An einem Samstagmorgen im vergangenen Herbst schlappte ich um kurz nach acht ins Bad und schaltete das Radio an. Kurz darauf war die morgendliche Trägheit verschwunden und ich lauschte elektrisiert einem einstündigen Feature mit dem Titel »Miesbach, der Moog und die Mayas – Der Klangmystiker Florian Fricke und seine Band Popol Vuh«, das der Bayerische Rundfunk im Morgenprogramm versteckt hatte. Während einer ausgedehnten Krautrock-Phase in den Neunzigern hatte ich viel Popol Vuh gehört – nun kehrte beim Zähneputzen die Erinnerung an großartige Alben wie Hosianna Mantra, Aguirre und In den Gärten Pharaos zurück. Hinzu kam, dass der Bandleader Florian Fricke in der Sendung einfühlsam und kenntnisreich porträtiert wurde, inklusive diverser Einblicke in seinen offenbar recht komplexen Charakter.
Die Sendung mag ein erstes Anzeichen dafür gewesen sein, dass Popol Vuh wieder Konjunktur haben. Im kommenden Dezember jährt sich Frickes Todestag zum zehnten Mal. Bereits im Herbst 2010 erschien eine Box mit den Soundtracks, die Popol Vuh für diverse Filme von Werner Herzog eingespielt haben; vergangene Woche ist nun eine Doppel-CD mit dem Titel Revisited & Remixed 1970-1999 (SPV) erschienen. Die erste CD enthält 12 Stücke von Popol Vuh, die zweite Remixe von Leuten wie Peter Kruder, Moritz von Oswald, Mouse On Mars und Stereolab.
In den entsprechenden Hipster-Zirkeln wird der Krautrock – ein bei den Musikern unbeliebter Begriff – schon lange verehrt. Doch obwohl Popol Vuh ohne Zweifel zu den interessantesten Bands dieser Ära gehören, habe ich den Eindruck, dass Gruppen wie Kraftwerk, Can, Faust und Neu! beim heutigen Publikum doch etwas beliebter sind. Ich glaube, dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen fehlt den frühen Alben von Popol Vuh ein markanter Beat, sie können also, anders als bei Kraftwerk oder Neu!, kaum als Vorläufer von Clubmusik herhalten und nur schwer von DJs verwertet werden. Zum anderen hat die Musik von Popol Vuh seit dem dritten Album Hosianna Mantra oft einen religiösen, ja unverkennbar christlichen Einschlag; ohne ironische Distanz wird hier Gott gepriesen, und das ist dann doch etwas, wovon der Hipster lieber die Finger lässt.
Ich halte Hosianna Mantra für das beste Album von Popol Vuh und kann jedem nur nahelegen, dieses Meisterwerk selbst zu entdecken
Zur Information über diese faszinierende Band empfehle ich die Webseite popolvuh.nl, auf der ein niederländischer Fan seit Jahren alles zusammenträgt, was zum Verständnis von Popol Vuh beitragen kann. Hier nur einige Eckdaten ihrer Karriere: Die Band begann, als der klassisch ausgebildete Pianist Florian Fricke 1970 einen Moog-Synthesizer erwarb – den zweiten in Deutschland. Die visionäre Erfindung des amerikanischen Ingenieurs Robert Moog öffnete damals die Tür zu neuen elektronischen Klangwelten, die sich jeder Musiker mangels Vorbilder oder Lehrer selbst erschließen musste. So haben die ersten beiden Popol-Vuh-Alben, die vom Moog-Sound geprägt sind, den Charakter ausgedehnter Klangexperimente.
Doch schon mit dem dritten Album hatte Fricke das Interesse am Moog verloren. In einem Essay, das dem Ohr-Sampler Kosmische Musik beilag, bekannte er sich zur Musik als heilender, göttlicher Kraft und formulierte sein musikalisches Credo: »Lasst uns Musik machen, die uns wohltuend bedenkt, die uns von dem Außen nach Innen führt. Dort lasst uns gemeinsam sein. Friede und Freude.« So hörte sich die Musik von Popol Vuh dann auch an: spirituell, harmonisch, sphärisch-abgehoben und oft von fernöstlicher Mystik inspiriert, dabei aber nie platt und durchschaubar. Die produktivste Phase hatte die Band in den Siebzigern, doch auch in den Achtzigern und Neunzigern erschienen weiter Alben, darunter die Soundtracks zu den Werner-Herzog-Filmen Fitzcarraldo und Cobra Verde. 1999 kam das letzte Album von Popol Vuh heraus, zwei Jahre später starb Florian Fricke an einem Schlaganfall.
Welchen Eindruck gibt nun das neue Best-Of-Album von Popol Vuh? Zusammengestellt wurde es von Johannes Fricke-Waldthausen, Sohn des Künstlers, und vom Münchner Produzenten Roland Appel. Ich finde, dass die beiden nicht besonders mutig waren. Das Album setzt den Schwerpunkt nämlich auf die avantgardistischeren und somit »cooleren« Stücke von Popol Vuh; u.a. sind mehrere ausgedehnte Moog-Stücke aus der Frühphase der Band zu hören. Verzichtet wurde hingegen auf die allzu hymnischen, schönen, christlichen Songs der Band – offensichtlich gilt dieses Repertoire immer noch nicht als mehrheitsfähig. Ich halte Hosianna Mantra für das beste Album von Popol Vuh und bin deshalb verwundert, dass nichts davon auf dem neuen Sampler enthalten ist. So kann ich jedem nur nahelegen, dieses Meisterwerk selbst zu entdecken.
Wenig zu sagen habe ich zur Remix-CD. Wenn durch solche Aktion neue Hörer mit Popol Vuh bekannt gemacht werden, bitte gerne. Aber musikalisch sind die Remixe, an den Originalen gemessen, allesamt verzichtbar; in keinem Fall gelingt es einem der Remixer, das Originalstück auf interessante oder anregende Art weiterzudenken. Dafür sind Popol Vuh wohl immer noch zu weit vorne.