Heute Morgen habe ich meine Spülmaschine eingeräumt. Im Badezimmer stopfte ich eine Ladung Bettwäsche in die Waschmaschine. Danach setzte ich mich mit der Zeitung aufs Sofa. Im Hintergrund brummten die technischen Geräte, während sie das Wasser einzogen, schleuderten und spülten. Ich streckte mich aus und nickte ein. Das bisschen Haushalt macht sich von allein.
Ich bin 78 Jahre alt und die Welt ist nicht mehr die gleiche wie in meiner Kindheit. Ich habe Ehrfurcht davor, wie schnell sie sich weiterentwickelt. Deswegen kann ich Angehörige meiner Generation nicht verstehen, die die Vergangenheit verklären und auflisten, was früher alles besser war. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Das gilt für die großen Dinge (Deutschland ist jetzt eine funktionierende Demokratie, Frauen können ein gleichberechtigteres Leben führen). Aber ich spüre es auch überall in meinem Alltag.
Hier sechs Beispiele:
- Als meine erste Tochter auf die Welt kam, gab es noch keine rosa blinkenden Schuhe, was verkraftbar ist. Aber es gab eben auch noch keine Klettverschlüsse. Eltern können sich die Naturgewalt, die meine Tochter als Baby und Kleinkind entladen hat, wenn ich die Schnürsenkel an ihren Schuhen binden musste, wohl vorstellen. Und heute schlüpft mein Urenkel selbst in seine Schuhe mit Klettverschlüssen. Meine Güte, was hätte ich dafür gegeben.
- Das Gleiche gilt für Wegwerfwindeln. Die gab es damals auch noch nicht. Meine Kinder mussten Stoffwindeln tragen. Ich kochte die Windeln in einem riesigen Topf auf dem Herd aus, wuchtete den vollen Topf dann ins Badezimmer, um ihn in der Wanne auszuschütten und hängte dann die gespülten, triefend nassen Windeln auf. Damals gab es auch noch kein so gutes Waschpulver wie heute, deswegen wurde der Stoff der Windeln hart. Ich musste sie weich bügeln, bevor ich meine Tochter wieder damit wickeln konnte.
- Überhaupt liebe ich meine Waschmaschine. In meiner Kindheit dauerte es einen ganzen Tag, die Wäsche zu machen. Weil es so viel Arbeit war, hatten wir dafür eine Zugehfrau, die einmal in der Woche bei uns vorbei schaute. In dem Keller unseres Hauses stand ein riesiger Waschkessel, unter dem die Frau Feuer schürte. Dann wurde die Wäsche und Seifenpulver in den Kessel geschüttet, mit einem großen Holzstampfer durchwalkt und umgerührt. Danach holte die Frau die Wäsche aus dem heißen Wasser und spülte die Seife kalt aus. Ich befülle heute die Waschmaschine, entscheide, ob 30 oder 60 Grad, Fein- oder Buntwäsche. Fertig.
- Es ist toll, dass ich heute ständig alle Leute erreichen kann. Wie kompliziert das Leben ohne Smartphones früher war, zeigt wohl der Berufsalltag meiner Mutter. Sie arbeitete als Ärztin auf dem Land. In den Dreißigerjahren bedeutete das, dass sie jeden Tag feste Routen abfuhr, weil die Leute meistens kein eigenes Telefon hatten und ihr nicht Bescheid geben konnten, dass ihr Mann die Grippe hatte oder ähnliches. Also mussten die Leute wenigstens wissen, dass die Ärztin am Dienstag im Dorf ist. Wenn ein Notfall passierte und meine Mutter nicht zufällig in der Nähe war, war es aber quasi nicht möglich, sie zu erreichen. Jemand aus der Familie des Kranken musste dann extra in die Wirtschaft im Ort oder ins Pfarrhaus gehen (da gab es meistens ein Telefon). Dann riefen sie bei uns an. Unsere Haushälterin notierte die Adresse und schickte meine Mutter abends los, wenn sie von ihrer festen Route zurückkam. Sagen wir so: Die Situation wäre mit WhatsApp leichter zu lösen gewesen.
- Ich freue mich darüber, wie viele Regeln sich auflösen. Das Leben war früher ein Knigge-Spießrutenlauf. Gerade auf das korrekte Verhalten in der Öffentlichkeit wurde viel Wert gelegt. Mir wurde als Jugendlicher zum Beispiel beigebracht, dass ich auf keinen Fall im Gehen essen darf. Sich eine Käsesemmel zu holen und damit kauend durch die Stadt zu laufen: undenkbar. Hinter all den Regeln aus meiner Kindheit mögen gute Gedanken stecken, in diesem Fall, dass man sich für sein Essen Zeit nimmt und sich ordentlich hinsetzt. Aber in der Gesamtheit bildeten sie ein Korsett, das den Alltag viel zu fest einschnürte. Was bin ich dankbar, dass ich heute einfach von meiner Butterbrezel abbeißen kann, wenn ich auf dem Rückweg vom Einkaufen mal Heißhunger habe.
- Noch viel wichtiger ist aber, dass sich auch die Vorstellungen aufgelöst haben, wie sich eine Frau anzuziehen hat. Selbst im Winter wollte der Direktor meiner Schule nicht, dass wir Mädchen in Hosen herumliefen. Wir mussten Röcke tragen, darunter Strümpfe, die mit Strapsen an einem Strumpfhalter befestigt waren. Ein Teil des Oberschenkels blieb so unter dem Rock immer frei. Was habe ich gefroren. Und was hätte ich in der Schule erreichen können, wenn ich einfach eine bequeme Hose hätte tragen können und nicht ständig vom Frieren abgelenkt gewesen wäre. Ich freue mich so sehr darüber, dass Frauen niemand mehr vorschreiben darf, wie sie sich anziehen. Jetzt müssen wir nur noch in anderen Bereichen die echte Gleichberechtigung erreichen. Aber in bequemen Hosen sollte das doch machbar sein.