Im Wald, im Holzhaus – Michael Krüger aus der Quarantäne (7)

Der Schriftsteller Michael Krüger begann die Therapie gegen eine Leukämie gerade, als das Coronavirus sich verbreitete. Für das SZ-Magazin schreibt er Gedichte aus der Quarantäne. Folge 7: Der Blutdruck und der Vogel.

Foto: Andreas Nestl

Der Blutdruck ist in Ordnung, nur der Rest könnte besser sein,
keiner weiß, woher die Geräusche kommen, das Knistern und Knacken, das am Morgen ins Herz flieht, das Blubbern der Säfte,
und wenn man am Spiegel vorbeigeht und die Blicke aus Stein sieht,
ist das die genaueste Diagnose. Und doch gehe ich nach oben,
unters Dach, wo mein Schreibtisch steht, der schon auf mich wartet.
Jeden Tag wird es etwas grüner, und die Schwalben sind zurück,
und auch ein Flugzeug ist zu sehen, weil jemand Waffen braucht
in den sandigen Ländern, die sich verteidigen müssen
gegen stolze Habenichtse mit ölverschmierten Händen,
die alle an einen Gott glauben, der sie verlassen hat. Seit die Bäume gefällt sind, habe ich den Durchblick
auf die Ebenen der Stille, die Landstriche der Diskretion,
obwohl die Grenzen geschlossen sind und der Schatten sich
auf den Wänden am Stall gegenüber festgekrallt hat.
Man weiß nicht, was man denken soll, der Wille, die Wahrheit
zu sagen, ist auch nicht mehr da, am besten, man sitzt es aus.

Warum schreibst du den ganzen Tag, fragt ein Vogel,
der in der Nähe sein Nest haben muss. Er hat die Größe
einer Meise, ein Gesicht wie eine Maske, ein knappes Wams,
die Seitenflügel sehen aus wie kurze Schwerter.
Dumme Frage, sage ich, nur Idioten versuchen eine Antwort,
lass mich in die Landschaft schauen, das weiße Papier vor mir,
das sich an den Rändern langsam einrollt wie ein trockenes Blatt
unter der Sonne. Der Vogel mit den großen glänzenden Augen
und der selbstgefälligen Pose sitzt auf dem Fensterrahmen
wie ein antiker Schauspieler, der die Wahrheit weiß.
Du gehörst zur Geschichte, rufe ich dem Vogel zu, und
Geschichte kann man nicht anfassen, hat uns Robert gelehrt,
also verschwinde! Wir sind zur Ohnmacht verurteilt, basta.
Aber ich gehe ins Offene, lege mich auf die Wiese, den Hölderlin
in der Tasche, und höre den Käfern zu, den unschuldigen Wanderern,
die keine Tabletten brauchen auf ihrem holprigen Weg
in den Schnabel eines Vogels.