Ein Fall für die Couch

Immer wieder gibt es Paare, die sich für eine Hausgeburt entscheiden. In ihrer Ausbildung war unsere Kolumnistin bei einer dabei. Was sie unter anderem davon noch weiß: Der Mann schnippelte währenddessen Gemüse.

Illustration: Cynthia Kittler

Letzte Woche, nach einer heftigen Nachtschicht mit fünf Geburten steuerte ich mal wieder wie ein Zombie nach Hause, und während ich in der Straßenbahn noch sicher war, nie, aber auch niemals so müde gewesen zu sein, lag ich eine halbe Stunde später im Bett und war – bling – hellwach. Die Dämonen marschierten auf, sie trugen Schilder mit Aufschriften wie »Steuererklärung 2016«. Ich nahm mein Tablet zur Hand.

Zeit für meine Lieblingsgeburten im Internet. Viele Hebammen, die ich kenne, fahren auf diese Videos ab, wahrscheinlich weil sie eine gewisse Neugierde befriedigen (»Ach, so machen die das in anderen Ländern«), zur Manöver-Kritik einladen (»Warum jetzt diese Geburtsposition?«) und, ja, wahrscheinlich auch, weil hebammengeleitete Geburten – die meisten der Youtube-Clips finden sich unter dem Stichwort »Homebirth«, also Hausgeburten – für uns einfach faszinierend sind. Schon komisch, dass ich selbst nach Feierabend Frauen freiwillig zwischen die verschwitzten Beine schaue... Andererseits: Polizisten schauen in ihrer Freizeit ja bestimmt auch Krimis.

Ich selbst darf übrigens keine Hausgeburten betreuen, dafür bin ich nicht versichert. Aber in meiner Ausbildung war ich öfter bei Hausgeburten dabei, und eine davon war tatsächlich sehr besonders. Und auch, wenn ich die geballte Technik-Power einer Uni-Klinik schätze, hat mir dieses Erlebnis vor Augen geführt, warum es immer wieder Paare gibt, die sich für eine Geburt in den eigenen vier Wänden entscheiden.

Meistgelesen diese Woche:

Es war Sommer und ich war im Externat, einem in der Ausbildung vorgeschriebenen Praktikum, mit einer Hausgeburtshebamme im tiefsten Bayern unterwegs. Nachdem Frau W. schon zwei Kinder in der Klinik zur Welt gebracht hatte, wünschte sie sich beim dritten Kind eine Hausgeburt.

Unsere Betreuung war intensiv, schon im Vorfeld besuchten wir sie immer wieder zur Schwangerenvorsorge, wir klärten sie über Ablauf und Risiken auf, und einmal fuhren wir nur hin, um den mobilen aufblasbaren Geburtspool, eine Art überdimensioniertes Planschbecken, vorbeizubringen, in dem sie während der Geburt sitzen würde. Je näher es auf den Geburtstermin zuging, desto aufgeregter wurde ich. Ich schlief unruhig, und selbst eine Runde im See traute ich mich nicht zu schwimmen, weil ja jederzeit der Piepser losgehen konnte. An einem sonnigen Nachmittag war es dann so weit.

Als ich mit der Hebamme in der Wohnung der beiden eintraf, hatte die Frau schon kräftige Wehen. Mit aufgeblasenen Backen ging sie im Wohnzimmer auf und ab, stützte sich, atmete schwer, während ihr Mann in der offenen Küche Gemüse schnippelte und ihr über die Schulter gut zuredete.

In der Szenerie sprang auch noch das mittlere Kind der beiden herum, ein 3-Jähriger, der schließlich von einer Nachbarin abgeholt wurde. »Ok, jetzt kann ich das Baby bekommen,« sagte die Frau zwischen zwei Wehen erleichtert. Als Hebamme merkt man ja sehr genau, wenn Frauen Kräfte zurückhalten und genau so war es, solange ihr Kind noch mit Bauklötzen auf dem Wohnzimmerteppich Türme baute.

Die Hormone, die unter der Geburt ausgeschüttet werden, sind störanfällige kleine Biester, vor allem das Wehenhormon Oxytocin. Es wird auch beim Orgasmus ausgeschüttet, und das kann man sich ja wirklich vorstellen: Wenn man beim Sex kurz vor dem Höhepunkt ist und plötzlich klingelt es an der Tür, dann war's das erstmal auf absehbare Zeit. Genau so ist es bei Geburten, ich hab es hunderte Male erlebt, dass die Frauen nach der Fahrt im Rettungswagen, bei uns angekommen, plötzlich keine Wehen mehr haben. Oder dass der Oberarzt zur Tür reingepoltert kommt.

Frau W.s Wehen wurden nun stärker und die Abstände kürzer. Ihr Mann hatte inzwischen aufgehört, Gemüse zu schnippeln, er platzierte sich neben mich und die andere Hebamme am Beckenrand. Ab und zu hörte diese die Herztöne mit dem kleinen Fetal-Doppler ab oder tastete den Muttermund. Aber die meiste Zeit saßen wir einfach um die Frau herum, die wie eine Königin in ihrem Becken thronte, und redeten ihr sanft, fast schon feierlich zu. Kein Putzdienst, kein Türklopfen, kein Piepser störten uns.

Irgendwann glitt das Baby einfach ins Wasser.

Wenig später lag die Mutter eingekuschelt auf dem Sofa, und ich machte zusammen mit der anderen Hebamme die U1, also die erste Untersuchung des Babys. Alles war sehr unspektakulär. Genau das, dieses Als-wäre-nichts-gewesen machte es zu etwas so Außergewöhnlichem.

In der Zwischenzeit hatte der Mann den Tisch gedeckt und Abendessen für alle gerichtet. Als wir aßen, stillte die Frau nebenan auf der Couch. Der 3-Jährige kam von der Nachbarin zurück, »Ah Baby da«, sagte er und lief neugierig auf seine kleine Schwester zu.

Dann halfen wir der Frau noch beim Duschen, räumten unsere Sachen zusammen.
Als wir gingen, lag die Familie zusammen im Ehebett. Das Baby in der Mitte, der Junge und seine Eltern drum herum. Es war nicht Weihnachten, aber alles an dieser Szene war stille Nacht, heilige Nacht.

Wir schlichen aus der Wohnung. Denn anders als sonst im Krankenhaus waren wir heute die Gäste gewesen.