Heute darf ich die Zeitung von Donnerstag lesen, also
muss Sonntag sein. Die Luft ist so klar und durchsichtig,
dass ich von meinem Schreibtisch aus die Fliegen sehen kann,
die am Schuppen kleben. In der wirklichen Welt, wenn es
sie überhaupt gibt, glaubt man an künstliche Menschen,
um endlich die Selbstentmachtung des wirklichen Menschen
voranzutreiben. Man möchte eine Kopie unserer Welt,
von allem Leben gereinigt. Ein gut geölter Robot,
mit allen Philosophien gefüttert, die in ihm endgültig
zur Ruhe kommen, soll dann unser Leben bestimmen.
Unser Leben. Als ich nachmittags im Dorf war,
hingen an allen Gartenzäunen die Müllsäcke.
Am Müll kann man die soziale Logik der Singularisierung
ablesen, auf jeden Fall gibt es genug Material; am Montag
wird geleert. Kann man sich noch an Professor Mandelbrot
und seine Apfelmännchen erinnern? Er war Ehrendoktor
der Johns-Hopkins-Universität, wo heute die Toten
gezählt werden, und sah überall fraktale Strukturen,
auch in der Musik und in Börsenkursen. Es geht alles
nicht so glatt von der Hand, wie man denkt, sagte er,
in Warschau geboren, vor den Nazis geflohen,
2010 in Cambridge/Massachusetts gestorben,
jedes Ding hat eine raue Oberfläche, die man nicht sieht.
Wolken wie zerknülltes Papier. Kein Mensch unterwegs.
Hinter einem Fenster sah ich ein Kind, das erschrak,
als es mich sah, wie ein Schlafwandler sah es aus,
der am Rand des Abgrunds plötzlich erwacht.
Nachhaltig, stand auf den prallen Müllsäcken,
aber nachhaltig, habe ich gelernt, sind nur die Götter.
Im Wald, im Holzhaus (14)
Der Schriftsteller Michael Krüger begann die Therapie gegen eine Leukämie gerade, als das Coronavirus sich verbreitete. Für das SZ-Magazin schreibt er Gedichte aus der Quarantäne. Folge 14: Kann man sich noch an Professor Mandelbrot erinnern?