Die Hüfte, die Hüfte...

Unsere Senioren-Kolumnistin würde gerne mal wieder über das Wetter reden. Seit sie älter ist, gibt es nämlich nur noch ein Gesprächsthema: Krankheiten.

Illustration: Nishant Choksi

Ich habe bei Gesprächen oft einen abwesenden Blick. Denn Gespräche in meinem Alter haben nichts mehr mit denen zu tun, die junge Leute führen. Meistens laufen sie eher wie eine Inventur des Körpers ab.

Ich frage: »Wie geht es dir?«

Mein Gegenüber antwortet: »Mein (Körperteil bitte einfügen) tut jetzt schon morgens weh. Über den Tag wird es schlimmer. Und die Hüfte, die Hüfte.«

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Dann geht es um Blutwerte, Besuche bei Ärzten und unverschämte Apothekenmitarbeiter.

Es nervt. Seit ich älter bin, wollen Leute mit mir nur noch über Krankheiten und ihre Folgen reden. Ich war vor kurzem mit einer Gruppe Rentner im Theater in Erfurt. Wir sind gemeinsam mit dem Bus hingefahren, es fühlte sich fast wie ein Klassenausflug an. Bis ich den Gesprächen meiner Mitreisenden zuhörte. Statt über das Theaterstück zu diskutieren, das wir gerade gesehen hatten, ging es nämlich wieder mal um: kleine Spritzen, wichtige Spritzen, helfende Spritzen und Blutwerte.

Ich versuche ja, Verständnis dafür zu haben. Denn ich spüre, dass es den Menschen nicht gut geht, wenn sie sich so auf ihre körperlichen Gebrechen fixieren. Wenn man einsam ist und das Leben sich sehr gleichförmig anfühlt, schnurrt der Blick auf das schmerzende Knie. Bis man über nichts anderes mehr nachdenken kann.

Trotzdem fühle ich mich bei diesen Gesprächen wie ein Mülleimer, in den die Leute all ihre Gebrechen und Wehwehchen kippen. Ich habe eine Bekannte, mit der ich früher viel über Bücher gesprochen habe. Heute liest sie mir immer noch aus einem Buch vor. Allerdings aus einem Notizbuch, in dem sie genau Tagebuch über ihre Gesundheit führt. Wenn ich sie frage, wie es ihr abgesehen von der Gesundheit geht, schnauft sie empört und sagt: »Wie meinst du das denn? Abgesehen?«

Ich kenne mich mit abgesehen ganz gut aus. Ich bin 78 Jahre alt und sehe sehr schlecht. Warum das jemanden außer meiner Familie und meinen Ärzten interessieren sollte, weiß ich aber nicht. Ich würde lieber über den Roman von Irvin Yalom reden, den ich gerade noch lesen kann.

Ich weiß aber, dass mein Interesse meiner Freundin viel bedeutet. Genau wie der Frau aus dem Schwimmbad, dem Herren beim Bäcker und meiner Nachbarin. Also werde ich weiterhin fragen.

Sonst verhalte ich mich wie ein junger Mensch, der frisch in eine Stadt gezogen ist und etwas zu viel Zeit hat: Ich suche mir Hobbys. Ich gehe in den Yoga-Kurs und besuche Konzerte. Vor kurzem habe ich eine Frau kennengelernt, die nur wenige Jahre jünger ist. Sie hat eine Narbe von einer Tumor-OP an der Brust. Wenn ich sie frage, wie es ihr geht, erzählt sie, was sie am Wochenende gemacht hat. Und stellt dann eine Gegenfrage.