In Deutschland gilt Johnny Cash als größte Ikone der Countrymusik, in den USA gebührt diese Ehre unzweifelhaft George Jones. Der 77-jährige Sänger, seit Mitte der Fünfziger im Geschäft, ist ebenso bekannt für seinen unnachahmlichen Gesangsstil wie für seine zahllosen Eskapaden und Abstürze. Von 1969 bis 1975 war Jones mit Tammy Wynette verheiratet, ebenso wie er ein Inbegriff jener goldenen Ära der Countrymusik. Wynette und Jones führten keine einfache Ehe und bekamen 1970 die Tochter Georgette Jones, die nun ebenfalls versucht, im Musikgeschäft Fuß zu fassen. Meine Frau Christina hat sie in Nashville getroffen und das folgende, ausführliche Interview geführt.
Georgette Jones, das Duett »You And Me And Time«, das Sie zusammen mit Ihrem Vater aufgenommen haben, ist ein großartiges und sehr persönliches Lied. Können Sie mir etwas über die Entstehungsgeschichte des Songs erzählen?
Als ich ein Kind war, haben mein Vater und ich nicht viel Zeit miteinander verbracht. Unser Verhältnis ist erst richtig eng geworden, als meine Mutter starb. Seitdem haben wir ein sehr gutes Verhältnis. Trotzdem ist es für mich manchmal schwierig, persönliche Gefühle im Gespräch auszudrücken, das kann ich sehr viel besser durch ein Gedicht oder einen Song. Meinem Vater geht es da ganz ähnlich, in der Hinsicht ist er ziemlich altmodisch. Ich wollte einen Song für ihn und mich schreiben und darin ausdrücken, wie dankbar ich bin, dass wir endlich diese Beziehung haben, auch wenn wir in der Vergangenheit viel verpasst haben. Also habe ich mich mit zwei anderen Songwritern zusammengesetzt und ihnen von meiner Idee erzählt. Wir haben den Song geschrieben und ich bin damit zu meinem Vater gegangen und habe ihn ihm vorgespielt.
Waren Sie nervös?
Oh ja! Ich hatte ihm nie vorher einen eigenen Song vorgespielt, geschweige denn einen so persönlichen. Ich hatte nicht angenommen, dass er ihn wirklich mögen würde. Aber dann merkte ich, dass er ihn gut fand: Er hat über das ganze Gesicht gelacht, mich umarmt und gesagt, wie stolz er auf mich ist. Das war ein sehr besonderer Moment.
Sie starten jetzt, mit Mitte 30, ihre Karriere im Musikgeschäft. Warum so spät?
Da gibt es einige Gründe. Als ich groß geworden bin, war das Musikbusiness ganz anderes als heute. Damals waren meine Eltern eigentlich immer weg – auf Tournee oder bei anderen Auftritten. Und auch wenn sie das gerne gemacht haben, so haben sie es doch genauso wie wir, ihre Kinder, gehasst, so viel Zeit getrennt von uns verbringen zu müssen. Als ich jünger war, wollte ich so ein Leben nicht führen. Ich wollte heiraten und Kinder kriegen und bei ihnen sein und deshalb habe ich mich damals dagegen entschieden, Musikerin zu werden.
Hat der Erfolg Ihrer Eltern Sie eingeschüchtert?
Oh ja! Als ich mit Anfang Zwanzig darüber nachdachte, doch etwas mit Musik zu machen, hatte ich eine solche Angst davor, mit meinen Eltern verglichen zu werden, dass ich es gar nicht erst versuchte. Ich dachte mir, dass diese Fußstapfen, in die ich treten sollte, so groß waren, dass ich es gar nicht erst versuchen wollte – so viel Angst hatte ich vor dem, was die Leute sagen würden. Als meine Mutter 1998 starb, habe ich begonnen, über sehr viele Dinge nachzudenken. Musik war immer ein Teil von mir und ich wollte einfach sehen, was ich erreichen könnte. Vor allem wollte ich nicht mit 80 Jahren im Schaukelstuhl sitzen und darüber nachsinnieren, was wohl passiert wäre, wenn ich es nur ausprobiert hätte.
Sie sind im Musik-Business aufgewachsen, als Tochter der damals berühmtesten Countrystars.
Meine allerersten Erinnerungen drehen sich fast alle darum, dass ich irgendwo Backstage bin oder am Rand der Bühne. Meine Oma hat mir erzählt, dass ich als Baby immer auf einer Decke am Rand der Bühne lag, so dass mich meine Mutter von der Bühne aus sehen konnte, während meine Oma auf mich aufpasste. Eines Tages hat sich meine Oma kurz umgedreht und ich bin geradewegs auf die Bühne gekrabbelt. Also hat mich meine Mutter hochgehoben, eine Weile mit mir im Arm gesungen und mich dann wieder zurück zu meiner Oma gebracht. Die Bühne war für mich damals wirklich ein Zuhause.
