Sind stehende Ovationen eine Zumutung für die Hinterleute?

Unser Leser gab nach einem Theaterstück minutenlang Applaus im Stehen – und nahm dabei einer Frau die Sicht. Beschwerte sie sich zu Recht?

Illustration: Serge Bloch

»Fantastischer Macbeth im Schauspielhaus Bochum. Standing Ovation. Nach drei Minuten stehendem Applaus tippt mir eine Frau aus der Reihe hinter mir auf den Rücken. Ob ich mich setzen könnte, sie wolle auch etwas sehen. Meine ­Antwort: Sie können doch auch aufstehen. Sie: So etwas ­machen wir nicht. Meine Reaktion: Dann ist das Ihr Problem. Habe ich mich richtig verhalten? Die Frau war offensichtlich nicht körperlich beeinträchtigt. Fand ihr Verhalten ­pseudo-kulturbürgerlich ­arrogant.« Philipp E., Essen

Mann, haben Sie Glück, dass Sie in der Nähe des Schauspielhauses Bochum wohnen. Von Berlin aus ist das leider echt weit weg. Würde so gern dort den Hamlet sehen, mit Sandra Hüller in der Titelrolle. Haben Sie den gesehen? Auch in der Regie von Johan Simons, wie der Macbeth, in dem Sie waren. Auf Youtube kann man sich diese Hamlet-Inszenierung, die 2020 zum Theatertreffen eingeladen war, in voller Länge ansehen und so wenigstens auf dem Bildschirm erleben, wie Sandra Hüller da nicht nur Prinz Hamlet ist, sondern auch der Geist seines Vaters, König Hamlet, der sozusagen in sie hineinfährt und durch sie, beziehungsweise also durch seinen Sohn, den Prinzen, spricht. Das ist doch wirklich mal ein sinnvoller Regieeinfall. Denn es ist sogar plausibler, dass jemand die Stimme seines toten Vaters zu vernehmen glaubt, als dass ein Toter auftritt und Text hat. Nichts gegen die Auferstehung von Toten natürlich, gerade auf Bühnen, aber hier und da macht eine neue Interpretation ja auch Spaß. Der Bochumer Macbeth, den Sie gesehen haben, ist dieses Jahr zum Theatertreffen eingeladen. Sie klingen, als sollte man da unbedingt hin.

Zu Ihrer Frage: Sie haben jedes Recht der Welt, dem Ensemble Ihre Begeisterung nach einer Vorstellung durch Applaus im Stehen zu zeigen. Das ist eine eingeübte Theatersitte, und so wahnsinnig viele andere Möglichkeiten, den Schauspielern Anerkennung zu zeigen, hat das Publikum ja nicht. Okay, man könnte Blumen werfen, aber am Ende bekommt das dann wieder jemand an den Hinterkopf. Wenn die hinter Ihnen sitzende Frau unbedingt sehen will, wie die Schauspieler den Riesenapplaus entgegennehmen, sich aber zu fein dafür ist, aufzustehen, dann ist es leider wirklich ihr Problem, wenn sie minutenlang nur Ihre Anzughose vor Augen hat. Sie kann sich ja in Zukunft um Karten in der ersten Reihe bemühen. Im Rang erste Reihe geht auch.