Weltmeisterscharf

In Nebraska kochen 400 Verrückte um die Wette. Ihr Traum: Das beste Chili der Welt.

Chili-Rezepte gibt es so viele wie Köche und Ron Burt ist eben von seinem »Desert Rat Chili« überzeugt. Viele Jahre hat der pensionierte Polizist aus Los Angeles daran gefeilt, gemeinsam mit seiner Frau. Hat vergebens an den kalifornischen Ausscheidungswettkämpfen für die Weltmeisterschaft teilgenommen, ging nach Mexiko, um sich in Guadalajara zu qualifizieren, und nun steht er am entscheidenden Tag der Chili-Weltmeisterschaft in Omaha, Nebraska, und soll einfach so sein Rezept verraten? »Mein Rezept ist 25000 Dollar wert, falls ich gewinne. Und nur dann werde ich es bekannt geben.« Ron Burt trägt keine Socken, auf denen rote oder grüne Chilischoten abgebildet sind. Er trägt auch keine Chili-Mütze, kein Chili-Hemd und keine Chili-Krawatte wie viele seiner Mitstreiter. Allein eine kleine Anstecknadel an seinem Revers zeugt von einem früheren Weltmeistertitel, für Rotes Chili, die Königsdisziplin, für die laut Satzung neben Chillies nur weitere Gewürze, Tomaten, Fleisch, aber keine Bohnen wie beim Wettbewerb für Grünes Chili verwendet werden dürfen. Exakt drei Stunden lässt er sein Desert Rat Chili köcheln, bevor er es in einem nummerierten Plastikbecher im Zelt abliefern wird, wo die zwanzig Juroren eine Blindverkostung in mehreren Runden vornehmen. »Nach links umrühren«, ist der einzige Tipp, den er sich entlocken lässt. »Und immer schön den Deckel draufhalten.« Burt käme nie auf die Idee, aus Neugier bei seinen Standnachbarn einmal deren Chili zu probieren – »Ich zerstöre mir doch nicht meine Geschmacksnerven«. Nicht einmal die Wahl der Miss Hot Chili Pepper 2005 kann ihn von seiner Kochplatte weglocken – »Ich bin schließlich nicht zum Vergnügen hier«. Die 400 Teilnehmer der jährlichen Chili-Weltmeisterschaft nehmen den Wettbewerb sehr ernst. US-Amerikaner, Kanadier, einige Einwanderer aus Mexiko oder Asien, eine Japanerin – und 16000 zahlende Besucher am Wochenende. Ein Sponsor stellt den Köchen eine Elektroplatte, einen überdachten Stand, Tomaten, Fertigsaucen, Gewürze oder auch die Plastikhandschuhe, in denen man die Schoten tunlichst schneiden sollte. Ihre Chillies haben sie selbst mitgebracht – getrocknet, als Pulver, als Paste. Nicht das schärfste Chili soll gekürt werden, sondern das »mit dem vollsten Geschmack«, und da verarbeiten einige ihre oft selbst gezogenen Pflanzen gleich in allen drei Konsistenzformen, denn jede sorgt angeblich für eine eigene Note. Veranstalter ist die International Chili Society, eine nicht gewinnorientierte Vereinigung hart gesottener Fans, die ihre Weltmeisterschaft jedes Jahr ausrichten. Als Sponsor tritt unter anderem ein Lebensmittelkonzern auf, ConAgra, ein Unternehmen, das mit verschiedenen Sorten Dosen-Chili, Salsa-Saucen oder Thai-Suppen seit Jahren zweistellige Zuwachsraten auf dem amerikanischen Markt erreicht. Wahrscheinlich 8000 Jahre kennt und isst man die Gewürzpflanze in Latein- und Südamerika. Aber so populär wie heute war Chili noch nie. In Russland und der Ukraine freut sich seit kurzem eine Wodka-Marke großer Beliebtheit, die mit Chili und Honig abgefüllt wird. In Mexiko werden Chililutscher verkauft, hergestellt in Spanien. In England gibt es Chilisenf, auf dem Nürnberger Christkindlmarkt Lebkuchen mit Chiliöl und aus der Schweiz kommt seit kurzem Chilischokolade. Die so genannte Crossover-Küche tut das Übrige, um Chili in allen möglichen neuen Variationen an immer mehr Orten der Welt zu verbreiten: In Deutschland kochen die Jungen Wilden Blaukraut-Birnen-Lasagne mit Portwein-Chili-Eis und süßem Pesto (Stefan Marquard), in Vanille geschmorte Kaninchenkeule mit Chili-Bratapfel (Tim Mälzer), gebackene Tunfischpraline auf Melonen-Chili-Kaltschale (Alexander Herrmann, der gar mit 17 Gault-Millau-Hauben ausgezeichnet wurde).

