Ist es radikal, das Elterngeld für Reiche zu streichen?

Nein. Radikal wäre, das Elterngeld endlich sozial-gerecht zu machen. Warum ist die Fürsorge der einen Frau für ihr Baby gar nichts wert und die der anderen 1800 Euro? Aber nicht nur der Staat muss umdenken – Mütter und Frauen mit Kinderwunsch müssen es auch.

Foto: Paula Winkler

Den Plänen der Bundesregierung zufolge soll die Gruppe der Menschen, die Anspruch auf Elterngeld haben, kleiner werden, um die Ausgaben im Familienressort um 290 Millionen Euro zu senken. Eltern, deren gemeinsames zu versteuerndes Einkommen bei mehr als 150.000 Euro liegt, sollen künftig in der Elternzeit keine Lohnersatzleistung mehr bekommen und ohne staatlichen Zuschuss für die Sorgearbeit im ersten Jahr auskommen. Bislang lag die Einkommensgrenze bei 300.000 Euro. Geplant war dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag nicht, vielmehr zwingt der Sparkurs der Regierung die Bundesfamilienministerin nun zu einer Idee, irgendwo zu kürzen.

Es ist sinnvoll, den Familien weniger Geld zu geben, die viel Geld haben. Denn finanzielle Unterstützung brauchen Eltern mit kleinen Einkommen sehr viel dringender. Das Elterngeld für alle herabzusetzen, wäre eine deutlich ungerechtere Idee, die Lisa Paus abgewendet hat, indem sie Spitzenverdiener*innen zumutet, auf Elterngeld zu verzichten. Darüber, dass ein Paar, das brutto gemeinsam etwa 180.000 Euro verdient (aus denen sich in etwa ein zu versteuerndes Einkommen von 150.000 Euro ergibt), das erste Babyjahr auch ohne Elterngeld stemmen kann, muss man nicht diskutieren, denn diese Paare haben mehr Geld als 95 Prozent der Familien in Deutschland. Hier könnte ein Kommentar zur Sache schon zu Ende sein. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Es müsste dringend breit diskutiert werden, wie die notwendigen Milliarden für die Bekämpfung von Kinderarmut finanziert werden könnten

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Eine Petition gegen die Senkung der Einkommensgrenze hat innerhalb von nur drei Tagen mehr als 400.000 Unterschriften gesammelt und damit deutlich mehr mobilisiert als Petitionen, deren Anliegen für mehr Menschen relevant wären. Dafür, dass 290 Millionen im Gesamtetat für das Elterngeld von mehr als acht Milliarden Euro eine geringe Summe ist und sich für die Mehrheit der Eltern nichts verändern wird, ist der Aufschrei unverhältnismäßig groß. Die eingesparten 290 Millionen Euro werden auch kaum dabei helfen, das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel zu finanzieren: die Kindergrundsicherung. Dabei müsste dringend breit diskutiert werden, wie die notwendigen Milliarden für die Bekämpfung von Kinderarmut finanziert werden könnten. Die Abschaffung des Ehegattensplittings wäre dazu geeignet, aber dieses patriarchale Relikt wird uns vermutlich noch beschäftigen, wenn sich die Deutschen längst an ein Tempolimit gewöhnt haben.

Beim Elterngeld gibt es viel zu kritisieren, die Kappung für Reiche hat dabei eher letzte Priorität. Überfällig ist aber, den Mindestsatz zu erhöhen. Denn der Mindestbetrag, den Eltern bekommen, die beispielsweise vor der Geburt nicht erwerbstätig waren oder einen Minijob hatten, liegt seit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007 bei 300 Euro, der Höchstsatz, den Eltern mit hohen Einkommen erhalten, bei 1800 Euro. Diese Summen sind jedoch nie an die Inflation angepasst worden, sodass die Kaufkraft von 300 Euro Elterngeld rund ein Viertel niedriger liegt als vor 16 Jahren. Mieten, Windeln, Milchpulver sind deutlich teuer als 2007, sodass die Elternzeit für diejenigen, die nur wenig Elterngeld bekommen, immer prekärer wird.

