Ist es radikal, Vätern Zeit zu schenken?

Eine bezahlte Freistellung nach der Geburt für den zweiten Elternteil wäre aus vielen Gründen wichtig – und ist längst überfällig. Doch mit dem erneuten Aufschub des »Vaterschaftsurlaubs« verfestigt sich der Eindruck: Der passende Zeitpunkt, Gleichberechtigung voranzutreiben, ist immer »später«.

Foto: Paula Winkler

Wann ist der richtige Zeitpunkt für Gleichberechtigung? Diejenigen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten damit beschäftigen, wie sich Diskriminierung beenden lässt, können die Antwort im Schlaf aufsagen, die immer wieder reflexhaft auf neue gleichstellungspolitische Ideen gegeben wird, nämlich diese: Der Wirtschaft sei mehr Anstrengung für Gleichberechtigung in der aktuellen Situation nicht zuzumuten. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommentierte 2020 so eine anvisierte Reform des Gesetzes zur Frauenquote, nun hörte man es ähnlich zum geplanten »Vaterschaftsurlaub« sogar von der grünen Bundesfrauenministerin Lisa Paus, deren Partei sich normalerweise dezidiert zu einer feministischen Politik bekennt. »In der gegenwärtigen Krise ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Das machen wir später«, so kommentierte Paus vor einigen Tagen die Einführung einer zweiwöchigen vergüteten Freistellung von der Arbeit für die Partner*innen von Frauen, die gerade ein Kind geboren haben.

Auf das Vorhaben, auch bekannt als »Vaterschaftsfreistellung« oder »Partner*innenschutz«, da das zweite Elternteil auch eine weitere Mutter oder eine nicht-binäre Person sein kann, hatten sich Grüne, SPD und FDP im Koalitionsvertrag verständigt. Die Freistellung ist eine der wenigen Ideen für die gleichberechtigte Verteilung von Sorgearbeit in Familien, die im Koalitionsvertrag zu finden sind. Einen familienpolitischen Aufbruch, der große Sprünge für mehr Partnerschaftlichkeit in Familien verspricht, enthalten die Pläne für diese Legislaturperiode nicht.

Endlich allen Familien gemeinsame Zeit nach der Geburt eines Kindes zu ermöglichen, ist nicht einmal eine eigene Idee der deutschen Familienpolitik, sondern wird von der EU-Richtlinie (2019/1158/EU) zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verlangt. Eigentlich hätte sie bereits von der Großen Koalition und der Familienministerin Franziska Giffey (SPD), die bis 2021 im Amt war, umgesetzt worden sollen, doch ihr Ministerium war der Auffassung, die Regelung zum Elterngeld würde die Vorgaben der EU bereits übererfüllen. Die Europäische Kommission sieht das anders: Im September 2022 hat sie gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil bislang keine zehntätige Freistellung für Partner*innen gesetzlich geregelt wurde.

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Offenbar genügen weder der europäische Druck noch die Zusage im Koalitionsvertrag, um diesen kleinen, aber bedeutsamen politischen Schritt in Richtung gleichberechtigter Elternschaft endlich zu gehen. Eine bezahlte Freistellung nach der Geburt für den zweiten Elternteil wäre vor allem aus Gründen sozialer Gerechtigkeit wichtig. Denn in den unteren Einkommensgruppen reicht das Elterngeld häufig nicht einmal, um die Lebenshaltungskosten zu decken, sodass vor allem geringverdienende Väter keine echte Wahl haben, nach der Geburt mehrere Wochen lang bei Partner*in und Baby zu sein. Solange die Freistellung für Partner*innen nicht umgesetzt wird, bleibt die erste gemeinsame Familienzeit ein Privileg für Eltern mit höheren Einkommen und erschwert Paaren mit geringen Einkommen den Einstieg in eine gleichberechtigte Partnerschaft umso mehr. Eine Freistellung für Partner*innen analog zum Mutterschutz würde endlich allen Eltern ermöglichen, wenigstens die ersten zwei Wochen gemeinsam zu verbringen. Zwei magere Wochen, die mit einem Neugeborenem verfliegen wie eine einzige Nacht. Sie wären das Mindeste, denn orientiert daran, was die ersten Wochen mit einem Baby im Alltag bedeuten, sind zwei Wochen Freistellung zu wenig.

