Name: Julian GermainGeboren: 1962 in London, Großbritannien
Ausbildung: Bachelor an der Trent Polytechnic in Nottingham, Master am Royal College of Art in London
Homepage: www.juliangermain.com
SZ-Magazin: Herr Germain, Ihre Schulzeit ist schon einige Jahre her. Was hat Sie trotzdem dazu motiviert, in über 20 Ländern mehr als 450 Klassenzimmer-Porträts zu machen?
Julian Germain: Ich begann mich dafür zu begeistern, als meine Tochter in die Schule gekommen ist. Eine Klassengemeinschaft ist ja etwas, das jeder schon mal erlebt hat. Zuerst besuchte ich sechs Schulen im Nordosten Englands, meiner Heimat, dann in ganz Großbritannien. Ursprünglich war ich wegen meinen eigenen Kindheitserinnerungen nur an Großbritannien interessiert. Später besuchte ich Schulen auf der ganzen Welt.
Wieso haben Sie Ihre Arbeit auf so viele Länder ausgeweitet?
In Großbritannien zum Beispiel hatte ich eine Ausstellung. Dabei wurde ich eingeladen, in Argentinien Fotoworkshops zu veranstalten und schließlich arbeitete ich mehrere Jahre in Brasilien. Dann reiste ich nach Amerika oder hatte einen Auftrag in Deutschland. Später wurde das British Council auf meine Arbeit aufmerksam und beauftragte mich, nach Nigeria zu reisen und dort Schulen zu fotografieren.
Ständig wird über Schuluniformen diskutiert. Auf Ihren Fotos sind Kinder in teurer Markenkleidung, aber auch in einheitlichen Schuluniformen abgebildet. Denken Sie, dass Kleidung die Schüler verändert?
Was Kinder in der Schule tragen, erzählt etwas über ihre Kultur. Bei kleinen Umfragen in den Klassen zeigte sich, dass 96 Prozent der Schüler in Bangladesch Uniformen mögen, während 51 Prozent der britischen Kinder sie schrecklich finden.
Warum gucken die Schüler so ernst auf den Fotos?
Ich sage Menschen nie, wie sie sein müssen, nur dass sie das Foto ernst nehmen sollen. Die Atmosphäre wird selbst erzeugt. In den Klassenzimmern brauchte ich eine längere Belichtungszeit, um einen scharfen Vorder- und Hintergrund zu bekommen. Ich fragte die Kinder. “Ist eine halbe Sekunde ohne sich zu bewegen eine lange Zeit?“ Und sie antworteten: “Nein!“ Die Schüler nahmen das Shooting ernst, ohne dass ich es ihnen sagen musste.
Auf einem Bild schlafen die Schüler. Wie kommt es dazu, obwohl ein Fotograf im Raum ist?
Das ist das einzige Bild, das ich arrangiert habe, und zwar in Taiwan. Die Klassen hatten jeden Tag gemeinsam Lunch im Klassenraum, danach legten sie ihre Hände auf den Tisch und schliefen. Es ist faszinierend, normalen Alltag zu sehen und nicht das Gesicht, das ein Land dem Rest der Welt zeigen will. Ich war niemals auf einer Touristenreise seit ich 19 bin – ich reise nur beruflich.
Sie haben durch Ihre Arbeit so viele junge Menschen getroffen, die Generation von morgen – sind Sie optimistisch für die Zukunft?
Ich wär es gerne, aber es gibt viele Herausforderungen – die Umwelt, Kulturen und anderes. Menschen in Äthiopien sind sehr arm, aber optimistisch. Es ist beeindruckend, junge Menschen zu sehen, die all die materialistischen Dinge ausblenden können.
Aus dem Buch Classroom Portraits 2004 – 2012 von Julian Germain mit Porträts aus Argentinien, Äthiopien, Bahrain, Bangladesch, Brasilien, Deutschland, Großbritannien, Japan, dem Jemen, Katar, Kuba, den Niederlanden, Nigeria, Peru, Russland, Spanien, Taiwan, Ungarn und den USA – erschienen im Prestel-Verlag 2012.
Fotos: Julian Germain