Daniela Weckmann, Sandra Runge und Nancy Koch, die eine Petition für einen Inflationsausgleich beim Elterngeld und eine Anpassung des Mindest- und Höchstsatzes an den Bundestag gerichtet haben, kritisieren nicht nur, dass der Wertverlust des Elterngelds mehr Eltern in Armut dränge, sondern auch, dass er die gleichberechtigte Aufteilung der Elternzeit erschwere, da nun mehr Partner*innen mit dem höheren Einkommen – überwiegend sind das in Hetero-Paaren die Väter – ihren Vollzeitjob aus finanziellen Gründen nicht pausieren könnten. In den unteren Lohngruppen ist das tatsächlich ein Problem, in den hohen Lohngruppen behaupten viele Väter zwar, das Geld würde dann nicht reichen, aber im Kern ist das vorgeschoben, denn für gutverdienende Familien wäre es kein Problem, für die Elternzeit zu sparen oder den eigenen Lebensstandard zu hinterfragen. Für Paare mit gutem Haushaltseinkommen ist die paritätische Elternzeit längst eine Frage des Willens

Zu wenig Geld auf der einen, zu wenig Lust vieler Väter, sich für gleichberechtigte Elternschaft anzustrengen, auf der anderen Seite – das erklärt, warum Beteiligungsquote und Bezugszeitraum des Elterngelds bei Vätern seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnieren. Die wirksamste gesellschaftliche Maßnahme wäre sicherlich, dass Frauen aufhören, ihre Kinderwünsche an Personen zu knüpfen, die sich nicht gleichberechtigt kümmern wollen, und Einkommensgefälle für unglückliche Zufälle halten, statt sie als veränderbare Machtstrukturen zu erkennen – und zu bekämpfen.

Wer Gleichberechtigung wirklich will, muss von Familienpolitik mehr einfordern

Im Koalitionsvertrag findet sich für mehr Partnerschaftlichkeit in der Elternzeit das lächerlich ambitionslose Vorhaben, die Partner*innen-Monate, die genommen werden müssen, um das Elterngeld voll auszuschöpfen, von zwei auf drei Monate zu erweitern. Das ist schon allein deswegen lustig, weil die 43 Prozent der Väter, die immerhin überhaupt Elternzeit nehmen, zuletzt im Schnitt 3,4 Monate beanspruchten. Die aktuelle Familienpolitik nimmt diese Väter nicht einmal als Maßstab für den Beteiligungszeitraum von Männern. Einen großen Effekt auf die gleichberechtigte Verteilung von Sorgearbeit in Familien wird die »Reform« dementsprechend nicht haben, sondern ohne den überfälligen Inflationsausgleich eher noch mehr Väter davon abhalten, sich an der Elternzeit zu beteiligen. Willkommen im Roll-Back. Wer Gleichberechtigung wirklich will, muss von Familienpolitik mehr einfordern und es nicht weiter hinnehmen, dass Männern keine Veränderung abverlangt wird.

Das Elterngeld wird von Feminist*innen schon lange dafür kritisiert, dass es vor allem von der Mittelschicht in Anspruch genommen wird, diese finanziell stärkt und für sie gleichberechtigte Elternschaft erleichtert, während in der Summe viel weniger Elterngeld in den unteren Einkommensgruppen ankommt. Das Erziehungsgeld, das dem hauptsächlich betreuenden Elternteil bis 2006 gezahlt wurde, betrug für alle Beziehenden über einen Zeitraum von zwei Jahren 300 Euro pro Monat und wurde – anders als das Elterngeld seit 2010 – nicht auf die Sozialhilfe angerechnet. Die Publizistin Antje Schrupp kritisierte damals, das neue Elterngeld habe »unterm Strich dazu beigetragen, die soziale Schere in Deutschland, den Abstand von Reich und Arm zu vergrößern«. Um das Elterngeld gerecht zu reformieren sowie Equal Care ab Geburt zu fördern, müsste die Unterstützung von Familien in den ersten Jahren mit Kind komplett neu gedacht werden.

Besonders kritikwürdig ist bei der aktuellen Bemessung des Elterngeldes, dass Sorgearbeit dem Staat unterschiedlich viel wert ist. Menschen, die vorher ein gutes Gehalt bekommen haben, erhalten für das Betreuen eines Babys ein Jahr lang ein Vielfaches der Summe, die beispielsweise Studierende bekommen, obwohl sie die gleiche Arbeit leisten und vergleichbare Ausgaben für ihr Baby haben. Ein Vater bekommt in der typischen Hetero-Paar-Konstellation, in der Männer höhere Einkommen haben, für das Kümmern ums Baby mehr Geld als die Mutter. Warum ist seine Sorgearbeit dem Staat mehr wert? Warum wird die Sorgearbeit in der Elternzeit einer Ingenieurin finanziell höher bewertet als die einer pädagogischen Fachkraft, die ein Kind bekommt? Eltern in der Grundsicherung, Asylsuchende oder geduldete Menschen bekommen zudem nicht einmal den Mindestsatz des Elterngelds, ihre Sorgearbeit nach der Geburt eines Kindes ist dem Staat null Euro zusätzlich wert. Das Elterngeld ging bislang an den ärmsten Familien vorbei.

