»Countrymusik ist viel punkiger als Punk«

Die Sängerin Neko Case im Interview über die Freizeitgestaltung in Tucson, ihren Drang nach Unabhängigkeit und die verborgene feministische Ader des Country-Genres.

Foto: Anti-Records

In den USA ist Neko Case eine der zentralen Figuren der alternativen Country- und Songwriter-Szene, die 38-jährige Sängerin hat es sogar schon aufs Cover des Rolling Stone geschafft. In Deutschland ist Case, die weiterhin auch Mitglied der Indie-Supergruppe New Pornographers ist, noch nicht ganz so bekannt, aber das soll sich jetzt ändern. Gerade erschien ihr tolles neues Album Middle Cyclone (Anti), im Sommer kommt sie für eine längere Tour nach Europa. Mitte Februar war sie allerdings schon für einige Testgigs in Deutschland, am Tag nach dem Münchner Konzert habe ich mit ihr gesprochen.

Neko Case, bei Ihrem Konzert gestern ist etwas erstaunliches passiert: Sie fingen an, ein Lied zu singen – und mussten wieder abbrechen, weil Sie plötzlich einen Lachanfall bekamen. Was war da los?
Das war mein Jetlag. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lachen.

Worüber?
Kelly Hogan (Anmerkung: ihre Background-Sängerin) und ich hatten uns vorher über den schlappen, weinerlichen Song lustig gemacht, den wir gerade singen wollten.

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Außerdem haben Sie auf der Bühne darüber geredet, eine Gummischürze zu tragen und die Strumpfhose bis über die Brüste nach oben zu ziehen.
Ich glaube, Kelly hat einen schlechten Einfluss auf mich! Das war alles aus dem Ärmel geschüttelt, eine Folge unseres Jetlags. Wir haben versucht, uns den allerpeinlichsten Look vorzustellen. Strumpfhosen sind immer furchtbar.

Das Konzert war dann aber toll und auch Ihre Band hat wirklich gut gespielt. Was sind das für Typen?
Die haben alle ihren eigenen Stil, keiner spielt auf die traditionelle Art. Paul Rigby, mein Gitarrist, ist ausgebildeter Jazzmusiker, er kennt sich also mit unterschiedlichen Songstrukturen aus. Mein Bassist und mein Drummer sind eigentlich auch Jazzer.

»In der Countrymusik gab es in den Siebzigern und Achtzigern viel mehr weibliche Stars, die ihre eigenen Songs schrieben, als im Punk oder irgendeinem anderen Genre«

Stimmt es also weiterhin, dass die besten Instrumentalisten im Jazz zu finden sind?
Ich glaube, schon. Jazzmusiker wissen, wie man auf Umwegen ans Ziel kommt. Sie schrecken nicht vor unbekanntem Terrain zurück. Und sie lieben die Herausforderung.

Mir ist aufgefallen, dass Sie eine viersaitige Gitarre spielen. So etwas habe ich noch nie gesehen.
Als ich angefangen habe, Gitarre zu lernen, bin ich mit einer normalen, sechssaitigen Gitarre nicht gut zurecht gekommen, weil meine Hände so winzig sind. Bei meinem Freund Don Kerr in Toronto habe ich dann aber eines Tages eine viersaitige Gitarre gefunden: Die Wolken sind aufgerissen, die Sonne strahlte vom Himmel herab! Nachdem ich die viersaitige gelernt habe, kann ich jetzt auch die sechssaitige Gitarre spielen. Meine Hand hat sich wohl ein bisschen gedehnt.

Wo bekommt man solche Gitarren her?
Sie werden seit den Siebzigern nicht mehr serienmäßig hergestellt, aber man kann sie anfertigen lassen und findet ohne Probleme gebrauchte Exemplare, die gar nicht teuer sind. Die Idee stammt eigentlich aus der Big-Band-Ära. Man hat viersaitige Gitarren gemacht, damit die Gitarristen ständig Soli spielen können, ohne die beiden tiefen Saiten abdämpfen zu müssen.

Sie haben als Schlagzeugerin in Punkbands angefangen, aber auf Ihrem ersten Album im Jahr 1997 traditionelle Countrymusik gespielt. Wie kam es zu diesem Richtungswechsel?
Für mich war das kein Richtungswechsel. Ich habe damals erkannt, dass Countrymusik in Wahrheit viel punkiger ist als Punk. Viele halten Country für rechtslastige Musik, aber das ist unbegründet, denn Country begann einmal als Protestmusik. Außerdem gefiel mir, dass es in der Countrymusik in den Siebzigern und Achtzigern viel mehr weibliche Stars gab, die ihre eigenen Songs schrieben, als im Punk oder irgendeinem anderen Genre. Natürlich gibt es in der Countryszene auch sehr konservative Leute, aber als organisch gewachsenes Genre war Country damals um einiges progressiver als andere Stilrichtungen.

