Straßenrand, die am meisten gefährdet sind.« Das Besondere ist, dass das Gel eine ganze Feuersaison übersteht: »Man sprüht es im Sommer, muss sich nicht weiter darum kümmern, und im trockenen Herbst funktioniert es dann als Vorsorge.« Das Gel übersteht laut der Tests sogar einen Zentimeter Regen, und wenn es stärker regnet, wird es ohnehin nicht gebraucht.

Zwei Jahre lang hat Appel das Gel weiterentwickelt. Es besteht im wesentlich aus Silica und Zellulose, wird natürlich abgebaut und soll Bäume und andere Pflanzen nicht beeinträchtigen. »Wenn man ein injizierbares Gel für Menschen entwirft, ist das wichtigste, dass es komplett ungiftig und biologisch abbaubar ist; ähnliche Kriterien gelten für die Vegetation.« Seit diesem Oktober wird das Mittel erstmals von der Feuerwehr als Prophylaxe eingesetzt. »Es war wichtig, dass es sich mit der normalen Feuerwehrausrüstung versprühen lässt, denn man kann nicht erwarten, dass alle für teures Geld neue Maschinen anschaffen.«

Es gibt bereits ähnliche Gels auf dem Markt, die beispielsweise zur Schnellhilfe bei näherkommenden Waldbränden dienen. Auch Stuntmänner und -frauen benutzen feuerresistente Gels, wenn sie durch Flammen rennen, aber diese Gels haben fast alle die gleichen Nachteile: Sie wirken nur, solange sie nass sind, und werden nutzlos, wenn sie nach einigen Stunden trocknen und verhärten. Und sie sind schädlich für Pflanzen.

Appels Hydrogel wird zum Beispiel mit Ammoniumphosphat vermischt, das von den Umweltbehörden seit langem zugelassen ist und das die Feuerwehr seit vielen Jahren als Flammschutz einsetzt; gleichzeitig verwenden es Bauern als Dünger. Es legt sich wie ein klebriger Film über Gräser und Blätter. Auch seltene Pflanzen oder die Habitats geschützter Tiere lassen sich damit schützen, konkret wird es zum Beispiel derzeit genutzt, um ein Brutgebiet von Reihern vor einem Brand zu bewahren. Die Feuerwehren, die das neue Gel bisher ausprobierten, sehen es als Chance. »Das Gel schafft eine Art Schutzhülle um die Vegetation, und die brennt dann nicht«, sagt Alan Peters, der Chef von CalFire in San Luis Obispo, der die Tests in der Praxis begleitet hat. »Es gibt bisher nichts Vergleichbares. Wir sprühen es seit einigen Wochen auf Straßenränder und um bestimmte Gebäude.« Würde man nur die Flammschutzmittel allein versprühen, verflöge ihre Wirkung nach wenigen Stunden.

In diesem Jahr hat Appel mit seinem Startup erst einige Tausend Liter produziert – zu wenig, um das Gel vor der Feuersaison in großen Mengen auszuliefern. Er hofft, dass es im nächsten Jahr großflächig eingesetzt wird. »Als Prophylaxe hat es das Potenzial, die Leben und Häuser von Millionen Menschen in feuergefährdeten Gegenden zu schützen.«