Mit dem Aufschub der Freistellung verstetigt sich der Eindruck: Der passende Zeitpunkt, Gleichberechtigung entschieden voranzutreiben, ist nie jetzt – in der Gegenwart –, sondern liegt immer irgendwo in der Zukunft hinter vermeintlich wichtigeren Problemen und Vorhaben. In dieser Logik kann Gleichberechtigung erst dann zu einem Thema werden, das politisch priorisiert und umfassend angegangen wird, wenn die Welt frei ist von Krisen. Wenn Zeit für weniger Drängendes ist. Dann, wenn Politik plötzlich in anderen Bereichen arbeitslos ist, um sich endlich ausgeruht und konzentriert der nervigen Frage widmen zu können, was es braucht, damit alle Menschen zum gleichen Grad frei und selbstbestimmt leben können.

Frauenminister*in zu werden ist kein Karriereplan, den jemand in Interviews als Traum verkündet. Warum eigentlich nicht?

Der Alt-Kanzler Gerhard Schröder bezeichnete den Politikbereich der Gleichstellung einst als »Gedöns«. Er erklärte zwar später, dies sei keine Bewertung der Relevanz des Ministeriums gewesen, ihm sei lediglich der lange Name des »Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend« nicht eingefallen, doch seitdem haftet das Gedöns-Label an Image und Ambition des Ressorts. Darum, Familienminister*in zu werden, wurde sich in den vorigen Regierungen nicht geprügelt. Frauenminister*in zu werden ist kein Karriereplan, den jemand in Interviews als Traum verkündet. Warum eigentlich nicht? Gibt es keine Politiker*innen mit herausragenden Ideen, die sich hier profilieren und der Gleichberechtigung einen Meilenstein hinterlassen wollen?

Absurd an der Haltung, dass Gleichberechtigung in Krisen warten muss, ist zum einen, dass Gesellschaften seit jeher komplex sind und kleine und große Krisen zu ihrer Architektur gehören. Krisen sind unvermeidlich und völlig normal. Wir haben uns für demokratische Politik entschieden, um mit Krisen und Konflikten umgehen zu können und weil wir uns zutrauen, die Gesellschaft trotz beständiger Herausforderungen gerechter zu machen. Auf die krisenfreie Gesellschaft zu warten, um Gleichberechtigung anzugehen, ist daher Arbeitsverweigerung und ein bewusstes Hinauszögern von Ideen, die es bereits gibt. Zum anderen ist die Natur von Krisen, dass sie bestehende Ungleichheiten verstärken, womit diese Erkenntnis das beste Argument dafür ist, sich gerade in größeren Krisen umso mehr um Gerechtigkeit zu bemühen, damit erreichter gesellschaftlicher Fortschritt nicht zurückgedreht wird. Zudem steht im deutschen Grundgesetz recht weit am Anfang des Textes in Artikel drei, Absatz zwei: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.«

Gleichberechtigung ist ein besonderes Grundrecht, denn bereits der Gesetzestext erkennt an, dass es bislang nur ein versprochenes, nicht aber verwirklichtes Recht ist. Unsere bisherige Gesellschaftsorganisation schränkt das Grundrecht von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten auf ein gleichberechtigtes Leben derzeit strukturell ein, was umso schwerer wiegt, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Grundrechtseinschränkungen sorgfältig abgewogen werden müssen. Welches höhere Gut könnte es rechtfertigen, den Bürger*innen Gleichberechtigung zu verwehren und diese bewusst hinauszuzögern? Wenn Politiker*innen die Rückstellung oder Absage eines gleichstellungspolitischen Gesetzesvorhabens mit einer Wirtschaftskrise begründen, stilisieren sie Gleichberechtigung zu einer Luxusfrage, die in unserem Gesellschaftsentwurf in Krisen über Bord geworfen werden darf. Ist das die Gesellschaft, die wir sein wollen? Die wir vielleicht immer noch sind?