Das Elterngeld wird dafür gelobt, mehr Gleichberechtigung erreicht zu haben, was auch teilweise stimmt, da ein Teil der Väter zumindest kurz beruflich pausiert, um sich ums Baby zu kümmern. Dennoch stärkt es nach wie vor überwiegend die finanzielle Macht von Männern in Hetero-Partnerschaften, da sie weiter verdienen können wie bisher, während ihre Partnerin auf Geld verzichten muss. Das Elterngeld als Lohnersatzleistung zu konzipieren ist nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Bewertung von Sorgearbeit problematisch, sondern auch, weil 65 Prozent des vorausgegangenen Nettolohns insbesondere für Mütter im Bezugszeitraum zu wenig sind, um die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken. Ohne Einkommen ihres Partners müssten sie weitere Hilfen beantragen.

Mütter werden finanziell auch deswegen abhängig von ihrem Partner, weil in den meisten Partnerschaften Männer nach wie vor wesentlich mehr verdienen als Frauen, was sich vor dem ersten Kind eben nicht durch Teilzeitjobs erklärt, sondern durch die durchschnittlich geringeren Vollzeitlöhne, die Frauen in Deutschland erhalten, sowie den Umstand, dass zwischen den Partner*innen häufig mehrere Jahre Altersabstand bestehen und die Männer in der Beziehung bereits mehr Gehaltssprünge gemacht haben. Das durchschnittliche Elterngeld, das Mütter bezogen, lag bei zuletzt bei 790 Euro, Väter hingegen bezogen im Schnitt 1300 Euro. So wie das Elterngeld angelegt ist, wird es innerhalb sexistischer und klassistischer Lohnstrukturen die gesellschaftlichen Ungleichheiten stets fortführen.

Ein wichtiges Ziel der Gleichstellungspolitik ist die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, denn genug eigenes Geld zu haben und freie Lebensentscheidungen treffen zu können, hängen unmittelbar miteinander zusammen. Besonders wichtig ist genug eigenes Geld, wenn Paare sich trennen. Viele Frauen, die durch ihre Partner*innen Gewalt erfahren, verharren lange in der Beziehung, weil sie keine eigene Wohnung finanzieren könnten oder sie Angst davor haben, ihren Lebensstandard senken zu müssen. Die geltende Regelung zur Bemessung des Elterngeldes lässt den betreuenden Personen meistens keine andere Wahl, als vom Gehalt des anderen Elternteils zu leben. Da der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erst ab dem ersten Lebensjahr gilt und die wenigsten Kitas Kinder unter einem Jahr betreuen – geschweige denn freie Plätze haben –, ist ein eigenes Erwerbseinkommen im ersten Jahr nach der Geburt für die meisten Mütter außer Reichweite, oft sogar noch darüber hinaus, weil es in Deutschland aktuell zu wenige Kita-Plätze für Kinder ab einem Jahr gibt.

In einer idealen Welt teilt sich ein Paar mit Kindern die finanziellen Ressourcen gleichberechtigt

Eine wirklich feministische Gleichstellungspolitik müsste daher nicht nur dafür sorgen, dass Frauen über eine Erwerbstätigkeit finanziell eigenständig sind, sondern auch für die Zeit nach der Geburt eines Kindes bis zum Betreuungsbeginn eine Geldleistung konzipieren, die vor Abhängigkeit und Gewalt besser schützen kann. Genug eigenes Geld zu haben, ist wichtig, um einer Machtverschiebung in der Paarbeziehung entgegenzuwirken, die leider oft mit Kindern geschieht, wenn eine der Partner*innen ihre Arbeitszeit reduziert oder in der Elternzeit nur noch wenig zum Familieneinkommen beitragen kann. In einer idealen Welt teilt sich ein Paar mit Kindern die finanziellen Ressourcen gleichberechtigt, doch diese Wunschvorstellung hat wenig mit der gesellschaftlichen Realität zu tun, die nach wie vor in vielen Partnerschaften bedeutet, dass Männer den Einkommensverlust ihrer Partnerin durch die Elternzeit nicht ausgleichen und große Einkommensunterschiede sogar mit Machtmissbrauch und Kontrolle gegenüber der Person einhergehen können, die weniger Geld zur Verfügung hat.

