Auch als Journalist passiert es einem nicht oft, dass man das Gefühl hat, einen Menschen von außergewöhnlichem Format zu treffen. Doch genau das geschah, als ich im Frühjahr 2007 die Gelegenheit hatte, Leonard Cohen und seine Partnerin Anjani Thomas zu sprechen. Das Interview fand in einem Londoner Hotel statt, Anlass war die Veröffentlichung von Anjanis Album »Blue Alert«, an dem Cohen mitgewirkt hatte. Es war eines der letzten Gespräche, das er mit der deutschen Presse führte, und auch amerikanische oder britische Medien hatten in den Jahren danach nur noch selten Gelegenheit, ihn zu treffen – obwohl er in der Öffentlichkeit präsenter war als je zuvor, auf etlichen Tourneen vor hunderttausenden Menschen auftrat und noch drei exzellente Alben veröffentlichte.
Besonders überrascht bei unserem Gespräch war ich von seinem Humor. Dank seinen Liedern und seiner Lebensgeschichte hatte ich eine Ahnung von der tiefen Dunkelheit, durch die er geschritten war – dass am Ende dieses Lebenswegs nun aber eine heitere Gelassenheit stand, verblüffte mich und gibt mir bis heute zu denken. Selten habe ich ein Gespräch geführt, in dem ich in so kurzer Zeit so viel übers Leben erfahren habe. Und nie wieder hat mich ein Interviewpartner versucht, mit einem Holzscheit zu erschlagen. Hier nun das Gespräch, das bei dem Cohen anfangs noch nicht anwesend war – nach ca. 20 Minuten kam er dazu.
SZ-Magazin: Anjani, Sie und Leonard Cohen sind ein Paar, richtig?
Anjani: Ja. Wir kennen uns seit 1984 und fingen vor sieben oder acht Jahren an, uns häufiger zu sehen. Wir genießen es sehr, einander Gesellschaft zu leisten.
Was mögen Sie besonders an ihm?
Es gibt niemanden, der mich so gut kennt wie er. Und es gibt niemanden, der ihn so gut kennt wie ich. Ich glaube sogar, dass wir einander besser kennen als uns selbst. Es ist eine wahrhaft erhellende Erfahrung, einer anderen Person echten Einblick in das eigene Wesen zu gewähren. Manchmal kommen dabei Sachen zum Vorschein, von deren Existenz man selbst gar nichts geahnt hatte. Deshalb glaube ich, dass man sich allein durch die Augen eines anderen wirklich erkennen kann.
Urteilt man nach Leonard Cohens oft sehr schwermütigen Liedern, muss er ein schwieriger Partner sein.
Wir waren in dieser Hinsicht beide nicht sonderlich erfolgreich. Unsere jetzige Beziehung ist für uns die längste, die wir je hatten.
Außerdem gilt Leonard Cohen als ausgesprochen anstrengender, launischer Mensch.
Ich auch! (Sie lacht.) Es stimmt, er hat diesen Ruf, aber tatsächlich ist er vor allem humorvoll und witzig. Warten Sie's ab, Sie werden es merken.
Ist er im Alter sanftmütiger geworden?
Nein, eher schärfer, intensiver. Er hat keine Zeit zu verlieren und arbeitet sehr konzentriert an den Dingen, die er noch erledigen möchte. Leider führt das dazu, dass er nicht besonders viel Muße für Kontakte hat. Wir verbringen Zeit mit unseren Familien, mit seinen Kindern und seinem Enkel. Aber wir gehen nicht auf Partys und haben auch keinen großen Freundeskreis. Eigentlich arbeiten wir meistens. Ein sehr einfaches Leben.
Nun besteht das Leben nicht nur aus Kunst. Man muss sich auch um profane Dinge wie den Haushalt kümmern.
Wir sind beide Sauberkeitsfanatiker. Wenn nicht alles blitzblank ist, können wir nicht arbeiten. Wir sind uns so ähnlich, dass es manchmal schon unheimlich ist.
Kocht Leonard auch mal für Sie?
Er hat mir jeden Morgen das Frühstück gemacht, bis er versuchte, mir diesen komischen grünen Protein-Trunk nahezubringen, den er trinkt. Jetzt macht er mir morgens nur noch die Eier. Das mag ich sehr an ihm.
