Sergio Mendes, Sie waren dabei, als Ende der Fünfziger in Rio de Janeiro ein neuer Musikstil enstand: Bossa Nova. Erinnern Sie sich? Ja, an diese Zeit erinnere ich mich sehr gut. Ich habe mit meinem Trio in einem kleinen Club an der Copacabana gespielt, der Batos Bar. In der Nähe gab es einen anderen Club, in dem sich Musiker wie Antonio Carlos Jobim und Joao Gilberto getroffen haben, die Pioniere der Bossa Nova. Jeder kam dorthin, viele Lieder entstanden – eine aufregende Zeit. Ein bisschen später hatte ich eine Gruppe namens Bossa Rio Sextet. Jobim war ein guter Freund von mir. Er hat Arrangements für mich geschrieben, und wir wurden eine der bekanntesten Instrumentalbands der Bossa-Ära.
Sie waren damals sehr jung!
Ich bin Jahrgang 1941. Als es losging, war ich siebzehn.
Dann waren Sie ein Wunderkind!
Ach, nicht wirklich. Ich habe einfach gerne gespielt. Für mich war es toll, mit diesen großartigen Musikern zu spielen. Ich war immer sehr neugierig und habe gerne gelernt.
1962 waren Sie beim legendären Konzert in der Carnegie Hall dabei, als der weltweite Siegeszug der Bossa Nova begann.
Ja, auch daran erinnere ich mich gut. Antonio Carlos Jobim war da, Joao Gilberto, Stan Getz – all diese Leute, die eigentlich mein Vorbilder waren. Ich habe dort mit dem Bossa Rio Sextet gespielt, und ich war sehr nervös. Aber wir kamen gut an und haben gute Kritiken bekommen. Das war ein großer Moment für mich. Im selben Jahr habe ich Cannonball Adderley im Birdland getroffen, dem berühmten Jazzclub. Er hat mich eingeladen, ein Album mit ihm zu machen.
Haben Sie damals geahnt, dass Bossa Nova Jahrzehnte später immer noch populär sein würde?
Nein, an so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht. Dafür war ich wohl zu jung. Aber ich habe sofort erkannt, dass die Melodien von Antonio Carlos Jobim Klassiker werden würden. Auch das Interesse von amerikanischen Musikern wie Stan Getz, Charlie Byrd und Frank Sinatra war für uns ein Beleg für die Qualität unserer Musik.
1966 hatten Sie dann das, wovon jeder Musiker träumt: einen Welthit. Der Titel: »Mas Que Nada«.
Mein Freund Jorge Ben hat den Song geschrieben. Ich hatte ihn schon mit meinem Trio in der Batos Bar gespielt. Als ich in die USA kam, habe ich entschieden, ihn für Gesang zu arrangieren. Es wurde ein großer Hit. Meines Wissens ist »Mas Que Nada« bis heute der einzige Welthit, der aus Brasilien kam und auf Portugiesisch gesungen wird.
Der Song hat immer noch eine unglaubliche Kraft.
Ja, es ist ein magischer Song. Ich bin sehr glücklich darüber, dass dieser Song mit meiner Karriere assoziiert wird.
Die Musik hat in Brasilien einen besonders hohen Stellenwert, richtig?
Musik und Fußball – das sind die wichtigsten Dinge für uns.
In Deutschland sind wir auch große Fußball-Fans, aber die Musik ist hier nicht so wichtig.
Tatsächlich? Dabei habt ihr doch Johann Sebastian Bach! Auf den muss man doch stolz sein.
Das stimmt, aber Bach ist seit 250 Jahren tot.
Na und, die Leute spielen seine Musik immer noch. Ich glaube, jedes Land leistet irgendeinen Beitrag zur Kultur. In Deutschland gab es viele Maler, viele Philosophen. Nach Brasilien kamen die Portugiesen, die Franzosen, die Holländer – und natürlich die Sklaven, gezwungenermaßen, die die afrikanischen Rhythmen mitbrachten. Es ist eine wunderbare Kombination verschiedener Kulturen. Diese historischen Entwicklungen haben die Musik hervorgebracht, die man heute hören kann.
Auf Ihren letzten Alben haben Sie mit hochkarätigen internationalen Popstars zusammengespielt. Auf dem neuen Album Bom Tempo sind hingegen brasilianische Stars wie Carlinhos Brown und Milton Nascimento als Gäste dabei.
Jedes Album ist für mich ein neues Experiment, ein neues Gemälde. Diesmal wollte ich etwas sehr Brasilianisches machen. Deshalb habe ich Leute wie Carlinhos und Seu Jorge eingeladen. Der Geist dieses Albums ist sehr brasilianisch, aber es sollte ein zeitgemäßes Album sein. Keine Nostalgie.
Der einzige auf englisch gesungene Song auf Bom Tempo stammt von Stevie Wonder. Den kennen Sie schon seit den Siebzigern, richtig?
Ja, Stevie hat mich vor langer Zeit einmal gefragt, ob ich einen portugiesischen Songtext für ihn schreiben könne. Ich glaube, der Text war für sein Album Innervisions. Ich habe also den Text geschrieben, er hat ihn gesungen. Danach hat er gesagt, jetzt habe ich einen Song für dich. Er kam er zu mir nach Hause und hat mir »The Real Thing« vorgespielt. Der Song erschien 1977 auf meinem Album Sergio Mendes & The New Brasil '77; jetzt habe ich ihn erneut aufgenommen. Stevie ist ein Genie: ein unlaublicher Komponist, Sänger, Pianist und Arrangeur. Und er liebt brasilianische Musik. Seine Bassist Nathan Watts spielt übrigens auf ein paar Stücken meiner neuen Platte mit.
Wer ist Ihr Favorit für die Fußball-WM?
Schwierig. Ich hoffe natürlich, dass Brasilien gewinnt. Aber auch Spanien, England, Deutschland, Italien und Argentinien haben starke Mannschaften. Eine meiner ältesten Erinnerungen ist übrigens die Fußball-WM 1950. An den Tag, als wir im Maracana-Stadion gegen Uruguay verloren haben, erinnere ich mich genau. Das ganze Land hat getrauert, selbst mein Vater hat geweint. Eine Heimniederlage! Es war ein trüber, regnerischer Tag.
Es heißt, Sie seien mit Pélé befreundet!
Ja, ich kenne ihn gut. Ich habe sogar eine Platte mit ihm gemacht. Ich war auch bei seinem Abschiedsspiel für Cosmos New York. Mit meiner Band bin ich dort aufgetreten und habe ein paar Songs für ihn gespielt. Er ist ein toller Mensch – und vielleicht der beste Spieler aller Zeiten.