So absurd es klingt: Dass Frauen nicht einmal genau wissen, wie hoch das Gehalt ihres Partners ist und ob er Vermögen hat, ist keinesfalls selten. Viele Frauen halten ihre Sorgearbeit selbst für wertlos und trauen sich nicht, einen finanziellen Ausgleich einzufordern, denken sogar, er stehe ihnen nicht zu, weil sie sich ja freiwillig für ein Kind entschieden haben.

Eine zentrale feministische Frage ist: Warum hat es sich bis heute kaum etabliert, dass die Person, die überwiegend die Familienarbeit unentgeltlich übernimmt, von der erwerbstätigen Person finanziell entschädigt wird? Über den gleichen Stundenlohn, nicht mit einem Taschengeld. Wäre es radikal, politisch anzuweisen, dass die Arbeitsteilung in Familien auch finanziell gerecht ist? Wäre es radikal, Partner*innen zu verpflichten, der Person in Elternzeit die Hälfte des Erwerbseinkommens zu überweisen, da diese der erwerbstätigen Person Zeit für den Beruf ermöglicht? Wenn für die Einkommensgrenze beim Elterngeld die Gehälter der Eltern zusammengerechnet werden, warum hat das gemeinsame Gehalt dann für den Ausgleich der Sorgearbeit bisher keine Relevanz?

Die Welle der Empörung über die Kürzung des Elterngelds für reiche Eltern ist irritierend, da die Gruppe der betroffenen Familien immens klein ist – etwa drei bis fünf Prozent der Elternpaare könnten betroffen sein. Und es ist finanziell machbar und zumutbar, von einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 150.000 Euro vor der Geburt Geld für die Elternzeit zurückzulegen. Existenzbedrohend ist es für die meisten Paare in dieser Einkommensgruppe nicht, ein Jahr lang auf eines der Gehälter sowie auf das Elterngeld zu verzichten. Es ist vor allem unbequem und konfrontiert die betroffenen Familien mit einem freiwillig gewählten, teuren Lebensstandard, der sich nur mit sehr viel Erwerbsarbeit halten lässt und mit unbezahlter Sorgearbeit nicht vereinbar ist.

Menschen mit hohem Einkommen fühlen sich auch deswegen bisweilen nicht wohlhabend, weil sie ihre Ansprüche entlang eines wachsenden Einkommens steigern und viel mehr Geld ausgeben, als sie müssten – und dabei schleichend ihren hohen Lebensstandard als alternativlos, angemessen und nicht luxuriös empfinden. Man findet immer andere, die noch viel mehr haben. Doch statt sich arm zu rechnen, wäre eine Auseinandersetzung mit dem sozialen Druck, das Erwerbseinkommen nach außen sichtbar zu machen, sowie mit der Frage, ob der angenehme Schreibtischjob nicht ungerecht hoch bezahlt ist und andere Menschen viel zu gering entlohnt werden, die angemessene Reaktion.

Die Empörung über den Wegfall des Elterngelds für Reiche ist aus unterschiedlichen Gründen groß und hat eine verunsichernde Wirkung über den Kreis der konkret betroffenen Personen hinaus. Das Phänomen, dass sich in Deutschland viele Reiche zur Mittelschicht zählen und gutverdienende Menschen sich arm fühlen, gehört in eigene Texte wie diesen hier von Mareice Kaiser, führt aktuell jedoch dazu, dass viele Menschen sich mitbedroht fühlen, obwohl sie von der Veränderung beim Elterngeld nicht betroffen wären und zugleich weit von der Armutsgefährdung entfernt verdienen. Der falsche Glauben, mit genug Anstrengung reich zu werden, den der Neoliberalismus vermittelt, führt zu einer Solidarisierung mit Reichen, da sich viele Menschen gedanklich leichter in Wohlstand fantasieren zu können, als sich mit Armut auseinanderzusetzen.