Man könnte ja meinen, dass Sie für die Leute in der Musikindustrie ein Sechser im Lotto waren. Die Tochter von George Jones und Tammy Wynette – der nächste Country-Superstar.
Es gab schon einige Leute, die darüber mit Mom und Dad Witze machten. Billy Sherill, der Produzent meiner Eltern, hat meiner Mutter nach meiner Geburt Rosen ins Krankenhaus geschickt und dazu eine Karte, auf der er darum bat, der Erste zu sein, mit dem ich eine Platte aufnehmen würde. Aber unglücklicherweise war Billy schon in Rente, als ich dann soweit war.
Ihr Leben muss ziemlich anders gewesen sein als das Ihrer Altersgenossen.
Ich fand unser Leben – abgesehen von den vielen Reisen – sehr normal. Meine Schwester Jackie erzählte eine Anekdote, die dazu passt: Als wir gerade von Florida zurück nach Nashville gezogen waren, wussten unsere Mitschüler am Anfang gar nicht, wer wir waren. Sie lud also eine Freundin nach Hause ein und die beiden gingen den Flur entlang, in dem all die Alben, Awards und Fotos unserer Mutter aufgehängt waren. Irgendwann merkte sie, dass ihre Freundin gar nicht mehr neben ihr ging, drehte sich um und fand sie ehrfürchtig vor der Wand stehen. Die Freundin rief »Oh mein Gott, du bist die Tochter von Tammy Wynette?!« Und Jackie meinte nur: »Ja. Willst du eine Cola?«
Wann haben Sie verstanden, welche Rolle Ihre Eltern in der Öffentlichkeit spielten?
Richtig kapiert habe ich das alles erst mit Anfang 20, als ich schon auf dem College war. Da war in einer Ausgabe des Rolling Stone ein Interview mit meiner Mutter. Es ging in dem Artikel um einen ihrer Auftritte in der Carnegie Hall mit Pavarotti, Whitney Houston, Elton John und Sting anlässlich einer Benefiz-Veranstalten zugunsten des Regenwalds. Whitney Houston war damals eines meiner großen Vorbilder und als ich dann in dem Artikel lass, dass meine Mutter die einzige Künstlerin war, die »standing ovations« bekommen hatte, habe ich es wirklich kapiert. Ich war sehr stolz auf sie und darauf, ihre und George Jones' Tochter zu sein.
Die Musik Ihrer Eltern hatte einen großen Einfluss auf viele Menschen – bestimmt hat es auch Fans gegeben, die dachten, ihnen gehöre ein Teil der beiden.
Meine Mutter hat ihre Fans geliebt und sie wusste ganz genau, dass sie ihnen und ihrer Liebe zur Musik viel verdankte. Für uns als Kinder war es trotzdem extrem irritierend, wenn Leute auf der Straße ankamen und nach einem Autogramm fragten – das meine Mutter niemals verweigerte. Und oft mussten wir auch Restaurants oder andere öffentliche Orte verlassen, weil es nicht anders möglich war. Das war es auch, was mir am meisten ausgemacht hat, als ich klein war: dass wir nicht wie andere Familien ganz normal etwas unternehmen konnten. Aber später habe ich es dann auch verstanden. Vielleicht bekommen diese Stars nicht ganz die Schonung, die sie verdienen, aber andererseits sind es diese Leute, die ihre Musik lieben und kaufen. Und es ist wichtig, den Fans etwas zurückzugeben, wie es meine Eltern taten und mein Vater immer noch tut.
Die Ehe Ihrer Eltern war durchaus turbulent. Was haben Sie davon mitbekommen?
Nicht viel – ich war erst vier, als sie sich scheiden ließen. Meine Eltern haben den Anderen nie vor uns Kindern schlecht gemacht, was ich sehr zu schätzen weiß. Wenn ich wieder etwas Schlimmes über meinen Dad in der Zeitung las, sagte meine Mutter immer: »Schatz, dein Vater liebt dich, er ist ein guter Mensch und du darfst dich nicht über das Zeug aufregen, das andere Leute sagen. Er liebt dich und das ist alles, was du wissen musst.« Meine Eltern haben ihre Beziehung von mir fern gehalten. Und über die meisten Dinge, von denen ich später las, haben sie nie mit mir gesprochen.
