Folge 24: Die Katze

Als ihr Leben noch übersichtlich war, zog in die Familie unserer Kolumnistin eine Katze ein: Karoline. Ein störrisches Wesen, das nicht weiter störte. Dann brach sich das Tier die Schulter.

Ich schlafe zu wenig. Fünf oder sechs Stunden, selten mehr. Seit einigen Wochen habe ich eine Katze. Sie heißt Karoline. Schöner Name, finde ich. Schöne Katze, finden meine Kinder. Sie möchten, dass Karoline bleibt. Ich möchte schlafen.

Karoline ist Familienbesitz. Nach der Trennung hat Jan sie aufgenommen, aber dann kamen die Herbstferien und Jan und Anna verreisten – ob ich die Katze für eine Woche nehmen könnte? Seitdem lebt Karoline bei mir. Jan, wann nimmst du die Katze zurück?, frage ich. Aber Jan schüttelt den Kopf und antwortet, dass Anna schlafen möchte. Ich kann mich nicht empören und sagen, das hätte man absprechen müssen, er solle das Tier zurücknehmen. Eine Katze hin- und herschieben vor den Kindern, die an ihr hängen? Unmöglich. Ich habe Mitleid mit Karoline – auch wenn unsere Beziehung gestört ist. Sie hat einen Knacks, wie ihre Schulter. Sie ist von der Dachterrasse gestürzt, vier Winter liegt das zurück. Gefunden wurde sie von zwei Jugendlichen, ein stilles Kätzchen im Schnee.

Schulterbruch. Der Tierarzt riet mir, sie operieren zu lassen, ein Draht würde die Knochen zusammenbringen, Behandlungserfolg schwer voraussehbar, Kosten zwischen 1200 und 1500 Euro. Obwohl ich versuchte mich dagegen zu wehren, dachte ich an die Prada-Handtasche, die ich mir so sehr wünschte, die ich mir genauso wenig leisten konnte wie eine Schulter-OP. Kornblumenblaues Saffiano-Leder, vergoldeter Reißverschluss. Ich habe sie schon mal in den Händen gehalten, habe die Fächer geöffnet und geschlossen und über das gebürstete Leder gestrichen. Froh, nicht entscheiden zu müssen, fragte ich den Arzt: Gibt es andere Möglichkeiten?

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Karoline bekam zweimal einen Gips für jeweils 300 Euro. Sie humpelt. Gäste fragen entsetzt, was ihr passiert sei. Manchmal klingelt meine Nachbarin, um Karoline zu streicheln. Du Süße, sagt sie dann, komm mal her. Niemand glaubt mir, dass sie nachts den Schwanz aufbauscht und sich in einen Rachegeist verwandelt. Sie probt den bösen Blick, rast umher, um plötzlich innezuhalten, als sei ihr etwas eingefallen. Sie ist auf den Kopf gefallen. Ich denke, sie leidet an Gedächtnisstörungen, transiente globale Amnesie, so nennen das Neurologen. Karoline weiß noch, dass sie Karoline ist, Ort und Zeit aber sind ihr entfallen. Stündlich singt sie das Hungerlied und ich trage Ohropax, bis meine Ohren schmerzen. Verschlossene Türen kommentiert sie, indem sie in meine Schuhe pinkelt.

Hast du sie auch so lieb? fragen mich meine Töchter und reichen mir das flauschige weiß-graue Bündel. Ja, sage ich, schon. Jeden Morgen säubere ich das Katzenklo im Bad, weil ich vergesse, die Kinder daran zu erinnern. Das Geräusch bringt Karoline auf die Idee, es zu benutzen. Aber damit wartet sie, bis ich unter der Dusche stehe, gefangen hinter einem weißen Vorhang. Wir schenken uns nichts.

Illustration: Grace Helmer