Vor rund 12 000 Jahren endete die letzte Eiszeit, die Menschen zogen als Jäger und Sammler durch die Wälder und folgten dem Wild, von dem sie sich ernährten. Als Werkzeuge nutzten sie Steine, Stöcke und Knochen. Wie sie zu dieser Zeit mit diesen Mitteln einen Ort wie Göbekli Tepe erschufen, ist immer noch ein Rätsel. Tonnenschwere Steinpfeiler ragen dort aus der Erde. Die Bauwerke gehören zu den ältesten Monumenten der Menschheitsgeschichte. Entdeckt hat sie 1994 der deutsche Prähistoriker Klaus Schmidt im Südosten der Türkei, in der Nähe der Stadt Şanlıurfa. Die Ausgrabungen, die damals begannen und bis heute andauern, werden vom Deutschen Archäologischen Institut, kurz DAI, und dem Archäologischen Museum Şanlıurfa durchgeführt.
Jens Notroff kam 2006 als Student zum ersten Mal nach Göbekli Tepe, um bei den Ausgrabungen zu helfen. Für ihn bedeutete das vor allem: Funde sortieren, säubern und dokumentieren. Dazu fertigte er sogenannte Fundzeichnungen an, die zum Handwerk eines Archäologen gehören. Beim Zeichnen können interessante Details, Verzierungen oder Bruchkanten besser hervorgehoben werden als durch ein Foto, das ist die Idee dahinter. Fundzeichnungen sind visuelle Notizen. Notroff hatte an der Universität Seminare dazu absolviert, aber er konnte ohnehin schon kunstvoll zeichnen, es war ein Hobby von ihm.
Die abgetragene Erde wird von den Archäologinnen und Archäologen durch ein Sieb gerieben, um kleinste Fundstücke zu entdecken, Pfeilspitzen oder Tierknochen etwa. Um sich vor der Sonne zu schützen, sitzen sie im Schatten. In der Gegend ist es im Sommer so heiß, dass die Ausgrabungen jedes Jahr nur innerhalb von wenigen Wochen im Frühjahr und Herbst stattfinden. Die Winter sind oft zu kalt.
Die Funde werden in das sogenannte Grabungshaus in Şanlıurfa gefahren. Dort werden sie gereinigt, sortiert, vermessen, fotografiert und gezeichnet. Diese Arbeiten finden meistens am Nachmittag statt, wenn es draußen zu heiß ist, um zu arbeiten.
In den folgenden zwölf Jahren kam Notroff immer wieder nach Göbekli Tepe und wurde vom DAI in Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt. Die Grabungsstätte wurde in dieser Zeit durch Medienberichte weltberühmt, seit 2018 gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Spannendste, sagt Notroff, sei für ihn der Grad an Organisation und Struktur, den die Menschen vor zwölf Jahrtausenden hier an den Tag legten, um so ein gewaltiges Gemeinschaftsprojekt zu realisieren. Die Menge an Tierknochen und Reibsteinen, die gefunden wurden, könnten auf große Mengen an Nahrung hindeuten, die wohl nötig gewesen sind, um die beteiligten Arbeiter zu versorgen. Warum sich die Menschen hier versammelten und die Bauten errichteten – das ist bis heute unklar.
Die Archäologinnen und Archäologen fanden auch Tausende Mahl- und Reibsteine (Bild oben) in der Erde, die sie sammelten und dokumentierten (unten). Die Steinzeitmenschen schroteten damit Wildgetreide, zum Beispiel Einkorn, wie mit einem Mörser. Daraus mischten sie vermutlich einen Brei oder buken Brot. Fermentierungsrückstände in Steingefäßen deuten zudem darauf hin, dass sie eine Art Bier brauten.
Die Fahrt von der Ausgrabungsstätte in die Stadt im engen Minibus. Die Arbeiter aus den Dörfern sind teilweise in zweiter oder dritter Generation mit den Ausgrabungen beschäftigt und haben laut Notroff ein »sensationelles Archäologieverständnis«.
Ein begehrtes Jagdwild war der Auerochse, der heute ausgestorben ist. Reliefs dieser imposanten Tiere finden sich ebenfalls auf den Steinpfeilern. Bei den Füchsen (siehe oben) ist der gesamte Körper in der Seitenansicht zu sehen – von dieser Perspektive weichen die Köpfe der Auerochsen ab: Sie sind in einer Art Draufsicht dargestellt, die womöglich den Blick des Jägers spiegeln soll, dem ein Auerochse mit gesenktem Kopf in wehrhafter Haltung gegenübersteht. Dies könne darauf zielen, die Gefährlichkeit dieser Tiere zu betonen, sagt Jens Notroff.
Wie die Auerochsen und die Füchse wurden auch die Tierreliefs unten aus den Steinpfeilern herausgearbeitet. Interessant sei auch hier die Perspektive, sagt Notroff. Die Steinzeitmenschen stellten die Schlange und den Skorpion offenbar so dar, wie sie diese Tiere erlebten: Sie schauten von oben darauf.
Alle Tierdarstellungen seien auffallend naturalistisch und zeugten von großer Beobachtungsgabe, sagt Jens Notroff – bis auf einige Kraniche (rechts). Die Beine der Vögel wirkten anatomisch eher wie die von Menschen. Deshalb vermuten Notroff und seine Kolleginnen und Kollegen, dass die Kraniche eigentlich Menschen darstellen, die ein Kranichkostüm tragen. In manchen Kulturen war der Kranich ein Symboltier, für Klugheit oder ein langes Leben etwa. In einigen Gegenden Japans und auch der Türkei ist es noch heute Brauch, die Balztänze der Kraniche nachzuahmen.