»Einmal saß ich im Auto meines Vaters und verstellte das Radio auf einen Rock-Sender, während er beim Tanken war. Als er zurückkam, sagte er knapp: ›Das werden wir garantiert nicht anhören. Wir können das Radio ausmachen, aber das hier hören wir garantiert nicht an.‹«
Aber die Autobiographien Ihrer Eltern haben Sie bestimmt gelesen?
Ja. Und wenn ich unglaubliche Sachen im Buch meiner Mutter entdeckte, rief ich meinen Vater aufgeregt an und fragte: »Hast du das wirklich getan?« Und als ich das Buch meines Vaters las, regte ich mich bei meiner Mutter auf und meinte »Dad hat das und das über dich geschrieben.« Meinte Mutter meinte daraufhin nur: »Schatz, versteh doch: es gibt seine Geschichte, ihre Geschichte und die wahre Geschichte.« Ich denke, jeder hat seine Sicht auf die Dinge und meine Mutter empfahl mir schlussendlich, die Bücher so zu lesen, als wären sie von Fremden geschrieben, damit ich es mir nicht zu sehr zu Herzen nehmen würde.
Ihre Mutter stammte aus armen Verhältnissen und schaffte es bis ganz nach oben. Welche Werte hat sie Ihnen und Ihren Schwestern in der Erziehung vermittelt?
Sie hat sich sehr darum bemüht, uns zur Selbständigkeit zu erziehen. Wir sollten nichts von anderen Menschen erwarten und schon gar nicht, dass mit der Volljährigkeit ein dickes Bankkonto auf uns warten würden. Ihr war wichtig, dass wir eine gute Erziehung erhielten und einen Job fanden, egal welchen. Ich denke, ansonsten war sie, wie die meisten anderen Mütter auch. Wir mussten alle im Haushalt helfen. Einmal habe ich den Fehler begangen und gemeint, das solle doch unsere Haushaltshilfe erledigen, woraufhin meine Mutter nur meinte: »Du machst das, weil ich es dir sage, weil ich deine Mutter bin und weil du lernen musst, wie man solche Pflichten erledigt.« Sie hat uns einen Sinn fürs Normale vermittelt, auch wenn wir kein ganz normales Leben geführt haben und mit Sicherheit ein wenig verwöhnt waren.
Wurden Sie denn eigentlich irgendwann rebellisch als Teenager, was Musik angeht?
Na, klar, ich war als Teenager ein großer Fan von AC/DC. Allerdings habe ich Country immer geliebt. Meine Mutter war sehr offen für neue Einflüsse, auch wenn ihre große Liebe immer Countrymusik war. Aber einmal saß ich im Auto meines Vaters und verstellte das Radio auf einen Rock-Sender, während er beim Tanken war. Als er zurückkam, sagte er knapp: »Das werden wir garantiert nicht anhören. Wir können das Radio ausmachen, aber das hier hören wir garantiert nicht an.« Und auch während der Phase, in der ich ganz andere Musik gehört habe, meinten meine beiden Eltern: »Diese Phase wirst du eines Tages hinter dir haben und dann wirst du wieder Countrymusik hören. Denn das ist echte Musik, in der es um das echte Leben echter Menschen geht.« Und auch wenn ich heute immer noch unterschiedliche Musikstile höre, könnte ich doch nichts anderes singen als Country.
Wie kam es dazu, dass Sie Krankenschwester geworden sind?
Kurz vor dem College wurde mein Großvater sehr krank und musste ins Krankenhaus, wo er kurze Zeit später auch starb. Ich glaube, da habe ich begonnen, mich für Medizin zu interessieren. Eine Cousine von mir war damals auch Krankenschwester und hat mich ermutigt, einige Kurse zu belegen. Seit mittlerweile 16 Jahren arbeite ich jetzt als Krankenschwester und mag den Job wirklich gerne.
Können Sie das mit Ihrer Musikkarierre vereinbaren?
Momentan mache ich noch beides. Unter der Woche arbeite ich als Schwester, an den Wochenenden trete ich auf. Ich genieße es, in diesen verschiedenen Welten zu leben. Aber natürlich hoffe ich, dass es bald mit der Musik funktioniert und ich nicht mehr die ganze Zeit Schwester sein muss. Meine Lizenz behalte ich jedoch auf jeden Fall, damit ich immer dahin zurück kann, wenn etwas passieren sollte.
Wie sieht es denn momentan musikalisch aus für Sie?
Ich habe einen Publishing-Vertrag mit einem Verlag. Ein Jahr lang hatte ich auch einen Development-Deal mit RCA. Da sah alles ganz gut aus, aber dann gab es wegen der Krise so viele Änderungen und Einsparungen, dass der Vertrag nach einem Jahr auslief. Schlechtes Timing! Aber ich hoffe, dass sich eine Möglichkeit ergeben wird, vielleicht durch das Duett mit meinem Vater.