Im Lauf Ihrer Karriere haben Sie sich von der traditionellen Countrymusik wegbewegt, hin zu einem atmosphärischen, sehr persönlichen Sound.
Ich glaube, ich habe meinen Stil zur Zeit des Albums Blacklisted gefunden. Auf Fox Confessor Brings The Flood hatte ich ihn und konnte meinem künstlerischen Instinkt vertrauen. Als ich das neue Album Middle Cyclone geschrieben habe, wusste ich, dass es okay sein würde, auf Songs zu verzichten, die auf dem Schema Strophe-Refrain-Strophe-Refrain beruhen. Meine Songs sind eher linear, wie kleine Filme. Einige Refrains haben allerdings doch den Weg aufs neue Album gefunden. Bei den New Pornographers wird man süchtig nach kraftvollen Refrains.

Ein weiteres Merkmal Ihrer Musik ist ihre ausdrucksstarke Stimme. Sie sind inzwischen ein echter Americana-Gesangsstar!
Dabei habe ich nie gedacht, dass meine Stimme etwas besonderes ist. Ich hatte einfach immer einen großen Drang zu singen, weil das so eine erstaunliche körperliche Erfahrung ist. Meine Stimme ist von Natur aus sehr laut und seit Beginn meiner Karriere habe ich das Anliegen, Dynamik hineinzubringen, manchmal ein bisschen leiser zu singen.

Haben sich Ihre Nachbarn schon beschwert?
Nein, ich glaube, die können mich nicht hören. Bei mir nebenan wohnen Teenagermädchen, die immer auf dem Hof rumstehen und die Songs aus dem Radio mitsingen. Denen ist es egal, ob ich auch etwas singe.

Eines der großen Themen Ihrer Karriere ist der Drang nach Unabhängigkeit. Stimmt es, dass Sie ein Major-Angebot abgelehnt haben, um bei einem kleinen Label zu bleiben?
Das stimmt, und darüber bin ich sehr froh. Angesichts der derzeitigen Lage der Musikindustrie wäre es keine kluge Entscheidung gewesen, zu einem Major zu gehen. Ich möchte die Kontrolle behalten, bei allem dabeisein, was meine Alben und meine Karriere betrifft.

Können Independent-Labels besser auf die Krise reagieren?
Ja. Sie sind innovativer. Und da sie nicht irgendwelchen Großkonzernen gehören, gibt es keine ständigen Machtwechsel auf der Führungsebene. Ich bin sehr viel auf Tour und brauche deshalb auch nicht das Marketing-Budget, das ein Major vielleicht investieren könnte. In den USA habe ich mir mein Publikum auf diesen Tourneen selbst erspielt; jetzt hoffe ich, dass das auch in Europa gelingt.

Sie leben inzwischen in Tucson, Arizona, richtig?
Genau.

Hier in Deutschland haben wir diese sehr romantische Vorstellung, dass sich die Musiker in Tucson – Giant Sand, Calexico und Sie – jeden Abend in der Wüste ans Lagerfeuer setzen und gemeinsam Gitarrespielen. Ist da was dran?
Da muss ich Sie enttäuschen. Wir arbeiten alle und sind viel auf Tour. Wenn nicht, sitzt man zu Hause und isst sein Abendbrot.

Oh nein – Sie zerstören gerade einen meiner Träume!
Das tut mir leid. Wenn ich die Jungs von Calexico mal treffe, dann eher im Studio, nicht am Lagerfeuer. Es gibt unter den Musikern in Tucson aber tatsächlich einen guten Gemeinschaftsgeist.

Auf Ihrer Website schreiben Sie ein Tour-Tagebuch. Was werden Sie über Ihren München-Gig hineinschreiben?
Hm, ich schreibe ja nicht über jedes Konzert.

Aber das legendäre Konzert in München können Sie ja wohl kaum weglassen!
Das legendäre München-Konzert, wo ich mich so peinlich benommen habe?

Genau. So etwas wollen die Leute lesen, vertrauen Sie mir.
Okay, ich werde darüber nachdenken.