Heterotopien

Fotografie hat im SZ-Magazin schon immer eine herausragende Stellung eingenommen. Daher stellen wir Ihnen hier junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Karsten Kronas' Streifzug durch Istanbul.

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    Name: Karsten Kronas
    Geboren: 1978
    Ausbildung: FH Bielefeld
    Website: www.karstenkronas.com

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    Herr Kronas, Ihre Fotos zeigen die unterschiedlichsten Orte und Menschen aus Istanbul. Was verbindet diese teils privaten, teils öffentlichen Impressionen miteinander?
    Die Szenen werden dadurch verbunden, dass sie die professionelle Seite von etwas Bühnenhaftem zeigen. Der Betrachter hat das Gefühl im Publikum zu stehen. Man könnte aber auch sagen, die Bilder sind verbunden durch Nicht-Verbundenheit. Gemeinsam sind ihnen Symbole, die einen Schwebezustand symbolisieren: Wasser, Schaum, Blasen. Sie vermitteln ein Gefühl von Leichtigkeit, dem Wunsch nach Neugeborenensein, bewegen sich zwischen Auf- und Abbau. Natürlich verbindet auch der geografische Ort Istanbuls, aber mehr noch der Mensch als Porträt vom Ort oder der Ort als Porträt vom Menschen. Letztendlich aber soll der Betrachter selber über seine Gefühlsebene die Verbindung setzen.   Sie nennen Ihr Projekt: Heterotopien. Nach Michel Foucault bilden Heterotopien ein verkleinertes Abbild der oder Gegenbild zur Gesellschaft. Focault hat Heterotopien wie z.B. Erholungsheime, psychiatrische Kliniken oder Gefängnisse aufgezählt. Welche Abbilder haben Sie in Istanbul gefunden?
    Ich habe dort Strukturen, die der Mensch als losgelöstes Individuum kreiert hat, gesucht und gefunden. Milieus also, die durch Subkulturen und nicht durch den Staat kreiert worden sind. Gefunden habe ich diese Orte im Stadtteil Beyoğlu, dem Szene-, Bar- und Milieuviertel von Istanbul. Dort braucht man nicht erst in Seitenstraßen hineinzugehen, hier begegnen einem viele Transsexuelle. Das verwinkelte und dunkle Tarlabaşı sollte man nicht so ohne Weiteres betreten, hier ist ein viel tieferes Milieu vorhanden, nur Personen des Vertrauens haben hier Zutritt.

    An welchen anderen Orten würden Sie gerne Milieus und urbanes Leben fotografisch festhalten?
    Ich würde gerne in Indien fotografieren und dort Heterotope aufgreifen. Dort interessiert mich zum Beispiel: Warum werden Zwitterwesen verheiligt? Aber auch in der Türkei könnte ich mir weitere Fotoprojekte vorstellen. Dort gibt es zum Beispiel eine bestimmte Art von Tänzern, die sich als Frauen verkleiden, aber nichts mit Transsexualität zu tun haben. Dazu muss man wissen, dass Frauen auf Hochzeiten nicht tanzen dürfen. Aber dem Ganzen auf den Grund zu gehen, fände ich schon sehr spannend. Darüber hinaus wäre auch Thailand mit den Ladyboys, die dort mittlerweile aus einer Subkultur herausgetreten sind, interessant.

    (Interview: Nicolai Helling)