Anzeige <!-- /* Font Definitions */@font-face{font-family:"MS 明朝";mso-font-charset:78;mso-generic-font-family:auto;mso-font-pitch:variable;mso-font-signature:1 0 16778247 0 131072 0;}@font-face{font-family:Cambria;panose-1:2 4 5 3 5 4 6 3 2 4;mso-font-charset:0;mso-generic-font-family:auto;mso-font-pitch:variable;mso-font-signature:3 0 0 0 1 0;} /* Style Definitions */p.MsoNormal, li.MsoNormal, div.MsoNormal{mso-style-parent:"";margin:0cm;margin-bottom:.0001pt;mso-pagination:widow-orphan;font-size:12.0pt;font-family:"Times New Roman";mso-ascii-font-family:Cambria;mso-ascii-theme-font:minor-latin;mso-fareast-font-family:"MS 明朝";mso-fareast-theme-font:minor-fareast;mso-hansi-font-family:Cambria;mso-hansi-theme-font:minor-latin;mso-bidi-font-family:"Times New Roman";mso-bidi-theme-font:minor-bidi;}@page Section1{size:612.0pt 792.0pt;margin:70.85pt 70.85pt 2.0cm 70.85pt;mso-header-margin:36.0pt;mso-footer-margin:36.0pt;mso-paper-source:0;}div.Section1{page:Section1;}--> Dicke Jacken, Morgengesichter, die Haare irgendwie, in der Hand Pappbecher: So stehen meine Töchter und ich vor einem ICE am Münchner Hauptbahnhof. Mein Großvater feiert seinen 90. Geburtstag, wir fahren nach Kiel, acht Stunden, Zeit einzusteigen.
Bis Kassel sind wir eine unauffällige Familie, lesend, essend. Louise entscheidet sich, eine Geschichte zu schreiben. Auf einem Block. Sie ist schon auf der zweiten Seite, stolz auf die dichten Zeilen, da fällt ihrer großen Schwester Martha auf, dass es ihr Block ist, auf dem Louise schreibt. »Gibt den zurück«, sagt sie, »sofort«. »Du brauchst ihn doch gerade gar nicht«, antwortet Louise. »Trotzdem«, sagt Martha. Ich setze mich aufrecht hin, sage, »du brauchst ihn doch wirklich nicht, Martha«. Martha wird lauter. Es geht hin und her, ich komme nicht dazwischen. Meine Sätze hängen wie Zitate in der Luft, in diesem Großraumwagen mit 30 stummen Menschen, die jetzt schauen.
Ich versuche lustig zu sein: »Gleich gehe ich in Bordrestaurant und trinke ein Bier, bis ihr das geregelt habt«, sage ich. Niemand lacht. Die Mädchen streiten lauter, der Block wird über den Tisch gezerrt. Sie kneifen sich. Mir wird heiß. Ich bin überrumpelt von der Schärfe ihrer Sätze, davon, dass ich keine Autorität besitze und frage mich, ob ich etwas übersehen habe. Ein Entwicklungsschritt vielleicht? Streiten Teenies so? Oder sind das die Auswirkungen der Trennung? Habe ich jetzt zwei Töchter, die sich straßenköterhaft durch ein Leben beißen, in dem alles verhandelbar scheint? Ihr Großwerden vermischt sich mit meinem Getrenntsein zu einem dumpfen, unguten Gefühl.
Da sagt Louise, den Block aufgebend: »Martha, du bist so eine Wichserin.« Ich springe auf, nicht dieses Wort. In dem Moment ruft eine Männerstimme hinter mir: »Jetzt kriegen Sie mal diese Kinder in den Griff, das ist ja zum Kotzen!« Mein Kopf fliegt herum, ein ZEIT-Leser, Zeuge des Sittenverfalls. Sein Tadel glüht in meinem Rücken, 30 Menschen scheinen mir gerade ein Zeugnis auszustellen, Note: ungenügend. Alle schweigen, sogar die Kinder, sie haben sich müde gestritten.
Zum ersten Mal fühle ich mich alleinerziehend. Am Abend telefoniere ich mit ihrem Vater Jan und erzähle von der Fahrt. Er teilt meine Empörung und wir verabreden, dass wir mit den Kindern sprechen. Gemeinsam. Er steht am Ende des Gleises, als wir wieder in München ankommen. Die Kinder sind erstaunt, fragen: »Was hat Papa mit unserem Streit zu tun?« - »Wir sind eure Eltern«, antworte ich und bin froh, dass das so ist. Zwei Getrennte im Gewühl der Reisenden, die sich einig sind, dass einige Regeln weiter gelten. Zum Beispiel die, dass man ihr Erwachsenenwort nicht ignoriert.
Illustration: Grace Helmer