Ach, Buenos Aires. Um kaum ein Ziel meiner Reise wurde ich so beneidet wie um dieses. Diejenigen, die schon da waren, schwelgten seufzend in Erinnerung. Alle anderen wollten schon immer hin.
Buenos Aires ist in vieler Hinsicht eine Einstiegsdroge, ein bisschen Madrid, ein bisschen Paris. Und ein bisschen unbeschreiblich: brüllend laute Großstadt mit der breitesten Straße der Welt, der 18-spurigen Avenida 9 de Julio, und nur ein paar Blocks weiter verträumtes kopfsteingepflastertes Dorf. Im Stadtteil Recoleta bourgeoise Pracht mit Bürgersteigen aus Marmor – und kaum 500 Meter weiter einer der größten Slums der Stadt, Villa 31. Nachts durchwühlen cartoneros die Müllsäcke vor den Häusern nach Brauchbarem. Am nächsten Morgen werden die Überreste mit ein paar Eimern Wasser weggespült, und die paseas perros, die amtlich registrierten Hundesitter, führen ihre Rassehunderudel in den nächsten Park.
Und natürlich der Tango. Viele Anfragen und Empfehlungen der SZ-Magazin-Leser bezogen sich darauf: Bitte Schuhe mitbringen, bitte eine Show im »El Sur« besuchen und unbedingt Tango in der Sporthalle Sunderland tanzen. Ehrlich, ich hab’s probiert. Hab zwei Privatstunden genommen, Milongas besucht (die Tanznächte, die nach Mitternacht beginnen und im Morgengrauen enden) – und mich jede Sekunde unbehaglich gefühlt. Inzwischen kommen so viele deutsche und japanische Tango-Touristinnen in die Stadt – in der Mehrzahl gut verdienende Singlefrauen auf der Suche nach der wahren Leidenschaft –, dass daraus eine ganze Branche entstanden ist: die sogenannten taxi dancers, Männer, die einen für 20 Euro pro Stunde zu den Tanzveranstaltungen begleiten. Nicht wenige alte Tangueros schauen mit einiger Verachtung auf den Trend: »Was wollen all diese chicas hier? Ich fliege ja auch nicht nach Japan und mache dort Tai Chi.«
Andere Aufträge waren besser: »Bitte gehe in das Steak-Restaurant ›La Brigada‹ in San Telmo, und iss dort ein Filetsteak, welches du dir mit jemandem teilen solltest. Denn dann kommt der Kellner und zerteilt es mit dem Löffel (!), so zart ist dort das Fleisch. Und da uns das mit dem Löffel niemand glaubte, bestätige es bitte offiziell im SZ-Magazin.« Hiermit offiziell bestätigt, liebe Brigitta, danke für den Auftrag. Ebenfalls Dank an Freerk für den Auftrag, eine matambre a la pizza zu essen (eine typisch argentinische Erfindung: Pizza mit Tomaten und Käse drauf, nur dass sie statt Pizzateig Fleisch nehmen), und an Anne für den Job, das Geheimnis der sensationellen argentinischen Eiscreme zu ergründen: Sie schlagen nicht so viel Luft hinein wie andere und benutzen keine Sahne, sondern Milch und Eier, was dafür sorgt, dass das Eis nicht tropft beim Schmelzen, weil die Grundmasse dicker ist. Deshalb kann es bei etwas höherer Temperatur serviert werden, was dem Geschmack zugutekommt.
Des Weiteren habe ich nach Gräbern von Großonkeln und vom Schriftsteller Adolfo Bioy Casares gefahndet (im Friedhof La Recoleta, in einem schöneren Grab als Evita Perón), Tangoherrenschuhe in weißem Lackleder (Größe 42) besorgt, nach dem japanischen Bandoneonspieler in der Tangobar »Casa Blanca« gesucht und wieder mal bei vielen Aufträgen mehr über die Stadt erfahren als aus jedem Reiseführer. Beispiele? Bitte: Können Sie uns ein gutes Schwimmbad empfehlen? Gern: das Freibad im Parque Norte. Charmant die Sitte, dass man vor dem Baden ärztlich auf Hautkrankheiten und Läuse untersucht wird. Ebenfalls unvergesslich: das in der Nähe liegende religiöse Disneyland Tierra Santa, in dem stündlich die Schöpfung (20 Minuten), das Abendmahl (5 Minuten) und die Auferstehung (8 Minuten) stattfinden.
Sind argentinische Männer wirklich so hübsch? Absolut, Svenja. Vorausgesetzt, man mag Nackenzöpfchen und Vokuhilas, bei älteren Männern gern als Vonihila (vorne nichts, hinten lang). Unglaublich übrigens die Auswahl an Shampoos in den Supermärkten, ganze Gänge sind voll davon. Der mit weitem Abstand beste Job kam von der Berliner Grafikerin Martina Wember: Ich möge ihr gezeichnetes Buch über die Gemeinsamkeiten von Berlin und Buenos Aires dem vielbeschäftigten Kunstbuchverleger Guido Indij zeigen. Kein Problem: Guido ließ sich zum Essen einladen, schaute sich das Buch an, hat Martina jetzt mit einem Band über Buenos Aires beauftragt und mich daraufhin zu einem Asado eingeladen, einem argentinischen Barbecue mit fünf Gängen Fleisch. Danke, Martina, danke, SZ-Magazin: für vier Kilo mehr in vier Wochen Buenos Aires und einen Haufen unvergesslicher Erinnerungen.
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Foto: Luise Aedtner