Es ist wichtig, die Implikation der Haltung, Gleichberechtigung sei das nette Add-on einer modernen Gesellschaft in krisenarmen Zeiten, wirklich zu durchdenken, denn ihre Konsequenz ist erschütternd. Solange Politik die Gleichberechtigung als etwas auffasst, das Verhandlungsmasse sein darf und dessen Wichtigkeit je nach Weltlage variiert, können wir uns nicht als Gleiche begegnen, da Freiheit und Selbstbestimmung für manche von uns als aufschiebbar gelten.

Das Perfide ist: Niemals sprächen Politiker*innen aus, die Idee der Gleichberechtigung müsse in Krisen pausieren. Sie schwächen diese Gedanken ab, indem es nur um einzelne Maßnahmen geht. Doch die Entscheidung, die Partner*innen-Freistellung aufzuschieben, ist politisch – sie ist keine rein finanzielle Entscheidung – und eine Aussage über die Priorität von Gleichberechtigung insgesamt.

Gleichberechtigung aufzuschieben heißt, es als zumutbar zu erachten, diese Ungleichheit und Unfreiheit noch länger auszuhalten

Vielleicht muss man an dieser Stelle einmal wiederholen und klarmachen, was fehlende Gleichberechtigung bedeutet: In einer Gesellschaft, die Gleichberechtigung noch nicht erreicht hat, beschneiden Geschlechternormen die Freiheit von allen Menschen, und die Freiheit derer, die als Abweichung gelten, noch einmal deutlich mehr. Solange wir Gleichberechtigung nicht erreichen, leben Frauen häufiger in Armut, sie erleiden häufiger Gewalt. Männer, die ihr Leben jenseits rigider Männlichkeitsnormen gestalten und beispielsweise aus freien Stücken in Teilzeit arbeiten wollen, finden oft wenig Unterstützung, Vorbilder und Anschluss an andere, die ebenso anders leben wollen. Queere Menschen und solche, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren, müssen sogar um Menschenrechte kämpfen und sind noch weiter von gesetzlicher und realer Gleichstellung entfernt.

Gleichberechtigung aufzuschieben heißt, es als zumutbar zu erachten, diese Ungleichheit und Unfreiheit noch länger auszuhalten, und es heißt, den Käfig von engen Geschlechterrollen zu normalisieren. Eine Gesellschaft hingegen, die allen Menschen die gleiche Freiheit garantieren will, muss alles dafür tun, Gleichberechtigung zu erreichen, erst recht die Dinge, die bekannt sind, und den Weg zu ihr erleichtern. Gleichberechtigung funktioniert nur als radikales Versprechen und als Gegenwartsprojekt. Jetzt gleich, nicht irgendwann später. Wer Gleichberechtigung als Projekt für sonnige Tage deutet, hat die Idee der freien Gesellschaft nicht verstanden.

Die Corona-Pandemie hat ins öffentliche Bewusstsein gebracht, dass die Mehrheit der Elternpaare es nicht schafft, aus eigener Kraft die familiäre Sorgearbeit fair aufzuteilen und beruflich ähnlich viel zu arbeiten. Diese Krise verstärkte sogar den Umstand, dass nach wie vor Mütter im Schnitt viel mehr von der unbezahlten Arbeit zuhause übernehmen, sogar ihre Arbeitszeiten und damit ihr Einkommen reduzieren, und Väter in die Ernährerrolle gehen. Auf diesen Rückschritt hätte spätestens der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition reagieren müssen, um mit neuen Ideen die Gleichberechtigung wieder nach vorn zu bringen, doch in den Plänen von SPD, Grünen und FDP wurde dieser Effekt der Pandemie nicht einmal beschrieben. Eine Equal-Care-Strategie enthält der Koalitionsvertrag nicht, obwohl der Zweite Gleichstellungsbericht von 2018 ausdrücklich empfiehlt, das Erwerb-und-Sorge-Modell über politische Maßnahmen zu fördern.

