Aus Versehen haram

Der Freund des zwölfjährigen Sohnes unserer Leserin ist muslimischen Glaubens und verzichtet auf Schweinefleisch. Sollte man es ihm beichten, wenn man ihm ohne Absicht doch welches vorgesetzt hat?

Illustration: Serge Bloch

»Ein guter Freund unseres Sohnes ist muslimischen Glaubens. Wie streng gläubig er ist, wissen wir nicht, auf jeden Fall isst er kein Schweinefleisch. Natürlich berücksichtigen wir das, wenn er zu Besuch ist und ich koche. Ich habe mich aber schon öfter gefragt, was wäre, wenn ich nach dem Essen feststelle, dass die Mahlzeit ver­sehentlich Schweinefleisch enthielt. Was dann? Die Sache dem Jungen beichten oder es auf sich beruhen lassen, da er es ja sowieso nicht merken würde? Die Jungs sind beide zwölf.« Kathrin S., Dachau

Die betreffende Stelle im Koran – Sure 2, Vers 173 – unterscheidet zwischen dem vorsätzlichen Verzehr von Schweinefleisch und dem, was aus einer Not heraus geschieht. In letzterem Fall gilt es nicht als Sünde, wobei noch einige Dinge zu beachten sind, unter anderem muss ein gewisses Maß eingehalten worden sein. Der Gläubige muss sein Fehlverhalten aber vor seinem Gewissen und vor Allah, seinem Gott, rechtfertigen. Und da ist die Frage, ob ein Zwölfjähriger davon nicht überfordert ist. Der Ärmste. Stellen Sie sich vor, Sie rufen ihn nach Tisch zu sich und sagen ihm, du, mir ist da leider etwas Blödes passiert. Die Nöte, in die ihn dieses Wissen stürzen könnte, wären schlimmer als die realen Folgen eines einmaligen Schweinefleischverzehrs im Jahr 2022. Die religiösen Vorschriften stammen ja aus Zeiten, in denen es plausible Gründe dafür gab, kein Schweinefleisch zu essen. Etwa gesundheitliche. Durch den Verzehr geschlachteter Schweine können Krankheiten übertragen werden, die zu Lebzeiten Mohammeds ­(ca. 570–632) weder verhindert noch behandelt werden konnten. Außerdem wird für die Schweinezucht viel Wasser benötigt, was in einer warmen Region wie dem Nahen Osten auch eine Rolle gespielt haben mag. Genau weiß man nicht, wa­rum der Verzehr von Schweinefleisch in einigen Religionen verboten ist. Ist halt so. Und manche Menschen halten sich daran.

Ich würde Sie deshalb bitten wollen, dass Ihnen dieses Versehen einfach niemals passiert. Als Erwachsene tragen Sie für diesen Jungen bei seinen Besuchen die Verantwortung, und Sie kommen ihr ja, wie es klingt, auch gewissenhaft nach. Da Sie das Worst-Case-Szenario schon vorbeugend in Gedanken durchspielen, liegt der Verdacht nahe, dass Sie selbst sich, sollte es wirklich passieren, am allerschlechtesten fühlen würden, und deshalb ist davon auszu­gehen, dass Sie niemals real vor diesem Dilemma stehen.