Der Club der Geplagten

Die Rue Crémieux in Paris ist einer dieser pittoresken Orte, die Touristen für Selfiezwecke missbrauchen. Die Anwohner wehren sich mit Spott: Auf der Instagramseite »@clubcremieux« führen sie den Fotografier-Drang der Besucher vor.

Opfer der eigenen Schönheit: die Rue Crémieux. 

Foto: Getty Images

Es könnte so nett sein, hier in der Rue Cremieux im zwölften Arrondissement in Paris. Die kaum mehr als 100 Meter lange Straße wurde Anfang der Neunzigerjahre zur Fußgängerzone umgewandelt, Hauswände und -türen bunt angemalt, große Blumenkübel davor gesetzt. Ein Influencer postete vor zwei Jahren ein Foto mit dem Hashtag #ruecremieux, bald folgten Instagram-Horden, die auf der Suche nach einem guten Foto keine Grenzen kennen. Die Anwohner forderten genervt Zutrittssperren, aber ohne Erfolg. Einige von ihnen wehren sich mit der Instagramseite »@clubcremieux«, die das absurde Selfiespektakel lakonisch kommentiert. Hier einige Höhepunkte:

Was, bitte, soll dieses Foto? Die letzte überraschende Perspektive bieten – in einer todfotografierten Straße.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Bleib noch kurz liegen, die Straßenreinigung fährt um halb vier durch.

Was, bitte, soll dieses Foto? Vermutlich handelt es sich um eine Fitness-Influencerin, eine besonders anstrengende Unterform des Influencers.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Soll ich besser unter ihrem Bein durchkriechen oder über dem Bein durchspringen, um das Haus verlassen zu können?

Was, bitte, soll dieses Foto? Äh. Also. Äh. Nein, leider keine Ahnung. Irgendwas mit Farben.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Schatz, wäre es nicht schön, wenn wir alle Fenster zumauern? 

Was, bitte, soll dieses Foto? Offenbar eine Unterform der Fitnessinfluencerin: die Ballett-Influencerin.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Lass uns die Gitter vorm Fenster abschrauben – lieber Einbrecher im Haus als Influencer.

Was, bitte, soll dieses Foto? Der grundlose Handstand ist eines der beliebtesten Motive von Fitness-Influencern.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Mit etwas Anlauf schaffe ich mit den Einkaufstüten eine Flugrolle über die Frau. 

Was, bitte, soll dieses Foto? Wie gesagt: der Handstand ist ein Klassiker der einfallslosen Instagrammotivsuche.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Doppelter Handstand! Wie überraschend, das hab ich heute erst fünf Mal gesehen.

Was, bitte, soll dieses Foto? Schlimmstenfalls: Der Weihnachtsmann hat Instagram für sich entdeckt und dieses Jahr gibt es keine Geschenke, weil er lieber Selfies macht. Bestenfalls: Der Kobold und der Weihnachtsmann suchen den Rest vom Junggesellenabschied und haben sich nur verlaufen.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Ho, ho, hol euch der Teufel.

Was, bitte, soll dieses Foto? Wenn es ein Heiratsantrag ist, kann es nur eine Antwort geben: niemals.  
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Ich weiß schon, wer die Blumen heute Abend wegkehren darf.

Was, bitte, soll dieses Foto? Dieser Mann hat es geschafft: Er macht Selfies vor einem Haus, das ihm nicht gehört, mit Flaschen, die er vermutlich schon leer fürs Foto gekauft hat. 
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Ich weiß schon, wer die Scherben heute Abend wegkehren darf.

Was, bitte, soll dieses Foto? Paris, Stadt der Liebe.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Paris, Stadt der Hiebe.

Was, bitte, soll dieses Foto? Das weiß nur er. Und man möchte ihn nicht fragen.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? So bald ich die Fenster zugemauert hab, schraube ich den Briefkasten ab.

Was, bitte, soll dieses Video? Cool sein.
Was denken die Follower? Tolle Idee, das mach ich nach!
Was denken die Anwohner? Das letzte Mal, dass ich mich so wenig über Deutsche gefreut habe, war 1940.