Im Wald, im Holzhaus (11)

Der Schriftsteller Michael Krüger begann die Therapie gegen eine Leukämie gerade, als das Coronavirus sich verbreitete. Für das SZ-Magazin schreibt er Gedichte aus der Quarantäne. Folge 11: Gartenkonzerte. 

Foto: Andreas Nestl

Seit die Bäume endlich wieder Blätter tragen,
gibt auch der Wind wieder Gartenkonzerte.
In der Linde wird die Matthäus-Passion geprobt,
in der Buche die zu Tränen rührenden Choräle von Bach.
Und wenn man sich unter die Trauerbirke setzt,
die selber aussieht wie eine kostbare Stimmgabel,
hört man selten aufgeführte Werke von Debussy.
Die Zweige der Trauerbirke berühren den Boden,
der Ostwind lässt sie sanft über das Gras schleifen,
sodass Käfer und andere Insekten mühelos
aufsteigen können wie auf einer Jakobsleiter.

Ich sitze gern eingemummelt beim Schuppen,
wo zwei Winde sich treffen nach der Natur,
und höre, wie mir das Wasser um die Füße schwappt,
das Meer vor der Haustür, und Manfred Trojahn
neben mir erklärt mir die Geheimsprachen der Musik.
Nur die Nussbäume sind noch kahl, kein Blatt ist zu sehen,
kein Denkzettel, ihre Immunsysteme sind wie meines
total im Eimer. Sogar Möwen segeln über das Haus
auf dem Weg zu den Äckern jenseits der Straße,
wo sie den Bauern die junge Saat vermasseln.
Und gestern, bei plötzlicher Windstille, sehe ich
eine Schar Enten über mir in Richtung Alpen fliegen.

Du weißt, wie schwer es für Enten ist, aus dem Wasser
zu kommen. Sie müssen, weil sie so schwer sind,
wie ein Flugzeug über die Landebahn über das Wasser
laufen, das ergibt das schöne rhythmische Geräusch,
und dann ab in die Lüfte auf Nimmerwiedersehen.
Keine Ahnung, was mit den Nussbäumen los ist!
Ich weiß, dass sie nachts atmen, Xylem und Phloem
funktionieren, aber warum die Fotosynthese nicht klappt,
das wissen die Götter. Sie sollen es den Eichhörnchen
beibringen, ich tue so, als ob ich nichts wüsste.
Mit einer Musik jedenfalls ist nicht zu rechnen.