All das, was Eltern in der Pandemie belastete, ist bisher für die Wertschätzung und Unterstützung familiärer Sorge auf politischer Ebene folgenlos geblieben und hat keine neuen care-politischen Ideen nach sich gezogen. Das ist erstaunlich. Denn Aufgabe von Politik ist es, aus Problemen, die sichtbar werden, Maßnahmen abzuleiten. In der Theorie hätten die Erkenntnisse aus der Pandemie rund um familiäre die Sorgearbeit und Gleichberechtigung in Familien den größten care-politischen Aufbruch seit Langem bewirken müssen, der sich zum Ziel setzt, dass Sorgeverantwortliche und Sorgegemeinschaften besser vor Erschöpfung geschützt werden und für neue Krisen resilienter werden, was in Paar-Familien durch eine ausgewogenere Arbeitsteilung sowie durch neue Unterstützungsangebote für beispielsweise Alleinerziehende und pflegende Angehörige erreicht werden könnte.

Wie Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, es in der vergangenen Woche auf Twitter kommentierte, wäre die Partner*innenfreistellung »echte präventive Krisenpolitik« gewesen, da sie die partnerschaftliche Arbeitsteilung von Elternpaaren stärkt. Denn die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit im ersten Lebensjahr eines Kindes wirkt sich nachweislich auf gleichberechtigte Elternschaft und Erwerbsmuster aus, insbesondere dann, wenn Väter mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen. Längere Elternzeiten ermöglichen somit auch Männern neue Freiräume, da mehrere Monate mit dem Kind ihnen stärker ermöglichen, die traditionelle männliche Erwerbsbiografie in Frage zu stellen und Fürsorglichkeit im eigenen Leben einen größeren Platz zu gewähren.

Das könnte der Grund sein, warum eine erwerbsarbeitszentrierte Politik kein übersteigertes Interesse daran hat, dass mehr Männer längere Elternzeiten in Anspruch nehmen: Das Interesse von Vätern an reduzierten Arbeitszeiten und Teilzeit würde steigen. Die Chance zu haben, viel Zeit mit dem eigenen Kind zu verbringen, bringt auch Männer in der Tendenz dazu, die Vollzeitnorm und unsere aktuelle Arbeitskultur stärker zu hinterfragen, sie schließlich abzulehnen und eine kürzere Arbeitswoche als neue Norm zu fordern. Mit Elternzeit für jeden Vater würden sich Männlichkeitsnormen verändern, vielfältiger werden, da Mannsein sich mehr von der Ernährerrolle und beruflichen Identität lösen könnte. Stattdessen könnten Männer ihre fürsorglichen, verspielten, zärtlichen Seiten offener leben, und sich Zeit für das Sich-Kümmern um andere zu nehmen, würde selbstverständlicher und sogar erstrebenswert. Eine Politik, die allen Männern Zeit für Fürsorglichkeit schenkt, verabschiedet sich von engen Männlichkeitsnormen und gesteht Männern zu, dass sie in vielfältigen Lebensmodellen glücklich sein dürfen und respektiert werden.

Eine solche Politik gerade in einer Wirtschaftskrise zu vertreten und die Partner*innen-Freistellung jetzt einzuführen, wäre das richtige Signal. Sie wirkt nur im ersten Moment fehl am Platz, da in Krisen das Bild des starken, im Job und an der Front unentbehrlichen Mannes heraufbeschworen wird. Ein altes Bild von Männlichkeit, das zum einen viele Männer unter Druck setzt und mit dem sie sich ungenügend fühlen, und das zum anderen dann am besten funktioniert, wenn Weiblichkeit und Queerness abgewertet werden. Die Sehnsucht nach Helden schadet nicht nur Männern, sondern einem gleichberechtigten Miteinander insgesamt, da das Rollenbild des starken Mannes durch ebenso starke Frauen und Queers gefährdet wird.