Singen Sie zu Hause?
Ja, wie ganz normale Leute. Wir singen seine alten Lieder, wie »Sisters Of Mercy« oder »Bird On The Wire«. Um nicht einzurosten, übt er viel Gitarre. Es steht auch ein Synthesizer herum, sodass ich spontan mitspielen kann, wenn ich möchte. Und manchmal, wenn Freunde zu Besuch kommen, singen wir nach dem Essen.
(Leonard Cohen kommt herein.)
Leonard Cohen: Hallo, ich heiße Leonard.
Schön, dass Sie dazukommen. Ich habe Anjani vorhin gefragt, was sie an Ihnen schätzt. Was mögen Sie an ihr?
Cohen: Ihre Kochkunst!
Ach was.
Cohen: Ja, sie kocht unwiderstehlich gut, auf indisch-hawaiianische Art.
Anjani: Ich habe erzählt, dass du tolle Frühstückseier machst.
Cohen: Ich kann nur ganz simple Gerichte zubereiten. Ich habe zwei Kinder großgezogen und die mussten etwas zu essen bekommen, also habe ich kochen gelernt. Aber eigentlich interessiere ich mich nicht dafür, im Gegensatz zu Anjani, die einen geschulten Gaumen hat. Auch musikalisch habe ich einen sehr, sehr einfachen Geschmack.
Vor Jahren haben Sie in einem Interview zugegeben, Zeit Ihres Lebens von Frauen besessen gewesen zu sein.
Cohen: Das mag sein, aber damals sprach ich für jeden Mann. Inzwischen habe ich kein Interesse mehr an den Frauen.
Das ist kaum zu glauben.
Anjani: Doch, er sagt die Wahrheit.
Cohen: Frauen interessieren mich nur noch am Rande. Ich bin schon oft tief enttäuscht und aufs Gründlichste erniedrigt worden.
Dennoch scheinen Sie gerade mit Anjani, einer sehr schönen Frau –
Cohen: ist mir noch gar nicht aufgefallen (Sie lacht.)
– einer sehr schönen Frau, eine glückliche Beziehung zu führen.
Cohen: Ja, wir sind glücklich. Aber haben wir eine Beziehung? Ich glaube, was wir haben, ist besser als eine Beziehung.
Anjani, ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen, das ich in einer Leonard-Cohen-Biografie gefunden habe. Eine langjährige Freundin von ihm sagte: »Er liebt die Frauen wirklich. Wenn man mit Leonard zusammen ist, erkennt man in sich die wahre Kraft der eigenen Weiblichkeit.« Was halten Sie davon?
Anjani: Hm, da muss ich nachdenken.
Cohen: Wir mögen es nicht nachzudenken! Haben Sie keine einfacheren Fragen?
(Er steht auf und geht zum Kamin.)
Anjani: Ich hoffe, dass jeder Mensch seine innere Kraft entdeckt, wenn er älter wird.
(Cohen schwenkt ein großes Holzscheit.)
Cohen: Los, wir schlagen ihn tot!
(Beide lachen.)
Anjani: Ich werde älter und Leonard ist zum Glück –
Cohen: bald tot
Anjani: – der Nutznießer dieses Prozesses. Und gleichzeitig spornt er mich immer wieder an, meinen Weg weiterzugehen.
(Cohen setzt sich wieder.)
Cohen: Ich muss noch mal auf das Wort »Beziehung« zurückkommen, das Sie gerade erwähnten. Meines Erachtens hat dieser Ausdruck einen bedrohlichen, geradezu sinistren Beigeschmack. Alle arbeiten an ihrer Beziehung, diskutieren ständig darüber, das kann sicherlich nur Kummer hervorrufen. Was wir beide haben, ist besser - es gibt kein Wort dafür.
Wie wäre es mit »Liebe«?
Cohen: Besser als Liebe. Auch die Liebe ist in Verruf geraten.
Dabei haben Sie vor einigen Jahren noch selbst gesungen »Ain't No Cure For Love« – »Es gibt kein Heilmittel gegen die Liebe«.
Cohen: Stimmt, deshalb haben wir die Liebe ja abgeschafft.
Und wie erreicht man diesen glückseligen Zustand? Bitte geben Sie uns einen Rat.
Cohen: Gedächtnisschwund!
