Jetzt also Ahornsirup. Auf gepanschten Rotwein, gestrecktes Olivenöl, gefälschtes Rindfleisch, verseuchte Shrimps und Analogkäse folgt nun der große Sirup-Schwindel: Die USA und Kanada werden überschwemmt von falschem Ahornsirup. Verdünnt mit billigem Sirup aus Zuckerrohr, irreführend benannt als »echter Sirup mit Ahorngeschmack« oder ganz einfach falsch deklariert. Der Betrug ist ein Anschlag auf das uramerikanische Frühstück: Pfannkuchen mit Ahornsirup.
Echten Ahornsirup herzustellen ist arbeitsintensiv: Ahornbäume müssen angeritzt, der Saft wochenlang in Eimern gesammelt und dann stundenlang bei 104 Grad gekocht werden, bis sein Zuckergehalt exakt zwischen 66 und 67 Prozent liegt. Alles darunter oder darüber ist entweder nicht haltbar oder kristallisiert schnell.
Guter Ahornsirup aus Kanada ist teuer, um die dreißig Euro kann ein Liter kosten, in Blindverkostungen schmecken Experten den Unterschied auch heraus. Der echte Sirup ist so teuer, dass es sich sogar lohnt, falschen übers Internet oder an Autoraststätten zu verkaufen. Oder echten zu stehlen: 3000 Tonnen im Wert von 15 Millionen Euro hat eine achtköpfige Bande letztes Jahr in Quebec über den Sommer hinweg aus einem Lager heimlich abgezapft und mit Wasser ersetzt. Der Name »flüssiges Gold« ist nur leicht übertrieben. Die Bande flog auf; zwei Drittel des gestohlenen Sirups konnten sichergestellt werden.
In Kanada überprüft seit geraumer Zeit ein gesondertes »Einsatzkommando Ahornsirup« der Polizei die Ware, die im Handel ist; außerhalb der Landesgrenzen muss es Fälscherbanden allerdings tatenlos zusehen und dulden, dass falsch etikettierte Billigimitate oder einfacher Tischsirup mit ähnlich aussehenden Etiketten in ähnlichen Flaschen mehr oder weniger legal verkauft werden. Amerikanische Bundestaaten an der Ostküste, die ebenfalls Ahornsirup produzieren, reagieren allmählich auf den Schwindel und wollen die Höchststrafe für das Fälschen und Verbreiten von unechtem Sirup von einem auf fünf Jahre erhöhen.
Unweigerlich fragt man sich: Was geht uns in Europa das amerikanische Frühstück an? Zumindest der Sirup: immer mehr. Deutsche Barkeeper lieben Ahornsirup. Behaupten, er sei verträglicher in Cocktails, weil er nicht raffiniert wird und deshalb nicht so schnell ins Blut gehe und zu Kopf steige wie Zucker. Nun ja. Sie mischen ihn zum Beispiel in den »Whisky Fizz«, so wie Dietmar Petri in der Münchner Bar »Les Fleurs du Mal«. Der deutsche Fernsehkoch Alexander Herrmann glasiert Jakobsmuscheln in einer dicken Sauce aus Ahornsirup. Rindersteaks oder Schweinerippchen mariniert er in einer Sirupmischung. Deutsche Haushalte laufen Gefahr, solche Rezepte mit gefälschtem Sirup nachzukochen, nachzumixen. Im kanadischen Landwirtschaftsministerium befürchtet man gar, dass Europa in Kürze mit Billig-Sirup aus China überschwemmt wird.
Algonquin-Indianer im Osten Kanadas haben den Ahornsirup erfunden. Französische Siedler haben ihn verfeinert, haben Zapfhähne in die Bäume geschlagen und Schläuche im Wald verlegt. Dreihundert Jahre lang hieß ein untrügliches Qualitätsmerkmal: Je heller, desto besser. Heutzutage kann hell auch einfach bedeuten: Zuckerwasser.
Illustration: Mike Perry