Eine Frau der vielen Worte

Interviews mit Menschen, die wir gut finden. Diese Woche: Christian Kay, die einen Meilenstein in der Geschichte der englischen Sprache gesetzt hat.


Respekt, Frau Professor Kay, nach vierzig Jahren Arbeit haben

Sie den umfangreichsten Thesaurus aller Zeiten fertiggestellt.
Christian Kay:
Vielen Dank. 1969 habe ich mit dem Projekt begonnen. Kürzlich hatte ich das fertige, 4000-seitige Buch in der Hand.

Erklären Sie kurz, was ein Thesaurus ist.

Ein Nachschlagewerk, das die Wörter nicht alphabetisch ordnet, sondern thematisch, nach Bedeutungszusammenhängen.

Es gibt also verschiedene Sektionen, in denen alle Wörter stehen, die irgendwas mit »Essen« zu tun haben oder mit »Familie«.
Ja, genau. Das Besondere an unserem Thesaurus ist allerdings, dass er nicht nur die Wörter enthält, die heute gebräuchlich sind, sondern dass er bis zu den Anfängen des Englischen zurückgeht und die gesamte englische Sprache vom fünften Jahrhundert nach Christus bis heute umfasst. Um diese Fülle an Material zu bewältigen, mussten wir ein neues, sehr detailliertes Klassifizierungssystem entwickeln. Wenn Sie in einem normalen Thesaurus »Animals« nachschlagen, haben sie vielleicht drei verschiedene Kategorien. Wir haben 46 000 Einträge für »Animals«, da brauchten wir mehr als drei Kategorien. Wie viele Wörter enthält Ihr Thesaurus?
Es sind 600 000 Wörter in 235 000 Kategorien.

Wie bewältigt man so ein Mammutprojekt?
Man kann eine solche Aufgabe nur von Tag zu Tag angehen, sonst verliert man den Mut.

Meistgelesen diese Woche:

Gab es Zeiten, in denen Sie die verdammten Wörter gehasst haben?
Gehasst nicht, aber meine Kollegen und ich haben starke Gefühle für den Thesaurus entwickelt: mal Zuneigung, mal Irritation. Oft empfand ich es als deprimierend, dass die Arbeit nie zu enden schien. Irgendwann waren wir jedoch entschlossen, das Vorhaben trotz aller Probleme zu Ende zu bringen.

Welche Probleme gab es denn?
Finanzielle natürlich. Und dann ist 1978 unser Büro abgebrannt. Zum Glück waren die Zettel mit den Wörtern in feuerfesten Metallschränken eingeschlossen. Wir hatten damals keine Kopien von unserem Material.

Es muss toll für Sie gewesen sein, als der Personal Computer erfunden wurde.
Es wäre schön gewesen, wenn man ihn zehn Jahre früher erfunden hätte! Aber unsere Arbeit kann man nicht komplett am Computer machen, weil die Wörter auf kleinen Zetteln stehen, die hin- und hergeschoben werden. Wenn man 5000 Begriffe sortieren will, die alle irgendwas mit »Hund« zu tun haben, geht das auf dem Bildschirm nicht. Dazu braucht man einen großen Tisch.

Ist die Sprache auch ein Gradmesser für soziale Veränderungen?
Natürlich. Das alte Englisch war berühmt für die vielen Wörter, die es für »Schwert« hat; die benutzt heute niemand mehr. Viele Veränderungen in der Gesellschaft und im Denken der Menschen schlagen sich unmittelbar in der Sprache nieder. Im 16. Jahrhundert kam zum Beispiel das Wort »Demokratie« auf.

Wann wird das erste Wort auftauchen, das nicht in Ihrem Thesaurus enthalten ist?
Schon passiert. »Twittering« zum Beispiel. Die Sprache hört niemals auf, sich zu verändern.

---

Der Historical Thesaurus of the Oxford English Dictionary, den Christian Kay mit drei Kollegen herausgegeben hat, ist seit Ende Oktober für knapp 250 Euro erhältlich. In der Fachwelt besteht kein Zweifel, dass das Werk die englische Sprachwissenschaft dauerhaft prägen wird.

Foto: privat