Die Autorin Celsy Dehnert erklärt die geringere Aufmerksamkeit für die Kindergrundsicherung in sozialen Medien mit einer psychologischen Abwehrreaktion, die auf Klassismus basiert: »Uns mit der Realität zu konfrontieren, dass es wahrscheinlicher ist, einmal Grundsicherung zu beziehen, als plötzlich zu den oberen fünf Prozent der Einkommensschichten zu hören, ist so beängstigend, dass wir das Thema als Ganzes beiseite schieben.« Die Petition gegen die Streichung des Elterngeldes für wenige Reiche, die von der Unternehmerin Verena Pausder initiiert wurde, spielt laut Dehnert über den verzerrenden Begriff der »leistungsbereiten Mitte« außerdem mit der Abstiegsangst, die viele Menschen insbesondere im Kontext der hohen Inflation empfänden, und mobilisiere auch daher unverhältnismäßig stark.

Ein Teil der Wut über die angekündigte Kappung des Elterngelds dürfte zudem damit zu tun haben, dass die meisten Eltern im Alltag unter hohem Druck stehen, die Tage aus Job und Care zu lang sind und müde machen und sie in der Pandemie erlebt haben, kaum politische Unterstützung zu bekommen. Kitaplätze lassen sich nur mit großer Mühe finden, immer mehr Familien müssen Kürzungen von Kita-Öffnungszeiten aufgrund des Fachkräftemangels hinnehmen, und die Betreuungsprobleme enden auch im Grundschulalter der Kinder nicht. Wut und Verunsicherung entladen sich nun über ein symbolisches Thema. Zwar löst das Elterngeld weder Kitakrise noch Erschöpfung, aber es wirkt als Pflaster. Dass selbst die geringe Einsparung der Bundesregierung beim Elterngeld weit mehr Eltern verunsichert, als betroffen sein werden, sollte von Politiker*innen ernstgenommen werden als weiteren Hinweis, dass Familien der Politik immer weniger vertrauen. Eine Studie des WSI hat erhoben, dass ein Drittel der Mütter »überhaupt kein Vertrauen« mehr in die Bundesregierung hat – dieser Wert hatte sich innerhalb eines Jahres verdoppelt.

Egal wie viel Geld ein Paar verdient: Jedes Kind bedeutet für Eltern einen erheblichen finanziellen Einschnitt. Frauen, die Mütter werden, verzeichnen hohe Verluste im Lebenseinkommen gegenüber Frauen, die keine Kinder bekommen. Für Menschen mit kleinen Einkommen ist Elternschaft nach wie vor ein erhebliches Armutsrisiko, was zum einen ihre Kinderwünsche erheblich mindern kann, zum anderen ist es für Eltern in den unteren Einkommensgruppen in der Regel notwendig, schneller wieder in den Job zurückzukehren, während Menschen mit hohen Einkommen sich längere Erholungszeiten und längere Erziehungszeiten leisten können. Da die Entscheidung für Kinder für die meisten Frauen eine Entscheidung für langfristigen finanziellen Verzicht ist und die Höhe des Elterngeldes ohnehin ein Signal, dass sie im ersten Lebensjahr des Babys weniger leisten als im Job, reagieren insbesondere Mütter bei Kürzungen für Menschen in Elternzeit sensibel.

Die Kürzung des Elterngeldes für Reiche wird den Nebeneffekt haben, ein traditionelles Rollenmodell und die schon jetzt geringe Väterbeteiligung an der Sorgearbeit in den ersten Lebensjahren des Kindes in den hohen Einkommensgruppen zu festigen. Frauen, die selbst wenig Gehalt beziehen und mit hoch bezahlten Männern zusammen sind, werden stärker als zuvor in finanzielle Abhängigkeit gedrängt, mit all den damit verbundenen Konsequenzen. Hauptverdienerinnen werden möglicherweise früher als gewünscht in den Job zurückkehren müssen. Diese Kritikpunkte am Vorhaben der Bundesregierung sind valide. Gleichzeitig kann mit Recht festgestellt werden, dass Menschen mit hohen Einkommen eine gleichberechtigte Partnerschaft mit wenig Mühe und ohne Elterngeld längst selbst herstellen könnten und es mehrheitlich nicht tun. Wenn viel Geld nicht dafür genutzt wird, gleichberechtigt zu leben, dann nicht, weil Egalität am Finanziellen scheitert, sondern deswegen, weil einer oder beide es nicht möchten.

