»Ich bin Redakteur einer Oldtimerzeitschrift – und in meinem Heimatort bei den Grünen aktiv. Beruflich muss ich bollernde Motoren und schwarze Auspuffwolken gut finden, privat bin ich der Meinung, dass eine solche Verbrenner-Verherrlichung nicht mehr tolerabel ist. Ich mache den Job nur, weil er mir große zeitliche Flexibilität gestattet und ich ohne feste Bürozeiten meine drei Kinder betreuen kann. Wie kann ich diesem Dilemma entkommen?« Alexander B., Aachen
Gegenfrage: Wie sehr leiden Sie darunter? Das ist das Einzige, was zählt. Denn Ihnen zu raten, sich eine andere Arbeitsstelle zu suchen, wäre vermessen. Schließlich ermöglicht sie Ihnen, Ihre Kinder zu betreuen. Wäre es eventuell denkbar, das System von innen auszuhöhlen, indem Sie hin und wieder kritische Artikel über Verbrenner-Motoren schreiben, die den Glauben der Leserschaft in diese überholte, umweltbelastende Technik allmählich zersetzen? Ja, ich weiß schon, natürlich würden solche Texte gar nicht erst gedruckt.
Ich fürchte, ich ziehe diesmal den Joker und zitiere den bekannten Satz von Adorno. Sie wissen schon. Den Schlusssatz aus Asyl für Obdachlose, einem längeren Kurzessay aus Theodor W. Adornos Minima Moralia, das 1951 mit dem grandiosen Untertitel Reflexionen aus dem beschädigten Leben bei Suhrkamp erschien. Das Kapitel handelt vom Wohnen. Genauer: von der Unmöglichkeit, heute (gemeint ist: nach den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs) noch richtig zu wohnen, also sich selbst gemäß statt von einem System diktiert, das keine Individualität zulässt, weil das ganze Leben, auch der private Raum, entweder vom konsumfördernden Kapitalismus bestimmt ist oder der Ablehnung desselben. Heute wird der Satz andauernd irgendwo zitiert, weil sich mit ihm so schön rechtfertigen lässt, dass man trotz allem immer noch Fleisch isst / bei Amazon bestellt / fliegt oder Ähnliches. Es ist wirklich ein sehr guter und wahrer Satz: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.«
Irgendwie habe ich aber den Verdacht, dass Ihre Frage bereits der erste Schritt auf dem Weg ist, der Sie über kurz oder lang aus Ihrer jetzigen beruflichen Situation hinausführen wird. Möglicherweise haben auch andere Redaktionen flexible Arbeitszeiten? Um noch mal Adorno zu zitieren: »Keine Verbesserung ist zu klein oder geringfügig, als dass man sie nicht durchführen sollte.«