Natürlich ist der jüngste Chili-Boom auch eine Folge der Globalisierung. Doch auch die Wissenschaft findet ständig neue gesundheitsfördernde Eigenschaften der alten Kulturpflanze. Chillies enthalten dreimal so viel Vitamin C wie Zitrusfrüchte. Ihr Wirkstoff Capsaicin, der in scharfen Schoten in höherer Konzentration vorkommt, wirkt vorbeugend gegen Herzinfarkt und verringert auch die Thrombose-Gefahr nach einem Infarkt. Chillies regen den Stoffwechsel an, um 25 Prozent, die Bildung von Speichel und Verdauungssäften. Bei einer natriumarmen Ernährung können Chillies ebenfalls helfen, denn durch das scharfe Würzen kommt man mit bedeutend weniger Salz aus. Ach ja, fiebersenkend, schlank machend und als Aphrodisiakum soll die Schote auch wirken. Wahre Chilifans sind süchtig und ihr Suchtstoff Capsaicin kann, was die Auswirkungen auf ihr Verhalten betrifft, ohne weiteres mit Nikotin oder Koffein mithalten. Auch Ron Burt betritt kein Restaurant, »ohne ein paar Schoten in der Tasche«. Im Körper stimuliert Capsaicin die Nervenenden, der Mund fängt an zu brennen, woraufhin das Gehirn schmerzlindernde Endorphine ausschüttet. Ähnlich wie Morphium löst das eine milde Euphorie aus, das so genannte pepper high. Körperliche Entzugserscheinungen konnten bislang nicht festgestellt werden. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch hat Thailand mit täglich mehr als fünf Gramm, doppelt so viel wie Indien. Generell gilt: Im Süden essen die Menschen schärfer als im Norden, und zwar auf den einzelnen Kontinenten wie auch in den jeweiligen Ländern. Das Essen in Südmexiko ist schärfer als in Nordmexiko und in Südtexas schärfer als im Norden des gleichen Bundesstaates. In New Mexico wird behauptet, man könne am Geschmack der Schoten erkennen, ob sie südlich oder nördlich der Route 66 gewachsen seien. Ron Burt etwa benutzt Hatch-Chillies. Hatch ist ein Ort in New Mexico, in dem Farmer ihre neuen Züchtungen mit genauso viel Tamtam vorstellen wie in Detroit die Autoindustrie ihre neuen Modelle. Eine weitere Chili-Regel: Arme Menschen essen mehr Chillies als reiche, was mit der Monotonie von Reis- und Tortillagerichten erklärt wird. Die wohl schärfste Chilischote der Welt wird denn auch hauptsächlich in Mexiko angebaut: Habanero. Geröstet, zerdrückt und in frischen Zitronensaft getunkt wird daraus eine Sauce, die die Mexikaner Xnipek nennen, in der Sprache der Maya das Wort für Hundeschnauze: eine Sauce, die angeblich so scharf ist, dass sie jede Nase so feucht glänzen lässt wie die eines Hundes. »Dog Breath Chili« – so nennt denn auch der Gewinner der 39. Weltmeisterschaft, Doug Wilkey, sein Rotes Sieger-Chili. Wilkey aus dem amerikanischen Bundesstaat Washington hatte 19 Anläufe unternommen, bis sein Lebenswerk endlich gebührend gewürdigt wurde. Ron Burt geht wieder leer aus. In der Klasse Grünes Chili schaffte er es immerhin unter die letzten zwanzig. Das mit 25000 Dollar derzeit wohl teuerste Rezept der Welt lautet: Zutaten: 180 g Bratwurst, 2 TL Öl, 1,3 kg Rindfleisch in kleinen Stücken, 1 mittlere, klein gehackte Zwiebel, 420 ml Fleischbrühe, 1/4 TL Oregano, 3 EL Kümmel, 7 Zehen Knoblauch, 2 TL Gebhardt Chilipulver, 1 TL scharfes Chilipulver, 1 TL mildes Chilipulver, 5 TL rotes Chilipulver, 1 Dose Tomatensauce, 1 Dose RoTel geschnittene Tomaten mit grünen Chillies, 3 getrocknete kalifornische Chilischoten, gekocht und püriert, 1 getrocknete New-Mexico-Chilischote, gekocht und püriert, 5 getrocknete Cascabel-Chilischoten, gekocht und püriert, 1/2 TL Cayenne-Pfeffer, 420 ml Hühnerbrühe, 1 TL Tabasco, 1 TL brauner Zucker, Saft einer Limette, Salz nach Geschmack. Zubereitung: Bratwürste trocken anbräunen und beiseite stellen. Rindfleisch in Öl anbraten, Würste, Zwiebel und Rinderbrühe beigeben, so dass das Fleisch bedeckt ist. 15 Minuten kochen lassen. Oregano und die Hälfte des Kümmels beigeben. Hitze reduzieren, bis das Ganze leicht köchelt, Knoblauch beigeben. Sämtliche Chilipulver vermischen, die Hälfte davon beigeben, 15 Minuten kochen lassen. Tomatensauce und Tomatenstücke beigeben und mit Hühnerbrühe je nach gewünschter Konsistenz auffüllen. Unter oftmaligem Rühren eine Stunde kochen lassen. Restliches Chilipulver und restlichen Kümmel beigeben und bei niedriger bis mittlerer Hitze 25 Minuten simmern lassen. Nochmals erhitzen, bis das Chili leicht kocht, Tabasco, Cayenne-Pfeffer, braunen Zucker, Limettensaft und Salz beigeben.