Als Frau W.s Plazenta herauswobbelte, dachte ich: »Das ist mal ein prächtiges Exemplar!« Symmetrisch-rund, ein perfektes, Frühstücksteller-großes Omelett. Nur halt dunkelrot wie ein abgehangener Rinderbraten statt dottergelb. Die Oberfläche war, wie es sich gehört, auf der einen Seite blutrot-glänzend auf der anderen glasig-schimmernd, das kam von den Eihäuten, jenem doppelwandigen Ballon, der neun Monate lang die Wohnung für dieses Baby war. Bis zwangsgeräumt wurde.
Hey, hallo, bitte mal hersehen: die Plazenta ist daaaaa! Doch die Aufmerksamkeit der Eltern galt ein Stockwerk weiter oben ungebrochen ihrem Kind, einem gelockten Jungen, der zugegeben auch nicht ganz schlecht geraten war. »Da bist du ja endlich, na duuuuu. Wir haben uns so auf dich gefreut!« sagte die Mama tief ergriffen unter Tränen, der Mann schniefte auch, strich erst ihr und dann dem Baby über die verklebten Löckchen. Ich huldigte währenddessen diesem perfekten Stück Biologie, das da zwischen den Beinen der Frauen auf dem Bett lag und inspizierte die Plazenta noch mal genau: Die Adern darin schimmerten wie das Astwerk einer majestätischen Eiche. In exakt drei Gefäßen liefen sie zusammen und bildeten als verschlungenes Band, das aus der Plazenta erwächst, die Nabelschnur.
Wie wohl die meisten Hebammen habe ich einen kleinen Plazenta-Fetisch. Ich liebe dieses Wunder-Meta-Über-Organ, das für das Baby Aufgaben einer Niere, Leber, Lunge und eines Herzens übernimmt. Unser Körper ist ja nicht sonderlich gut darin, Organe aus sich selbst heraus zu produzieren oder zu reparieren. Doch dieses Multi-Funktionstool, das fest an der Gebärmutter-Innenwand klebt, wird für jede Schwangerschaft neu erzeugt. Und danach entsorgt. Muss man sich mal vorstellen. Irre!
Ich war mit meiner Analyse fertig, da waren keine Ausbuchtungen, Nebeninseln, fehlenden Teile, der Nabelschnuransatz lag auch nicht auf den Eihäuten (dieser Sonderfall heißt »insertio velamentosa« und hätte in der Geburt zu schweren Komplikationen führen können). Nun war es an der Zeit, die Nabelschnur zu durchtrennen, traditionell ja Aufgabe des frischgebackenen Vaters, auch wenn ich manchmal denke, das sollten gerade wegen der Symbolik die Frauen selbst machen; sie sollten die körperliche Verbindung zwischen sich und dem Baby lösen.
Noch immer ganz benommen vor Glück drückte Herr W. feierlich die Schere zusammen, war aber wie die meisten erstaunt, wie schwer er sich tat: Ja, die feste Eihautwand und die Wharton-Sulze, jener transparente Glibber, der wie ein Isolierkabel die Nabelschnur umgibt, haben es in sich (ein cleveres Feature des Körpers, denn so kann die Blutversorgung fürs Baby nicht so leicht abgequetscht werden).
Herr W. fasste noch mal nach, durchschnitt die Stelle – und war selig. Jetzt geht's los, das Leben dieses jungen Menschen, mit dem man, obwohl man ihn trennt, für immer verbunden bleibt. Gut gefällt mir ja der Brauch einiger indianischer Völker, die Nabelschnur zu trocknen, aufzurollen und in einer kleinen Metall-Dose dem Kind als Amulett zu geben. Als Erinnerung daran, dass es für immer mit seiner Mutter verbunden sein wird.
Zurück zu den W.s, deren Geburt erst jetzt, etwa 30 Minuten, nachdem der kleine Lockenkopf geschlüpft war, abgeschlossen war: in dem Moment, als die Plazenta sich vollständig durch das Zusammenziehen der Gebärmutter gelöst hatte und vollständig herausgekommen war. Viele wissen nicht, dass die Plazentaphase zu den heikelsten Minuten einer Geburt zählt. Löst sich der Mutterkuchen gar nicht oder nur teilweise oder kontrahiert sich die Gebärmutter nach dem Herausgeben der Plazenta nicht richtig, können die Frauen verbluten.
Deshalb gratulieren wir Geburtshelfer zum Kind immer erst, wenn die Plazenta da ist. Nachdem die anfängliche Überwältigung angesichts des Kindes ein klein wenig nachgelassen hat, war meine Chance gekommen: »Wollen Sie nicht doch mal diese wunderschöne Plazenta betrachten – so was sehen Sie nicht oft in Ihrem Leben!» Also gut, sagte Frau W. und fasste sich ein Herz. Das habe ich schon oft beobachtet: Ist die Anspannung erstmal abgefallen, haben viele Paare plötzlich Sinn für die Faszination dieses Stück Zauberfleischs. Ich erklärte, es sei nicht nur Versorgungsstation für das Baby gewesen, sondern auch das erste Spielzeug: wie ein Kissen, an das es sich kuscheln konnte.
»Wollen Sie die Plazenta mit nach Hause nehmen?« Ich frage das immer, und die Reaktionen sind genau so wie bei den W.s: Der Mann sah mich wie das Mesut-Özil-Emoji mit aufgerissenen Augen an. Die Frau rief: »Ihhh! Machen das wohl Manche???« Ich sagte: »Na klar!« Und erzählte, dass manche die Plazenta in der Erde vergraben und einen Baum für das Baby darauf pflanzen. Andere wollen sie einfach noch ein bisschen bei sich haben. Ich habe schon von Kunst-Abdrücken gehört, die manche Frauen erstellen ließen. Von globuli-artigen homöopathischen Mitteln, die manche daraus fertigten. Und es kommt auch immer mal wieder vor, dass Frauen ankündigen, sie zuhause essen zu wollen. Eine Mutter, die von meiner Kollegin betreut wurde, wollte direkt nach der Geburt ein Stück probieren. »Bitte was?« Frau W. kriegte sich fast nicht mehr ein.
Sie habe es schon unter der Geburt angekündigt, erzählte ich, und als die Plazenta schließlich vor ihr gelegen ist, habe sie mit Daumen und Zeigefinger ein kleines Stück daraus abgebrochen und in den Mund geschoben. Ich weiß leider nicht mehr, was meine Kollegin über den Geschmack erfahren hatte. Aber ich persönlich stelle mir Plazenta geschmacklich vor wie Regelblut riecht: metallisch. Konsistenz: Semmelknödel.
Es war klar, die W.s waren jetzt eher nicht der Typ für Kaffeekränzchen und Mutterkuchen, aber es überraschte mich dann doch, als ich sie zwei Tage später mit einer Plastiktüte nach Hause gehen sah. »Die Idee mit dem Baum finden wir gut!«, sagten sie fröhlich. »Ihre Kollegin hat uns eine Tupperschüssel überlassen, die in der Teeküche liegengeblieben war.« Herr W. hielt die Tüte hoch. Ich winkte zufrieden zum Abschied.
Illustration: Cynthia Kittler