Politisch ist der Widerstand einkommensstarker Männer, ihr Baby gleichberechtigt zu betreuen und sich die Sorgearbeit langfristig fair zu teilen, nur schwer zu durchbrechen. Eine 30-Stunden-Woche für alle und die paritätische Aufteilung eines längeren Elternzeitraums können Veränderungen anstoßen, reichen jedoch nicht, um Männlichkeit genauso stark mit Sorgearbeit zu verbinden wie mit Erwerbsarbeit und um alle Väter dazu zu bringen, die Elternzeit genauso selbstverständlich in Anspruch nehmen wie ihre Partnerinnen es tun. Männer, die es mit Gleichberechtigung in Familien ernstnehmen, müssen gegen ihre eigene Bequemlichkeit arbeiten und die Strukturen, die sie finanziell besserstellt, auflösen. Daneben müssen insbesondere Frauen, die über viel eigenes Geld verfügen, ihre finanzielle Macht viel stärker nutzen, um zumindest die eigenen Partner zu Veränderung zu bewegen. Sonst ist die Emanzipation an dieser Stelle verschenkt.

Die Entscheidung für Kinder wird in vielen Hetero-Paarbeziehungen bis heute nicht auf Augenhöhe getroffen

Es ist dieser Widerspruch – viele gutverdienende Frauen akzeptieren ein Machtgefälle in der eigenen Partnerschaft –, der in der Debatte über die Einkommensgrenze des Elterngeldes bislang ausgespart wird, weil er schmerzhaft ist: Die Entscheidung für Kinder wird in vielen Hetero-Paarbeziehungen bis heute nicht auf Augenhöhe getroffen. Zu viele Frauen leben in ungleichen Beziehungen, die ihre Freiheit erheblich begrenzen, während ebenso viele Männer das Ungleichgewicht genießen und wenig Interesse daran zeigen, sowohl die eigene Beziehung als auch die Gesellschaft gleichberechtigt zu gestalten. Die Autorin Emilia Roig formuliert das in ihrem Buch Das Ende der Ehe so: »Frauen lernen im Patriarchat zu lügen – darüber, wer sie sind und was sie fühlen. Sie lernen, ihre Emotionen und die Unbequemlichkeit, die sich aus ihrer Unterwerfung ergeben, zu ignorieren.«

Wenn Frauen in einer Paarkonstellation durch Elternschaft finanziell abhängig werden, in der gemeinsam mehr als 150.000 Euro pro Jahr verdient werden, erfüllt eine staatliche Geldleistung während der Elternzeit zwar im Kern eine Schutzfunktion, sie löst aber nicht auf, dass eine Beziehung, in der Männer nicht freiwillig den Gehaltsausfall ausgleichen und sich nicht fair an der Sorgearbeit beteiligen wollen, keine gute Beziehung ist. Partner*innen, die den Vollzeitjob des anderen Elternteils zuhause mit null Euro oder einem Taschengeld bewerten, haben keinen Respekt vor dieser Person und keine echte Liebe für sie. Sie greifen zu ökonomischer Gewalt. Wer liebt, versucht, innerhalb der Beziehung der anderen Person Freiheit zu schenken und einschränkende Abhängigkeiten so weit wie möglich aufzulösen. Partner*innen, die keine Anstrengung auf sich nehmen, um sich gleichberechtigt um gemeinsame Kinder zu kümmern, wollten diese Kinder deutlich weniger als man selbst.

Es kostet Frauen Kraft, diesen Umstand zu verdrängen. Viele Männer haben nach wie vor ein völlig unterschiedliches Verhältnis zu Elternschaft als Frauen. Sie sehen Elternschaft als Accessoire, das ihre Männlichkeit stärkt, sicherlich lieben sie ihre Kinder, aber die Verantwortung, sich als Elternteil für und mit Partner*in und Kindern zu verändern, sehen sie nicht. Sie haben den Anspruch, mit Kindern genauso weiterzuarbeiten wie ohne Kinder, während Frauen klaglos die neue Rolle annehmen und mit weniger Geld auskommen sollen. Nur für Väter ist es akzeptiert, sich aus »Karrieregründen« gegen Elternzeit zu entscheiden, Mütter haben diese Wahl nicht.

