Sonntags in Berlin

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Frank Schirrmeister, der losgezogen ist, um das andere Berlin zu fotografieren.



Name:
Frank Schirrmeister
Geboren: 19.05.1968 in Berlin
Ausbildung: Studium an der Humboldt-Universität und an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin
Homepage: www.bildstelle.net

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Ihre Reihe heißt „Sonntags in Berlin". Haben Sie alle Fotos wirklich an einem Sonntag aufgenommen?
Nein, gar nicht. Das war ein Kompromiss.

Warum dann „Sonntags in Berlin", warum nicht dienstags?
Der Sonntag steht als Metapher für unser Freizeitverhalten. Ich wollte keine privaten Fotos von Veranstaltungen, sondern das öffentliche Berlin, das jeder Mensch sehen und besuchen kann. Es ging um Freizeit, darum sonntags.

Die Bilder stammen ja teils von außergewöhnlichen Ereignissen, zum Beispiel vom Winterbaden der „Berliner Seehunde". Wie wird man auf solche Veranstaltungen aufmerksam?
Ich gucke am Wochenende nach Veranstaltungstipps in der Zeitung, höre oder sehe was. Dann denke ich sofort: Das könnte ein Bild sein, da musst du hin! Da bin ich wahllos, immer, wenn ich dachte, es könnten interessante Bilder werden, bin ich hingegangen. Und das war auch die Absicht: Ein Berlin, Milieus, Schichten und Randbezirke zu entdecken, die mir selbst völlig fremd sind. Ich war noch nie in meinem Leben vorher auf einer Rassehunde-Ausstellung.

Wie willkürlich ist dann die Reihe? Das Projekt dauerte ja mehrere Jahre.
Die Arbeit hat keinen Anfangspunkt, das hat sich entwickelt. Den Endpunkt habe ich pragmatisch gewählt. Nach drei Jahren ist man an einem Punkt, an dem sich vieles wiederholt. Man liest „Erotik-Messe" und denkt, „Ach, da war ich letztes Jahr". Nach gut vier Jahren war es an der Zeit für ein Fazit.

Eines Ihrer Werke aus dieser Reihe heißt „Spielplatz im gutbürgerlichen Westen". Wie nahe liegt die Grenze zwischen Sarkasmus und Ablehnung?
Das würde ich nicht überbewerten. Die ganze Arbeit ist ironisch-sarkastisch. Aber ich will es nicht als Ablehnung verstanden wissen. Man könnte etwa eine Rassehundeausstellung ja auch extrem herablassend fotografieren, sodass man die Leute bloßstellt. Ich hoffe, man sieht, dass in der Ironie und im Sarkasmus auch immer eine Grundsympathie steckt. Dass ich da überhaupt nichts ab- oder bewerten will, auch wenn ich nie mehr in meinem Leben auf eine Erotik-Messe gehen werde, weil ich das eklig finde.

Ihre Arbeiten befassen sich immer wieder mit Berlin. In „Leere Stadt" zeigen Sie Berlin in aller Menschenleere. Kein Bild, das man mit einer It-Metropole in Verbindung bringen würde. Was fasziniert Sie am anderen Berlin, die Tradition?
Das Wort klingt immer so konservativ: Berlin erfindet sich immer wieder neu, in einem wahnsinnig schnellen Tempo und man kann nur schwer Schritt halten, wenn man in der Stadt aufgewachsen ist. In dem Zusammenhang ist es ein Versuch, etwas zu bewahren, bevor es verschwindet. Diese Orte in der leeren Stadt, sind alles Orte, fast ohne Ausnahme, die mitten in der Stadt sind, wo jeden Tag das Leben tobt, aber auch Orte in Transformation. In ein paar Jahren werden sie komplett anders aussehen.

Also ist das eine Kritik am Gentrifizierungs-Prozess?
Wenn man so will, ja. Aber eigentlich ist es eher eine emotionale als politische Auseinandersetzung eines Berliners, der sieht, wie die Stadt sich vor seinen Augen permanent auflöst und neu konstruiert. Allein zu wissen, dass es diese Leere gibt in Berlin. Wenn man die Bilder sieht, wie reduziert, leer und kahl es ist. Die Gebäude werden zu Skulpturen.

Vom High-Life der It-Metropole Berlin nehmen Sie Abstand. Ist sie fake?
Das „wahre" Berlin ist mit einem Augenzwinkern, darum steht es in Gänsefüßchen. Es gibt kein wahres Berlin, das ist Quatsch. Das Fünkchen Wahrheit ist, dass mich das Berlin der „kleinen Leute" mehr interessiert als das coole Berlin.

Warum? Gibt es zu viel Konkurrenz, ist Berlins Partykultur ausfotografiert?

Das ist natürlich auch ein Punkt. Das alles gibt es schon. Aber es interessiert mich auch nicht. Ich bin ja inzwischen 40 Jahre, mit 20 hätte ich bestimmt einen anderen Standpunkt vertreten. Sie sagen „ausfotografiert", das ist kein gutes Wort, man kann immer einen neuen Aspekt reinbringen. Würde ich jetzt die Partykultur fotografieren, dann automatisch aus einem anderen Blickwinkel. Aber es interessiert mich nicht. Ich will das „normale Leben", das ruhige Berlin.

Wie meinen Sie das?
Ich wohne in Friedrichshain. Da steht ein Hostel neben dem anderen, die gesamte Infrastruktur, Kneipen und Bars, das alles ist besetzt von und ausgerichtet auf Touristen. Wenn man im Sommer die Warschauer Straße Richtung Kreuzberg läuft, da zieht sich ein Strom an Touristen durch. Da hat man das Gefühl, fremd zu sein in der eigenen Stadt. Dem will man was entgegensetzen. Darum beobachte ich es.

Sie wollen Ihr Berlin-Bild fotografisch festhalten?
Ja, genau das macht „Leere Stadt". Darum ergänzen sich beide Arbeiten so sehr. Außerdem prägen die Touristen ja auch ein Berlin-Bild, das sie in die Welt hinaus tragen. Das hat mit der Realität der Bewohner relativ wenig am Hut. Das bleibt den Touristen verborgen.

Sie sind im Prenzlauer Berg aufgewachsen, eine Gegend, die deutschlandweit beinahe als Synonym zur Gentrifizierung benutzt wird. Würden Sie heute wieder hinziehen?
Ja, das ist meine Heimat. Aber die Umstände sind nicht mehr so günstig. Wohnen wird teurer, ganz banal. Und außerdem hat sich das Milieu geändert. Das totale Klischee des Bionade-Biedermeiers. Aber das ist ja keine Erfindung von missgünstigen, alten Ostberlinern. Ich bin weggezogen, weil ich mich dort nicht mehr wohlgefühlt habe.

Ihre zwei letzten Reihen beschäftigten sich mit Berlin: „Plain City" und „Sonntags in Berlin". Wie geht es weiter?
Ich habe vor, in einem alten VW-Bus durch Europa zu fahren und zu schauen, wie sich die Wirtschaftskrise in Europa manifestiert, das wäre interessant. Der Arbeitstitel lautet „Beyond Crisis".