Was definiert sie musikalisch?
Auf jeden Fall hat der traditionelle Sound einen großen Einfluss auf mich. In einigen meiner Songs sind auch Blues-Country-Elemente enthalten, aber der echte Country-Sound ist so präsent, dass sich meine Songs vermutlich kaum an die modernen Radiosender verkaufen lassen. Meine Songs und Lyrics müssen nicht unbedingt auf persönlichen Erfahrungen beruhen, aber sie müssen ein persönliches Gefühlt enthalten. Ich will, dass die Leute sich damit identifizieren können.
Und das macht Countrymusik ja auch aus, oder?!
Absolut. Wenn es zu kompliziert wird, und man nicht mehr kapiert, worum es überhaupt geht, dann hat man nicht mehr viel von dem Song. Aber die großartigen Songs kann man immer wieder hören und mitsingen, die bleiben einem im Kopf und man spielt sie seinen Freunden vor. Das sind die Songs, an die man sich noch in 20 Jahren erinnert.
Es scheint, als gäbe es gerade ein große Distanz zwischen der traditionellen und der modernen Countrymusik. Wie denken Sie über das, was momentan in den Charts ganz oben ist?
Es gibt heute viele sehr gute Künstler und gute Musik, aber ich denke nun mal, dass das keine traditionelle Countrymusik ist. In anderen Genres lässt sich das viel besser unterscheiden. Beim Rock zum Beispiel gibt es die Unterkategorien Hardrock, Alternative, Classic und so weiter. All diese Stile sind verschieden und sie werden von verschiedenen Radiosendern abgedeckt. Aber im heutigen Countryradio hört man kaum noch traditionelle Countrymusik. Meiner Meinung nach sollte es einen anderen Namen für die heutige Countrymusik geben und die traditionelle sollte mehr Platz im Radio bekommen. Denn es gibt immer noch genug Leute, die diese Musik lieben. Ich denke auch, dass es in der heutigen Szene oft zu viel ums Image geht und die Persönlichkeit des Künstlers und nicht darum, ob derjenige großartige Songs geschrieben hat oder nicht.
Haben Sie denn eine Ahnung, warum es vor einiger Zeit so bergab gegangen ist mit der traditionellen Countrymusik?
Damit mache ich mich wahrscheinlich unbeliebt, aber meine persönliche Meinung ist, dass heute alles dahingehend gedreht wird, dass damit Geld verdient wird. Ich glaube, irgendjemand hat einmal entschieden, dass sich mehr Käufer finden, wenn der Sound ein bisschen glatter und mainstreamiger wird, weil man dann auch die Leute in der Mitte bekommt, die ein bisschen Rock, ein bisschen Country mögen.
Was kommt für Sie als nächstes?
Ich nehme meine Songs auf und versuche, einen Plattendeal zu landen. Außerdem hoffe ich, dass ich im Oktober nach Irland komme. Mein Vater wird dort auftreten und ich werde wohl bei zwei Konzerten dabei sein. Ich würde liebend gerne länger nach Europa kommen und in mehr Ländern auftreten. Ich habe großartige Erinnerungen an die Zeit, als ich mit meiner Mutter dort war. Die Leute in Europa scheinen traditionelle Countrymusik wirklich zu lieben. Und das zu hören und zu fühlen, ist eine großartige Sache, vor allem im Kontrast dazu, wie es hier ist. Mein Vater sagt von Kanada und Europa immer: »Da fühlt man sich auf einmal wie ein junger Rockstar.« Von daher hoffe ich sehr, einen Promoter zu finden, der mich nach Deutschland holt.
Hat Ihr Vater Ihnen einen guten Ratschlag mit auf den Weg gegeben?
Als ich anfing, hat er mir als erstes gesagt: »Schatz, ich wusste immer, dass du Talent hast und singen kannst, aber sag mir bitte eines; willst du das wirklich, wirklich tun? Das hier ist ein gemeines Geschäft und als dein Vater mache ich mir Sorgen, weil ich dich beschützen will und weiß, dass die Menschen in diesem Business immer nur ihren Vorteil im Blick haben. Du weißt das auch und hast es gesehen. Aber wenn du die Musik wirklich liebst, dann musst du es tun und darfst nicht aufgeben. Du wirst bestimmt aufgeben wollen, wenn du frustriert bist, aber wenn du es wirklich tun willst, dann wirst du auch nicht aufgeben.« Er hat mich ermutigt, dabei zu bleiben und mir keine Sorgen zu machen. Schließlich wurde meine Mutter auch von jedem Label abgelehnt und erst beim allerletzten Versuch gelang ihr der Durchbruch.