Name: Jasmine Shah
Geboren: 1983 in Castrop-Rauxel
Ausbildung: Studiengang Fotografie und Medien an der FH Bielefeld und der Moholy-Nagy University of Art and Design in Budapest
Homepage: www.shah-photographies.de
SZ-Magazin: Für Ihre Abschlussarbeit »Shelter« haben Sie vier Wochen mit Obdachlosen auf der Straße verbracht. Warum wollten Sie die Menschen so lange mit so vielen Entbehrungen begleiten, anstatt sie einfach nur einige Tage lang zu fotografieren und abends nach Hause zu gehen?
Jasmine Shah: Ich hatte mich schon vorher mit dem Thema beschäftigt und wollte besser verstehen wie es ist, wenn man so viele Sachen entbehren muss. Da war es für mich wichtig, diesen Schritt zu machen. Vier Wochen waren ein guter Zeitraum, sonst wäre es schwierig gewesen, die Obdachlosen richtig kennenzulernen.
Wo waren Sie überall und wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich war in Nordrhein-Westfalen, weil ich dafür das Semesterticket hatte. Gelebt habe ich in Bochum, Dortmund, Köln, Oberhausen und Düsseldorf. Dabei habe ich mich selbst besser kennengelernt. Es war eine sehr emotionale Zeit mit schwankenden Gefühlen. Ich habe zum Beispiel selbst gebettelt und Suppe ausgegeben bekommen. Negativ fand ich, dass alles viel langsamer abläuft. Man steht auf und hat nicht viel zu tun. Das einzige, womit man sich beschäftigt, ist: Wie komme ich an Geld, wo kann ich mich duschen und wie bekomme ich mein Essen? Einmal haben wir in einem relativ windgeschützten Tunnel in Düsseldorf geschlafen. Da sind viele Menschen vorbeigegangen und haben geschaut. Man fühlt sich als Mensch zweiter Klasse.
Auf den Fotos sieht man drinnen und draußen schlafende Menschen, manche mit Schlafsäcken, andere in warmen Betten, Gepflegtere und Ungepflegtere. Warum unterscheiden sich die Lebensbedingungen von Obdachlosen so sehr?
Es gibt Einrichtungen zum Duschen und niemand muss in kaputten Sachen rumlaufen. Man bekommt Anziehsachen und Schuhe und in jeder großen Stadt kann man essen. Jeder muss selbst entscheiden, ob er duschen möchte oder nicht. Als Frau hatte ich Glück: Während die Männer zu dritt oder viert duschen mussten, durfte ich alleine duschen. Die Klischees, die von den Medien verbreitet werden, stimmen nicht. Es ist nicht jeder alkohol- oder drogenkrank.
Leben viele aus freier Entscheidung obdachlos?
Einige schon. Ich würde Obdachlosigkeit nicht mehr mit Armut verbinden. In Deutschland muss niemand auf die Straße gehen. In einer neuen Stadt geht man zuerst zur Bahnhofsmission. Dort kann man essen und Wäsche waschen. Man hat eigentlich alles – außer einem eigenen Bett. Weil in den Unterkünften mehr Leute Alkohol- und Drogenprobleme haben, geht man dann doch lieber auf die Straße.
Wie sind die Unterkünfte sonst?
Es gibt eine Unterkunft, bei der man 80 Euro im Monat zahlen muss und drei Mahlzeiten pro Tag bekommt. Das ist sehr eintönig: Man würde gerne auch zwischendurch essen und darf nie zum Essen aufs Zimmer gehen. Teilweise wird man wie ein Kind behandelt: Man muss sich immer an die Zeiten halten und sich in eine Liste eintragen, wenn man duschen geht.
Einer der Obdachlosen trägt eine verkrustete Wunde auf der Nase. Wissen Sie, woher diese kommt?
Von einer Schlägerei, bei der ich nicht dabei war. Er hatte viel getrunken und jemand wollte seinen Schlafsack klauen. Die Leute in den Notunterkünften beklauen sich leider sehr oft gegenseitig.
Ihr Projekt trägt den Untertitel »Was bedeuten Schutz und Zuflucht im 21. Jahrhundert?« Wie beantworten Sie diese Frage jetzt nach Ihrer Arbeit?
Schutz und Zuflucht bedeuten für mich, dass man einen privaten Raum hat. In den Mehrbettzimmern wird man oft bestohlen und hat nie die nötige Ruhe, um sich zurückzuziehen.
Fotos: Jasmine Shah