Scheiden tut weh

Nirgendwo in Deutschland werden so viele Ehen geschieden wie in Emden – und nirgendwo so wenige wie in Kempten. Kennen die Allgäuer das Geheimnis ewiger Liebe? Unser Autor macht sich auf die Suche.

Ich wohne weder in Emden, noch in Kempten. Verheiratet bin ich auch nicht, sondern lebe eher in etwas, was man verklausuliert wohl »eheähnliche Gemeinschaft« nennen könnte. Und doch interessiere ich mich seit neustem für diese beiden Städte und ihr Verhältnis zur Partnerschaft.

Denn irgendwo auf den 850 Kilometern, die Emden und Kempten trennen, muss das Geheimnis der ewigen Liebe zu finden sein. Das belegen die schnöden und unromantischen Zahlen, die gerade von den Statistikern des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln erhoben wurden: Nirgends in Deutschland werden so viele Ehen geschieden wie in Emden (nämlich 34 je 10.000 Einwohner), nirgends in Deutschland so wenige wie in Kempten (nämlich acht je 10.000 Einwohner).

Wer herausfindet, was die Kemptener so treu und was die Emder so trennungswillig macht, hat nicht nur eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte gelöst. Sondern dank der gewonnen Einsichten auch gute Chancen, die eigene eheähnliche Gemeinschaft erfolgreich weiterzuführen, denke ich. Nun ist die Frage leider schwieriger zu beantworten als ich dachte.

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Denn auch, wenn die eine Stadt im äußersten Norden und die andere im äußersten Süden liegt: Viele Unterschiede lassen sich sonst nicht erkennen. Schon die Namen klingen recht ähnlich, große Varianzen in Sachen Vokalen will man weder im Allgäu noch in Ostfriesland eingehen. Beide Städte sind etwa gleich groß oder klein (50.000 und 65.000 Einwohner). Beide liegen in der Nähe seltsamer Nachbarstaaten (Niederlande und Österreich), beide bieten in den Umgebungen nette Ausflugsziele (Friesenstrände und Allgäu-Almen), in der ländlichen Umgebung beider Provinzhauptstädte grasen sich viele Kühe durch malerische Kulissen. Der Gegensatz »behütete Kleinstadt vs. sündige Metropole«, den man als erstes hinter Scheidungsstatistiken vermuten würde, lässt sich hier nicht aufmachen – schon weil Großstädte wie München, Hamburg, Berlin in den Spitzenrängen der Scheidungsorte gänzlich fehlen.

Ist es also der Matjes, der Emder streiten lässt, sind es die Kässpatzn, die Kemptener glücklich machen? Treibt der Nordseewind Paare vor den Richter, sorgt der Föhn dafür, dass sie zuhause bleiben und Konflikte bräsig aussitzen? Haben die Prominenten der Städte Vorbildfunktion, Otto Waalkes (zweimal geschieden) und Alexander Hold (verheiratet)? Oder liegt es – der strukturkonservative Bayer würde jubilieren – eben doch an Religion und Wahlverhalten? Im katholischen Kempten regiert seit Jahr und Tag die CSU, in Emden – einst ein Zentrum der Reformation – die SPD, und das mit fast schon bayerischen Mehrheiten.

Doch auch ein wie auch immer konstruierter Nord-Süd-Konflikt führt beim Decodieren der Liebe nicht weiter. Das zeigt sich vor allem, wenn man auf die jeweils nächsten Orte in den Top Five schaut: Leverkusen, Neumünster, Kaiserslautern und der Rhein-Hunsrück-Kreis folgen bei den Scheidungen, viel Mitteldeutschland, viel Mittelmaß, mal katholisch, mal protestantisch. Offenbach, Prignitz, Heidelberg und Freiburg belegen die Plätze zwei bis fünf bei den Städten mit den wenigsten Scheidungen – nur in Heidelberg regiert hier ein CDU-gestützter Bürgermeister, in Freiburg sogar einer von den Grünen.

So lange man auch grübelt: Es lässt sich keine Systematik in den beiden Listen erkennen – selbst wenn man die jeweiligen Orte auf der Landkarte miteinander verbindet, kommt nur dadaistisches Kritzikratzi heraus und keine sinnvolle Erklärung. Die Liebe bleibt ein Rätsel, das selbst statistische Wertarbeit aus deutschen Landen nicht lösen kann.

Nur die Etymologie gibt sanfte Hinweise: Der Name Kempten leitet aus den keltischen Begriffen »cambo« und »dunum« ab, die zusammen so etwas wie „Burg an der Krümmung (des Flusses)“ bedeutet. Die Grundmauern dieser Burg scheinen der Liebe auch heute noch solide Fundamente zu geben, selbst wenn es eben mal krumm und nicht gerade läuft. Der Name Emden kommt hingegen aus dem Altfriesischen, in ihm stecken die Worte mudhe und – ha! – Ehe. Muhde bedeutet Mündung, mit Ehe ist ein kleines Flüsschen gemeint. Emden heißt also »an der Mündung der Ehe« – und an einer Mündung, da ist es mit einem Fluss bekanntlich aus und vorbei, ob er nun Nil, Rhein oder eben Ehe heißt. Bleibt nur die Frage: Was sagt diese Herangehenweise und ihre Erkenntnisse nun für meine eheähnliche Gemeinschaft aus? Ich führe sie in der Stadt, deren Name München ist. Bedeutet in etwa: »bei den Mönchen«.

Foto: Carol I / photocase.de