Ciao, Baby!

Ein Jahr »Wehenschreiben« geht zu Ende, die Kolumnistin blickt zurück: auf die schönsten Leserkommentare, ihre liebsten Folgen – und darauf, was passierte, als ein Kollege im Krankenhaus sie plötzlich enttarnt hat.

Illustration: Cynthia Kittler

Die heutige Folge will ich nutzen, um Bilanz zu ziehen: ein Jahr Wehenschreiben geht zu Ende. Ein aufregendes, herzhüpfendes, großartiges Jahr. Alles begann im Winter 2016/2017, als mich – mehr oder weniger per Zufall – das SZ-Magazin kontaktierte. Man gehe mit der Idee schwanger, eine Reihe über den Alltag einer Hebamme zu starten – ob ich mir vorstellen könnte, aus meinem Beruf zu berichten. Tatsächlich hatte ich immer vor, das, was ich Freunden und Bekannten immer auf ihre Fragen erzähle, mal »richtig« in Form und zu Papier (aka Word-Dokument) zu bringen. Ich sagte Ja, die Redaktion taufte das Baby »Wehenschreiberin« und ein Abenteuer begann, von dem ich zunächst dachte, es dauere vielleicht acht Wochen, maximal ein Vierteljahr. Doch die Tatsache, dass die Kolumne von Beginn an gemocht wurde, dass der Kreis der Leser von Woche zu Woche wuchs, ließ mich weiter schreiben und immer weiter.

Nun sind wir, um im Bild der Schwangerschaft zu bleiben, schon weit über Termin und es ist Zeit, aufzuhören. Das wird mein letzter Text sein.

Wie es sich auch mit echten Schwangerschaften verhält, war mein Baby, die Kolumne, lange mein Geheimnis. Denn ich wählte als Autorin einen anderem Namen, vor allem um die Frauen, die ich in der Vergangenheit betreut habe, zu schützen: Sie wussten ja nicht, dass ich von ihnen erzählen wollte und konnten ihr Einverständnis nicht mehr geben. Und ich wollte, dass der Kreißsaal in dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, auch in Zukunft ein intimer Raum ist – so schrieb ich auch in einer Folge –, in dem Frauen sich öffnen können. Das wäre kaum noch möglich gewesen, wenn Schwangere herausgefunden hätten: »Ach, Sie sind die Wehenschreiberin! Na, da muss ich ja aufpassen, dass ich nicht unter der Geburt pupse oder aus Versehen ›Motherfucker‹ schreie!« Und nicht zuletzt sollte das Pseudonym für mich ein Schutz sein: Hätte ich noch normal arbeiten können, wenn bekannt gewesen wäre, wer ich bin?

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Mein Chef gab mir zu Beginn die Erlaubnis, und ich danke ihm sehr dafür. Er ließ mich einfach machen. Dass er derjenige werden würde, der mein Pseudonym immer wieder gefährdete, sollte ich erst später erfahren. Beim Grillfest mit der Abteilung oder bei der Weihnachtsfeier genoss er es, bedeutungsschwanger vor den Kollegen auf die Kolumne anzuspielen. Wahrscheinlich aus Stolz. Ich wurde jedes Mal so rot wie das Baby in einer von Cynthia Kittlers Kolumnen-Illustrationen – und freute mich dennoch.

Einmal wurde ich dann doch enttarnt: Unter Kollegen am Kreißsaal-Desk kam das Gespräch eines Tages auf einzigartige Fälle, die wir auf der Station schon erlebt hatten, jemand erwähnte die Geburt der 13-jährigen Mutter, die ich hier beschrieben habe. Vom anderen Ende des Tisches merkte ein Arzt zwinkernd in meine Richtung an: »Die Wehenschreiberin hat wohl mal einen ähnlichen Fall erlebt.« Mein Herz schlug, als wäre es an die Blue Man Group untervermietet. Kurz darauf stellte ich den Arzt in der Teeküche: »Ich glaub, ich weiß, was du meinst, aber bitte bitte sag nix.« Er umarmte mich und meinte: »Quatsch, ich bin doch Riesen-Fan!« Danke, I., fürs Dichthalten.

Eine andere Freundin schickte mir den Link zur Kolumne und schrieb: »Die Wehenschreiberin erinnert mich so an dich! Die erzählt so schöne Geschichten wie du auch immer.« Ich dachte nur: »Tja, genau genommen sind es die Gleichen.« Und dann gab es noch die Situation beim Oktoberfest, als ich fast aus meinem Dirndl kippte. Ich saß am Tisch mit Freunden und deren Bekannten, man stellte sich vor. »Was machst du beruflich?« – »Ich bin Hebamme« – »Ach, kennst du die Kolumne ›Die Wehenschreiberin‹?« Das passierte öfters in diesem Jahr und ich hatte eine gewisse Routine entwickelt, damit umzugehen, aber diesmal zitierten die Anwesenden wörtlich aus diversen Folgen – das haute mich um vor Freude. Doch nach außen hin konnte ich nur nicken und lächeln.

