Die Schrift auf dem Brief ist vertraut, die ebenmäßigen Buchstaben, mit blauer Tinte geschrieben. Ich stehe bei meinem Ex-Mann Jan in der Küche und greife nach dem Umschlag, denke, er wird an mich sein. Sechs Namen stehen darauf, auch die meiner Töchter, meiner ist nicht dabei. Es sind Zeilen meiner Schwiegermutter an die Familie ihres Sohnes, zu der ich jetzt nicht mehr direkt gehöre. Ist ja richtig. Und doch fühlt es sich falsch an.
Schwiegermütter bleiben. Das mag an dem Wort Mutter liegen, es gibt keine Ex-Mütter, jedenfalls kenne ich keine. Meine Schwiegermutter Marlies hat mich aufs Abitur vorbereitet, sie ist Lehrerin. Sie hat mich bekocht, war eifersüchtig, als ich ihren Sohn für mich einnahm, hat die Taufen unserer Töchter ausgerichtet, war mit uns in den Ferien und hat uns Geld geschickt, wenn keines mehr da war. Wir haben zusammen gelacht und gestritten, waren stolz aufeinander und haben uns füreinander geschämt.
Unser schlimmstes Telefonat fand an einem Neujahrsmorgen statt, als sie befürchtete, Jan könnte sich etwas antun und klarstellte, die Schuld daran trüge ich. Ich hoffe, sagte sie, deine Entscheidung dich zu trennen, lohnt sich und ist den Schmerz aller wert. Wir wussten beide: Nichts würde sich lohnen. Nichts ließe sich gegeneinander aufwiegen.
Sie war wie ein Tier, das sein Junges verteidigt, und das fällt mir wieder ein, als ich den Brief in den Händen halte, der sich nun an die neue Familie richtet, mit der ihr Sohn zusammen lebt. Logisch, denke ich, sie möchte Jans Leben begleiten, und das bedeutet auch, an alle sechs zu schreiben. Sie in den Ferien willkommen zu heißen. Aber dann entdecke ich die Handschuhe, selbstgestrickt. Ein aufwendiges Muster, die Arbeit von Stunden, Marlies musste sicher oft auf ihre Anleitung schauen, schon eine Radiostimme hätte sie abgelenkt. Sie hat sie Anna geschenkt. Ich nehme sie in die Hand und habe Sorge, jemand könnte bemerken, dass mein Lächeln angestrengt ist. Ich möchte mich für Anna freuen, aber es ist noch nicht lange genug her, dass ich selbst Gestricktes von Marlies bekommen habe.
Auf der Durchreise taucht sie auf, ein Essen bei Anna und Jan, ich bin eingeladen. Nichts Ungewöhnliches, sich nach langer Zeit wiederzusehen, neu ist nur die Besetzung. Wir sagen »Na?« zueinander, dann setzen wir uns. Sie vermisst mich, das spüre ich, und ich vermisse sie. Ich sehe, wie Anna und Jan die Kartoffeln auf den Tisch stellen, sehe es mit Marlies' Augen, sie kommen zu früh, sie werden kalt. Die Soße ist zu dickflüssig, der Spargel wahrscheinlich nicht ausreichend geschält. Marlies‘ kritischer Blick, er gilt nicht mehr mir, ich bin Gast wie sie. Aufgekratzt reiße ich ein paar Witze, froh darüber, dass ich beobachten kann, nicht verantworten muss und trotzdem dazugehöre.
Illustration: Grace Helmer