Das traditionelle Familienbild und wirkt Gleichberechtigung entgegen, statt sie zu fördern

Die Entscheidung, dass die Bundesregierung die Freistellung für Partner*innen vorerst nicht einführt, sendet die Botschaft, dass die Hauptaufgabe von Männern außerhalb ihrer Familien liegt und sie zuhause verzichtbar sind. Damit nährt die Entscheidung – selbst, wenn sie nur aufgeschoben wird – das traditionelle Familienbild und wirkt Gleichberechtigung entgegen, statt sie zu fördern.

Markus Theunert, der sich in der Schweizer Männerbewegung engagiert, beobachtete im medialen Diskurs über Männlichkeit bereits im Frühjahr 2022, kurz nachdem Russland den Ukraine-Krieg begonnen hatte, die wachsende Sehnsucht nach dem »kriegerischen Archetyp«. Theunert argumentiert in seinem Text, Männer »in einem permanenten Gefühl des Ungenügens zu halten« sei eine Strategie, männliche Vielfaltsbemühungen abzuwerten und rigide Männlichkeitsnormen zu erhalten. »Denn solange genügend Männer genügend Schiss vor ihrem individuellen Versagen haben, so lange können sie sich nicht verbünden im gemeinsamen Kampf gegen ein patriarchales System, das ihnen genauso schadet wie Frauen und Kindern«, schreibt Theuert. Es ist ein Irrglaube, dass es Männer stärken würde, ihnen die Rolle von Beschützern zuzuschreiben.

Am besten nachvollziehbar wird das am Beispiel des Krieges, denn Soldaten wird im Krieg ihre »Verwundbarkeit abgesprochen«, meint die Friedensforscherin Leandra Bias, sie würden als Waffen gesehen und entmenschlicht, was letztlich überdeckt, dass auch Männer in Kriegen leiden und sterben, und später das Sprechen über ihre Traumata und deren Verarbeitung enorm erschwert. Die Parallele zur gleichberechtigten Teilhabe von Männern an der Familienarbeit ist, dass es Männern ihre individuellen Bedürfnisse abspricht und ihre fürsorglichen und gefühlvollen Seiten abwertet, wenn man sie in die Ernährerrolle – was eine Form des Beschützers und Helden ist – drängt. Wenn Männer als unverzichtbar für die Wirtschaft dargestellt werden, ist es schwerer für sie, darüber zu sprechen, dass sie es vielleicht sogar traurig macht und verletzt, wenig Zeit für ihre Kinder und Partner*innen haben zu dürfen, und dass sie mindestens ebenso gern Vater sind wie Kollege.

Aus diesem Grund muss dem Aufschub der Partner*innen-Freistellung dringend widersprochen werden. Es ist etwas, das in einer Wirtschaftskrise angemessen wäre. Denn der Aufschub stärkt weder Männer noch Familien, sondern nimmt ihnen mehrere Dinge weg. Die Rolle von Vätern vor allem in der Wirtschaft zu sehen, engt Männlichkeitsbilder und Lebensmodelle ein. Der Aufschub nimmt Vätern und anderen Co-Eltern Zeit mit ihren Babys, die ihnen ebenso zustehen sollte wie Müttern, die über den Mutterschutz bezahlt freigestellt werden. Er verwehrt der Familie Zeit, gemeinsam in die Elternrolle hineinzuwachsen. Er verwehrt den Personen, die gerade entbunden haben, die Unterstützung zuhause, die sie dringend im Wochenbett brauchen, um sich von Schwangerschaft, Geburt, etwaigen Verletzungen oder einem Kaiserschnitt zu erholen. Die Dauer des Mutterschutzes von acht Wochen nach der Geburt hat gute medizinische Gründe, doch ohne eine zweite erwachsene Person zuhause ist der Ausdruck »Mutterschutz« obsolet.