Bevor ich die Kolumne schrieb, dachte ich immer, es seien die großen, dramatischen Storys, die man bräuchte. Dass nur die es wert seien, erzählt zu werden. Aber ich merkte, es waren oft die kleinen Anekdoten, die andere zum Lachen brachten oder berührten. Wie der Vater, der splitternackt zu seiner Frau in die Wanne stieg. Oder die Frau mit dem Pussy-Tattoo.

Die Rückmeldung war jedenfalls überwältigend: Natürlich habe ich die Kommentare bei Social Media gelesen, und mich über den großen Zuspruch gefreut. Aber ich bekam über die Redaktion auch persönliche Mails: Eine Frau schrieb, die Kolumne habe ihr durch die schwierigste Zeit ihres Lebens geholfen. Eine andere, dass sie lange gezögert habe, selbst Hebamme zu werden, aber die Kolumne habe sie bestätigt – trotz der Schattenseiten des Berufs wie Hebammenmangel und Schichtbetrieb, die ich ja auch geschildert hätte.

Ein Mann schrieb, für ihn sei die Kolumne eine Art Geburtsvorbereitungskurs in Textform gewesen, er schickte ein Babyfoto mit. Lustig fand ich auch den Kommentar unter der Folge über männliche Kollegen: Ein Leser schlug das Wort »Heb-Mannen« für deren Bezeichnung vor – ist bei mir längst in den aktiven Wortschatz übergegangen.

Drei Folgen gab es, die mir thematisch am meisten Herzen lagen. Und das Leserfeedback auf diese berührte mich besonders: Da war der Text über die stille Geburt, unter dem viele Frauen, die ähnliches erlebt hatten, sich ermutigt fühlten, ihre Geschichten zu teilen – auch wenn diese zum Teil dreißig Jahre zurücklagen. Wie bewegend. Außerdem der Text über die Frau, die ohne Partner ein Kind bekam, wo der Protagonistin in den Kommentaren sehr viel Mitgefühl und Verständnis entgegenschlug. (Das Internet ist vielleicht ein viel besserer Ort als wir alle glauben.) Und dann war da noch die Folge über die richtige Wortwahl im Krankenhaus. Das Thema geisterte schon lange in meinem Kopf herum. Aber ich hatte mit mir gerungen, ob ich davon berichten darf, schließlich bin ich ja irgendwie Teil des Systems, ein Insider. Ein Leserkommentar zwei Wochen zuvor gab schließlich den Ausschlag: »Wie denkt Maja Böhler eigentlich über Gewalt in der Geburtshilfe?«, hatte eine Leserin unter eine andere Folge geschrieben und ich hatte sofort gedacht »Ja, ich muss das Thema öffentlich machen und den Betroffenen eine Plattform geben«. Die vielen Kommentare unter dem Text, den ich dann schrieb, in denen Frauen geschildert haben, wie brutal sie ihre Geburt erlebt haben, bestätigten mich, dass wir den Frauen noch mehr Gehör schenken müssen.

Das Jahr mit dieser Kolumne hat, so komisch das klingt, auch meinen Blick auf meinen Beruf verändert. Ja, er ist oft verdammt anstrengend und auch nicht sonderlich gut bezahlt (lesen Sie das, Jens Spahn?), aber allein die Tatsache, dass sich so viele dafür interessieren, mir so begeistert zugehört haben, hat ihn mich wieder aufs Neue schätzen lassen. Ich hoffe, ich konnte in Zeiten des Hebammenmangels ein wenig Aufmerksamkeit auf die Bedeutung meiner Zunft lenken. Eine gute Betreuung vor, während und nach der Geburt ist die beste Prävention für Mutter und Kind – und diese sollte unserer Gesellschaft, allen voran den Krankenkassen, ein Anliegen sein.

Natürlich ist »Maja, die Wehenschreiberin« eine Figur, ich bin weit davon entfernt, eine Heilige zu sein, meine Kollegen wissen das. Ich bin dünnhäutiger und motziger, als es in den Texten den Anschein hat. Und ich bin oft frustriert, weil so viele Dinge in unserem Gesundheitssystem, aber auch konkret in unserem Krankenhaus falsch laufen. Oder besser laufen könnten. Aber die Kolumne brachte mich dazu, drüber nachzudenken, was für ein Mensch ich in diesen Kosmos sein will. Ich kam zum Schluss: einer mit noch mehr Geduld, mit noch mehr Herzblut. Ich will noch mehr Maja sein. Sie hat auch mir gezeigt, wo’s lang geht.

Was Maja jetzt erwartet? Nun, drei Dinge: Sie wird weiterhin nach ihren eigenen Herztönen suchen. Sie wird ihrem Vater, der sie nach der Folge über späte Mutterschaft und Samenspende besorgt anrief, sagen, dass sich das alles schon finden wird. Und sie wird ein Buch schreiben. Es soll im Januar erscheinen. Und bis dahin sind es – lassen Sie mich rechnen – neun Monate.