»Das Bild eines queeren, afrikanischen Menschen ist ein direkter Affront«

Queere Menschen afrikanischer Herkunft werden in mehrfacher Hinsicht marginalisiert. Der Fotograf Mikael Owunna, selbst homosexuell, hat einige von ihnen begleitet und dokumentiert, wie sie Sexualität und Herkunft in ihrer Identität vereinen.

Name: Mikael Owunna
Geboren: 1990 in Pittsburgh, USA
Wohnort: Pittsburgh, USA
Ausbildung: Biomedizinische Technik und Geschichte an der Duke University
Website: www.mikaelowunna.com

SZ-Magazin: Ihr Projekt Limit(less) handelt von den Erfahrungen queerer Menschen afrikanischer Herkunft in Nordamerika und Europa. Wie sehen diese Erfahrungen aus?
Mikael Owunna: Afrikanische Menschen aus der LGBTQ-Community werden nicht nur durch Trans- oder Homphobie an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, sie müssen in Nordamerika und Europa darüber hinaus zusätzlich Rassismus und antimigrantische Ressentiments über sich ergehen lassen. Sie gehören also wegen ihrer sexuellen Identität, ihrer Hautfarbe oder ihres migrantischen Status sowohl in ihren afrikanischen Ländern, als auch in den Ländern, in denen sie nun leben oder aufgewachsen sind, nicht dazu. Das Projekt ist letzlich auch Ergebnis meiner persönlichen Erfahrungen als queerer, nigerianischer Mensch in den USA und eine Antwort auf mein eigenes Gefühl, in mehrfacher Hinsicht nicht dazuzugehören.

Sie möchten »gängige Vorstellungen über Menschen afrikanischer Herkunft dekolonialisieren«. Was meinen Sie damit?
Nach meinem Coming Out wurde mir von Familienmitgliedern gesagt, dass nigerianische Menschen nicht homosexuell sein könnten. Bei der Vorbereitung für das Projekt berichteten mir viele andere queere, afrikanische Menschen von ähnlichen Erfahrungen. Ich fand heraus, dass diese Reaktionen Ergebnisse des Kolonialismus sind. Denn der Kolonialismus hat in den Kolonien Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität geprägt und Gesetze etabliert, die diese Vorstellungen in einem europäischen Rahmen regulierten. Mit meinen Bildern schaffe ich hingegen einen Raum, in dem afrikanische, queere Menschen vielfältige Teile ihrer Identitäten zusammenfügen und gemeinsam zur Geltung bringen können. Das Bild eines queeren, afrikanischen Menschen ist ein direkter Affront gegen die Vorstellung, dass Queerness und afrikanische Herkunft nicht koexistieren können.

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Unterscheiden sich die Situationen dieser Menschen in Europa und Nordamerika?
In Bezug auf die afrikanischen Länder sind die Situationen relativ ähnlich, denn queere Menschen aus Uganda tragen zunächst ein und dasselbe koloniale Erbe mit sich, egal wohin sie gehen oder in welchem Land sie leben. Andererseits unterscheiden sich die Vorstellungen von Schwarzsein und afrikanischer Identität in Europa und Nordamerika stark voneinander.

Wie kamen Sie mit den Menschen in Kontakt?
Das war eine der größten Herausforderungen zu Beginn. Schließlich rührte mein eigenes Gefühl der Isolation als queerer, afrikanischer Mensch daher, dass ich keine anderen queeren, afrikanischen Menschen kannte. Ich begann also auf sozialen Netzwerken von meinem Projekt zu erzählen. Tatsächlich kamen Dutzende Personen auf mich zu. Als ich dann mit dem Fotografieren begann, meldeten einige sich sogar von selbst bei mir. Ich baute ein Netzwerk auf, während ich von einem Ort zum nächsten ging.

Wie ging es nach der ersten Kontaktaufnahme weiter?
Zunächst stellte ich bei einem Telefongespräch sicher, dass wir zueinander passten und die Person sich wohl fühlte, in der Öffentlichkeit geoutet zu sein. Dann vereinbarten wir ein richtiges Treffen. Ich kam zu ihnen und wir verbrachten zwei bis drei Tage zusammen. Am ersten Tag lernten wir uns kennen, am zweiten machten wir die Bilder im Umkreis ihres Wohnortes. Dafür suchten sie sich ihre Kleidung aus und brachten Gegenstände mit, die für ihre Identität relevant sind. Sie waren also maßgeblich daran beteiligt, den Raum für die Kreation der Bilder zu gestalten. Ich habe versucht, einen Rahmen zu bieten, der sich um sie dreht und ihnen erlaubt, ihre Geschichte eigenmächtig zu erzählen.

Gab es dabei eine Erfahrung, die für Sie zentral war?
Eine der Teilnehmenden erzählte mir von einer Episode während eines Familienbesuchs in Namibia. Als sie aus dem Schlaf aufwachte, versuchte einer ihrer Verwandten, mittels einer spirituellen Zeremonie ihre Sexualität aus ihr auszutreiben. Das ergriff mich, da ich selbst im Alter von 18 Jahren in Nigeria wegen meiner Sexualität Exorzismen über mich ergehen lassen musste. Zu erfahren, dass eine andere Person dasselbe durchgemacht hatte, zeigte mir, dass ich nicht alleine bin – aber auch, wie viel noch zu tun ist.

Inwiefern war Rassismus auch für Ihre fotografische Arbeit ein Hindernis?
Da gibt es mehrere Ebenen. In den USA erhielt ich für das Projekt zunächst überhaupt keine Aufmerksamkeit, da ich meinen Fokus auf schwarze Menschen mit Migrationserfahrung legte. Dort wird schwarze Identität regelmäßig mit afroamerikanischer Identität gleichgesetzt. In Europa und Kanada erhielt ich hingegen einige Aufmerksamkeit, denn dort werden schwarze Personen auch als afrikanisch verstanden. Dafür erlebte ich in vor allem in Europa sehr viel Rassismus. In Berlin wurden wir beispielsweise während eines Shootings von einer Gruppe betrunkener Männer belästigt, es war fürchterlich. Ganz grundsätzlich ist es in der Welt der Fotografie üblich, dass bei einer Veranstaltung mit 200 Menschen nur fünf schwarze anwesend sind. Schwarzen Menschen wird institutionell der Zugang verwehrt. Vor allem Fotografie von Menschen of Color über Menschen of Color wird als unwichtig empfunden.

Hatten Sie dennoch Vorbilder für Ihre Arbeit?
Selbstverständlich! Mein Schaffen ist stark von der südafrikanischen Fotografin Zanele Muholi beeinflusst. Den letztendlichen Entschluss, mit dem Projekt zu beginnen, traf ich in einer ihrer Ausstellungen. Als ich in einen der Räume trat, sah ich eine ganze Wand mit Bildern schwarzer, lesbischer Frauen aus Südafrika. Ich hatte noch nie Bilder queerer, afrikanischer Menschen gesehen und war so fasziniert, dass mir beinahe die Tränen kamen. Dieses positive Spiegelbild meiner Selbst zu sehen, hat mich inspiriert und motiviert, ähnliche Erfahrungen außerhalb Afrikas zu thematisieren.