Eine feministische Gesundheitspolitik müsste im Sinne der gesundheitlichen Prävention eine Freistellung von Partner*innen von mindestens acht Wochen fordern, denn sie würde die körperliche und psychische Überlastung im Wochenbett mindern. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Ausgaben für Unterstützung durch Partner*innen im Wochenbett langfristig sogar rechnen würden, da Gesundheit und Bindung von Eltern und Kindern stabiler wären. Überlastung im Wochenbett erhöht beispielsweise das Risiko, an einer postpartalen Depression zu erkranken, die, wenn sie eintritt, eine langwierige Behandlung nach sich zieht. Was getan werden kann, damit Menschen, die gerade ein Kind geboren haben, nicht überlastet werden, liegt glasklar auf der Hand: Sie brauchen weitere Menschen mit Zeit verlässlich an ihrer Seite. Die Partner*innen-Freistellung wäre auch präventive Gesundheitspolitik.

Die Bundesfamilienministerin hat am Montag mitgeteilt, dass die Freistellung für Partner*innen nur verschoben sei und 2024 kommen soll. Das ist zumindest Zeit genug, um unter anderem die Frage zu beantworten, wie sowohl die Partner*innen-Freistellung als auch der Mutterschutz für Selbstständige ermöglicht werden soll, um tatsächlich allen Eltern Zeit für ihr Baby und ihre Gesundheit zu gewähren. Denn Mutterschutz gibt es bislang nur für Schwangere, die angestellt gearbeitet haben, für Selbstständige gibt es einen gesetzlichen Anspruch hingegen nicht.

Gleichberechtigung wird in kleinen Schritten errungen. Die Freistellung für Partner*innen wird, wenn sie 2024 kommen sollte, gemessen an den zähen gesetzlichen Fortschritten ein großer Erfolg sein und insbesondere die Rolle von Vätern stärken. Eine große Wirkung für die gleichberechtigte Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit wird sie jedoch nicht haben, da sich um Kinder und den Haushalt zu kümmern eine Aufgabe für jeden Tag ist und das am einfachsten gelänge, wenn viel mehr Elternpaare in doppelter Teilzeit arbeiten würden oder ein Vollzeitjob generell nur noch 30 Wochenstunden umfassen würde. Eine neue Erkenntnis ist das selbst für Politiker*innen nicht.

Robert Habeck, der in der Bundesregierung aktuell für eine krisenfeste Wirtschaftspolitik zuständig ist, formulierte das bereits in seinem Väter-Buch, das 2008 erschien. Habeck argumentiert darin, dass die derzeitige Vollzeitnorm und der Druck, gleichzeitig genug Geld für eine Familie zu verdienen und sich viel um die Kinder kümmern zu sollen, Väter unglücklich machen sowie Paarbeziehungen belasten würde und der Wunsch, weniger zu arbeiten, bei Vätern zwar vorhanden, für Männer jedoch ein »massives Tabu« sei, was eine generelle Reduzierung der Arbeitszeit brechen könnte. »Väterpolitisch könnte eine neue Arbeitszeitpolitik einen Durchbruch bedeuten«, schreibt Habeck. Seine knapp 15 Jahre alte Erkenntnis muss dringend wieder politisch diskutiert werden. Denn weniger Erwerbsarbeit würde nicht nur Väter stärken, wir wissen, dass es unerlässlich ist, die Zeit für Erwerbs- und Sorgearbeit neu zu verteilen, um echte Gleichberechtigung zu erreichen. Die Zeitfrage, die derzeit unbeantwortet bleibt, ist, wie viele Jahre wir als Gesellschaft noch verstreichen lassen wollen, bis wir politisch ernsthaft angehen, was uns das Grundgesetz verspricht.