SZ-Magazin: Ist Ihnen die Idee für die Fotoreihe gekommen, als Sie selbst nach einer durchfeierten Oktoberfestnacht der Letzte in einem Bierzelt waren?
Michael von Hassel: (lacht) Nein, das war eher zufällig, denn meine Ursprungsidee war an einem Samstagnachmittag den vollen Oktoberfest-Wahnsinn zu fotografieren. Ein guter Freund von mir, Christian Schottenhamel, ist Festzeltwirt und hat mir dafür eine Armbinde gegeben, sodass ich zu jederzeit ohne Probleme in die Zelte konnte. Und dann bin ich eben auch mal nachts in ein Zelt, als die Party schon vorbei war und die Zelte gerade aufgeräumt wurden.
Und wieso hat Sie ein leeres Bierzelt dann mehr fasziniert?
Wenn man so ein vollgefülltes Oktoberfestzelt sieht, kann man die Wucht und die Macht des Ortes gar nicht richtig erfassen. Diese schiere Größe und Funktion gehen völlig unter, weil sich dort einfach zu viel Anderes abspielt. Deswegen fand ich es sehr spannend, die Zelte mal zu einer anderen Uhrzeit und in einem anderen Blickwinkel zu fotografieren.
Trifft man zu so später Stunde denn wirklich niemanden mehr auf dem Oktoberfest an?
Doch, da gibt es noch ganz viele kuriose Gestalten und man würde sich wundern, wie viele Menschen da noch unterwegs sind. Ich dachte anfangs auch erst, das könnte etwas eigenartig werden, weil ich ja immer alleine arbeite und man in der Dunkelheit vielleicht auch dunkle Gestalten trifft. Aber ich habe größtenteils nur ganz wunderbare und interessante Menschen getroffen.
Wen zum Beispiel?
Ganz besonders waren vor allem die Nachtwächter, die fast alle ganz tolle Hobbys hatten. Der eine hat Gedichte geschrieben, der andere die großen Philosophen, andere haben gerne gestickt oder gemalt. Fasziniert hat mich aber vor allem der Nachtwächter des Weinzeltes, der auf das Zelt aufpasst, wie auf seinen Augapfel. Er hat sich auch so gefreut, als er mir das Zelt zeigen konnte! Er war einfach so glücklich mit seinem Job, das war unglaublich.
Sie sind in München und somit mit dem Oktoberfest aufgewachsen. Haben Sie auch Spaß in vollen Bierzelten?
Man kann natürlich überall Spaß haben, wenn man die richtigen Leute um sich hat. Aber ich finde es mittlerweile fast schöner, alleine dort zu sein. Solche Momente erlebt man eben normalerweise nicht.
Ihre Fotoreihe heißt »Oktoberfest Cathedrals«. Wie kamen Sie auf diesen Vergleich?
Wenn man vom Optischen mal absieht, ist es in gewisser Art und Weise ja auch eine Art Kult, die auf dem Oktoberfest seit 200 Jahren gelebt wird. Auch dort hat man Rituale und Gesänge, die jeder kennt. Es ist aber natürlich viel plumper als in einer Kirche, schließlich geht es dort vor allem um Bier und Essen.
Und wie riecht es dann morgens um vier Uhr nach einer durchzechten Nacht in einem leeren Bierzelt?
(lacht) Interessant, würde ich sagen. Nein, eigentlich war der Geruch schon wieder normal, da ich die Fotos erst gemacht habe, nachdem die Zelte gereinigt wurden. Diesen Vorgang einmal zu sehen, ist aber auch sehr interessant: Da gehen annähernd zwanzig Menschen in Schutzanzügen durch die einzelnen Reihen und spritzen das ganze Zelt von oben bis unten ab. Dadurch entsteht so viel Dampf, dass es fast ist, als würde man durch eine Wolke in das Zelt hineinschauen.
Fotos: Michael von Hassel