"Das wird zur Sucht"

Der Fotograf Juri Gottschall sammelt Alltagsbeobachtungen. Ein Gespräch über den kleine Entdeckungen, das Schöne im Hässlichen und den Zwang immer eine Kamera dabei haben zu müssen.


    Name: Juri Gottschall
    Geboren: 1979
    Ausbildung: Autodidakt
    Webseite:
    www.jurigottschall.com

    SZ-Magazin: Herr Gottschall, die Bilder, die wir hier zeigen, stammen aus Ihrem Blog, es sind also keine Auftragsarbeiten, sondern Alltagsmomente, die Sie festgehalten haben. Wie entstehen solche Fotos?
    Juri Gottschall:
    Ich fahre gerne etwas ziellos mit dem Auto durch die Stadt und schaue, was an mir vorüberzieht - mit dem Ziel Bilder zu machen. Mitunter fahre ich auch gezielt an Orte, die mir vielversprechend erscheinen.

    Wie hoch ist die Ausbeute an solchen Tagen?
    Das ist ganz unterschiedlich. Früher habe ich viel Ausschuss produziert, inzwischen habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, welche Motive es nicht unbedingt wert sind für sie stehen zu bleiben. Es gibt auch Tage ohne Fotos, oder andere, wo ich dreimal an einen Ort fahre, um ihn bei unterschiedlichem Licht zu fotografieren. Haben Sie im Alltag immer eine Kamera dabei?
    Meistens habe ich eine kleine Kamera dabei. Es gibt aber auch Tage, an denen ich versuche nicht als Fotograf unterwegs zu sein, dann lasse ich sie bewusst zuhause. Das fällt mir nicht immer leicht.

    Meistgelesen diese Woche:

    Hat Ihr Handy eine Kamera? Und benutzen Sie die?
    Nur um Ideen festzuhalten. Gut, außer wenn wirklich etwas unwiederbringliches an mir vorbei geht, dann nehme ich das mit dem Handy auf, sonst komme ich mit meiner richtiger Kamera wieder.

    Auf Ihren Alltagsaufnahmen sieht man auch Menschen, wie gehen Sie da vor? Sagen Sie: Hallo, ich würde dich gerne fotografieren, bleib mal stehen?
    Ich versuche die Personen eher spontan aus dem Hinterhalt aufzunehmen, unentdeckt - und gehe danach hin und sage: ich habe gerade ein Foto von dir gemacht. Eine vorherige Ankündigung würde so manche Situation nur zerstören.

    Kann es anstreng sein, als Fotograf immer mit diesem nennen wir es Fotoblick durchs Leben zu gehen, also alles und jeden auf ein mögliches Motiv hin zu untersuchen?
    Ja, definitiv. Auch dass man manchmal drunter leidet, wenn man keine Kamera dabei hat. Ich suche unbewusst ständig.

    Haben all Ihre Momentaufnahmen eine gemeinsam künstlerische Idee oder Botschaft?
    In meinen Alltagsbildern versuche ich die Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umgebung zu erforschen. Ich finde es spannend zu entdecken, dass sich im scheinbar Hässlichen bei genauerem Hinsehen oft so viel Schönes verbirgt. Man muss keine großen Geschichten erfinden, oder um die Welt reisen, denn im Kleinen findet sich so viel. Ich bin etwa noch immer sehr von dem Thema Volksfest fasziniert: der Schein des Vergnügens, das Oberflächliche. Ich freue mich darauf, wenn die Volksfest-Saison im Frühjahr wieder los geht.