Heterosexuelle Elternpaare werden erst gleichberechtigter leben, wenn Frauen mehrheitlich die männliche Praxis, Vaterschaft stärker finanziell als über geteilte Fürsorge zu leben, für ihre eigene Beziehung nicht mehr wollen. Antje Schrupp schrieb dazu vor einigen Tagen: »Ich finde es oft erstaunlich, was für Typen sich Frauen als Lebenspartner aussuchen, was sie sich bieten lassen und wie wenig Ansprüche sie an eine Beziehung stellen. Und ich frage mich, wieso das heute, nach so vielen Jahrzehnten Frauenbewegung, immer noch so ist.«

Ein Grund, warum Frauen sich nach wie vor für Beziehungen entscheiden, in denen sie finanziell und beruflich zurückstecken, hat mit den schlechten Löhnen in weiblich konnotierten Berufen zu tun, mit schlecht ausgebauter Kinderbetreuung, aber auch immer noch mit der Wirkmacht geschlechtsspezifischer Sozialisierung. Ohne ein zweites Einkommen, das die Kosten für Kinder mitfinanziert oder Teilzeitarbeit ermöglicht, können oder wollen viele Frauen ihre Kinderwünsche nicht realisieren. Die hohe Armutsquote unter Alleinerziehenden gibt ihnen in dieser Einschätzung recht. Eine Beziehung, in der sie nicht glücklich sind und wenig frei, ziehen viele Frauen einem geringeren Lebensstandard vor. Dass einkommensstarke Frauen bislang ihren Einfluss kaum für die Abschaffung des Ehegattensplittings genutzt haben, hat mit der Angst vor Abstieg und der Scheu vor Konfrontation zu tun: Sie profitieren überdurchschnittlich davon und weichen dem Konflikt mit den eigenen Ehemännern aus, die über diese Forderung ihre Macht bröckeln sehen.

Doch es gibt andere Wege, als ungleiche Beziehungen auszuhalten und Machtgefälle kleinzureden, und jetzt Achtung: Alle, für die Gleichberechtigung und Gerechtigkeit wichtige Werte sind, dürfen die systematische Abwertung von Berufen mit hohem Frauenanteil und den großen Niedriglohnsektor in Deutschland nicht länger akzeptieren und müssen für Löhne kämpfen, die auch dann zum Leben und für die Altersvorsorge reichen, wenn Jobs mit Fürsorge-Verantwortung kombiniert werden. Sie müssen beginnen, Erwerbs- und Sorgearbeit so neu zu organisieren, dass sie nicht krank machen, und Arbeitszeiten der Lebenswelt von Eltern und Pflegenden gerecht werden. Sie müssen sich für eine gute, flächendeckende Kinderbetreuung und Schulen einsetzen, die Familien stützen und alle Kinder stärken. Sie müssen Lohn- und Vermögensscheren hinterfragen und beenden, in der manche Einkommen mühelos 20 Familien ernähren könnten und andere keine, in der manche mehrere Häuser besitzen und andere kein eigenes Bett. Sie müssen dem Staat eine echte Daseinsvorsorge abfordern, zu der auch bezahlbarer Wohnraum zählt. Heterosexuelle Frauen müssen aufhören, darauf zu warten und darüber grau zu werden, dass die Männer, die derzeit finanziell und gesellschaftlich profitieren, sich irgendwann doch noch aus Liebe verändern. Sie müssen aufhören, anderen Frauen zu sagen, sie sollten schlicht den richtigen Mann auswählen.

Es gibt aktuell nicht genug dieser Männer, um über diese Praxis Gleichberechtigung herzustellen. Stattdessen sollten Frauen beginnen, die Gesellschaft so verändern, dass sie nicht mehr auf »gute Männer« angewiesen sind, und sich Kinderwünsche in vielen weiteren Konstellationen erfüllen, in denen Geld, Sorgearbeit, Freizeit und Wertschätzung gerecht verteilt werden und Liebe üppig ist.

Eine politische Idee, die ein erster Schritt in diese gerechtere und fürsorgliche Gesellschaft ist, liegt mit der Kindergrundsicherung vor. Es braucht gesellschaftlichen Druck, damit sie in dieser Legislatur auf eine Weise konzipiert wird, dass sie Kinderarmut endlich beendet. Gut umgesetzt, kann sie immens viel erreichen. Die Kindergrundsicherung ist im kollektiven Interesse der allermeisten Frauen, die sich für Kinder entscheiden und in Familienverbünden leben wollen. Ein Fokus feministischer Bewegungen muss sein, dass kein Kind mehr in Armut aufwächst, denn die erwachsenen Menschen, für die Feminismus Gerechtigkeit herstellen will, beginnen ihr Leben als Kinder. Ohne die Politisierung der Kindheit kommen wir immer zu spät.