Anjani: Mit Gedächtnisschwund und dem Willen zu vergeben kommt man schon sehr weit. Am weitesten aber kommt man mit Güte.
Wie wichtig ist die Musik für Ihre Verbindung?
Cohen: Es ist wunderbar, eine Beschäftigung zu haben, die uns beide begeistert und in der wir den jeweiligen Beitrag des anderen respektieren. Anjani überrascht mich immer wieder mit ihren musikalischen Ideen. Auf die Qualität der Songs, die sie für das Album Blue Alert unter Verwendung einiger meiner Textfragmente geschrieben hat, war ich in keinster Weise vorbereitet. Und es ist wirklich sehr angenehm, von jemandem, den man lange kennt, nach all den Jahren noch überrascht zu werden.
Anjani, was schätzen Sie an Leonard Cohens Texten?
Anjani: Sie sind herrlich zu singen. Leonard ist ein außergewöhnlicher Songschreiber, weil er zuallererst Dichter ist; seine Liedtexte lesen sich wie Gedichte. Er hat die wunderbare Gabe, Bilder gegenüberzustellen, die man normalerweise nie zusammenbringen würde. So ergeben sich scharfe, eindrückliche, nahezu magische Wortpaarungen. Blue Alert beginnt zum Beispiel mit den Zeilen: »There's perfume burning in the air / Bits of beauty everywhere / Shrapnel flying, soldier hit the dirt.« Im Lied werden also gleich am Anfang Worte wie »Parfum« und »Schönheit« zu »Schrapnell« und »Schmutz« in Beziehung gesetzt. Für mich ist das die Beschreibung eines sehr ursprünglichen, essenziellen Gefühlszustands.
Wie entwickeln Sie als Sängerin ein Gespür für die Darbietung solch komplexer Lieder?
Anjani: Der einzige Weg, diese Songs zu interpretieren, besteht für mich darin, sie nicht zu interpretieren, sondern sie dem Publikum nur vorzulegen, sodass jeder Hörer seine eigenen Gedanken und Erfahrungen einblenden kann. Das ist für mich das Großartige an Leonards Werk: Es ist so universell, vielschichtig und tief, dass jeder, wo auch immer er im Leben steht, einhaken und sagen kann: Jawohl, er spricht direkt zu mir.
Leonard, einige Ihrer bekanntesten Lieder, wie »Suzanne« oder »So Long, Marianne«, sind früheren Partnerinnen gewidmet. Werden Sie nun auch einen Song über Anjani schreiben?
Cohen: Ganz bestimmt nicht!
Warum nicht?
Cohen: Weil ich unserer Verbindung dann vielleicht einen Namen geben müsste – und das möchten wir nicht. Vielleicht ginge es, wenn ich ausgesprochen mehrdeutige Metaphern wählte. Andererseits glaube ich, dass es keine Worte gibt, die mehrdeutig genug sind, um das zu beschreiben, was wir haben.
Es heißt, Sie arbeiten an einem neuen Album, das im Herbst erscheinen soll.
Cohen: Davon habe ich gelesen. Und meine Plattenfirma hat mir dasselbe mitgeteilt. Aber ich verspüre keine Eile und keine Neigung, mich zu übereilten Entscheidungen hinreißen zu lassen. Ich bin jetzt 72 und werde die Platte wohl fertig bekommen, bevor ich 80 bin.
Das klingt recht altersweise.
Cohen: In einer sehr zuverlässigen Quelle - ich glaube, es war die Zeitschrift Time - habe ich gelesen, dass die Gehirnzellen, welche Sorgen und Furcht auslösen, im Alter absterben. Leider sterben auch viele andere Gehirnzellen, aber egal. Auf jeden Fall führt der Verlust der Sorgen-Zellen dazu, dass man ein sehr viel friedlicheres Leben als vorher führt, ganz unabhängig davon, ob man auch auf spirituellem Weg versucht hat, seinen Frieden zu finden. Ich glaube, genau das ist mir passiert. Das und der Gedächtnisschwund, den ich Ihnen ja schon vorhin als Methode der Lebensbewältigung empfohlen habe. Dank dieser beiden Vorgänge habe ich mein Zeitgefühl komplett verloren. Von mir aus können wir also noch ewig weiterreden.
Erschienen im SZ-Magazin vom 27.04.2007.