Sonntagmorgen, kurz nach acht. Martha und Louise wachen auf. Mama, sagt Louise in die Stille hinein, ich finde es komisch, dass wir alle in einem Zimmer schlafen. Wir müssen lachen. Das ist ja auch nur vorübergehend, antworte ich. Wir leben in der Wohnung meiner Freundin Hanna. Unser erstes Zuhause ohne den Vater. Jetzt sitzt Hanna auf dem vierten Stuhl, und das macht das neue Leben ein bisschen leichter. Trotzdem wünschen sich die Kinder ein eigenes Zimmer. Sie liegen in ihren Etagenbetten, ich im Ehebett, das keines mehr ist. Ein Schrank, ein Schreibtisch, auf dem Boden halb ausgeräumte Taschen und Schuhe. An unaufgeräumten Tagen fühlt es sich an, als würden wir campen.
Martha hat eine Idee. Sie schlägt vor, das Etagenbett als Gerüst für eine Höhle herzunehmen. Nach einem schnellen Frühstück spannen sie Schnüre. Holen Altpapier. Sie bauen mehrere Stunden, bis das Bett ein fast raumhoher Zeitungsverschlag ist, auf den sie PRIVAT schreiben. Sogar Eingänge und Fenster haben einen Sichtschutz, sie sind mit aufgeschnittenen H&M-Plastiktüten verhängt. Ich bewundere das Konstrukt, hinter dem meine Kinder verschwinden. Ein bisschen mulmig ist mir schon.
Meine Mutter ruft an. Ich erzähle. Ach, sagt sie, aber beim Jan haben die Kinder eigene Zimmer, nicht? Jan ist mein Ex-Mann, von dem ich mich getrennt habe. Ja, antworte ich. Ich beschreibe die Altbauwohnung, in der Martha und Louise leben, wenn sie nicht bei mir sind. Und stimmt es, hakt meine Mutter nach, dass sie in der Küche einen offenen Holzofen haben? Ja, sage ich. Und zwei Balkone? fragt sie weiter, den Hund und die Katze? Ja, Mama. Ich werde ungeduldig. Die Buchstaben leuchten: PRIVAT. Na, ich mein bloß, sagt meine Mutter, dort haben die Kinder natürlich ein richtiges Familienumfeld.
Sie spricht meine Sorgen aus. Ich sehe die neue Patchworkfamilie meines Ex-Mannes in der großen Küche sitzen, im Ofen ein Feuer. Auf dem Tisch ein kräftiges Brot. Schinken vom Metzger, Oliven vom Markt, die vier Kinder trinken selbstgemachten Holundersirup aus alten Gläsern. Alle erzählen vom Tag. Lachen, Gerangel. Hey wartet, kann bitte jeder seinen Teller in den Spüler räumen? Und wer geht mit dem Hund? Während ich mir das alles ausmale, bis es weh tut, fällt mir ein, dass die Kinder in den Jan-Wochen nach der Schule nach Hause gehen, während sie bei mir im Hort warten müssen. Ich arbeite bis abends. Meine Mutter und ich schweigen, wir fürchten dasselbe: dass Martha und Louise eines Montags nicht mehr wechseln möchten.
Gesprochen haben sie darüber nicht. Nie hatte ich das Gefühl, sie würden etwas vermissen. Außer ihren Vater. Ein eigenes Zimmer. Ich ahne, dass es vielleicht wir Erwachsenen sind, denen etwas fehlt. Die Sicherheit des Zusammenlebens. Rituale. Ich habe nichts gegen selbstgemachten Holundersirup. Mir gefällt die Vorstellung, zu sechst um einen Tisch zu sitzen. Als Kind habe ich solche Großfamilien oft besucht und beim Zuhören über den Hunger hinaus gegessen. Ich habe mich an ihnen gewärmt. Ob das meinen Kindern genauso geht? Meine Mutter hat eigene Sorgen. Ihr fehlen die Enkelbesuche. Seit der Trennung sind die Ferienwochen aufgeteilt, alle sehen sich nur noch die Hälfte der Zeit. Möchte eines der Mädchen mich vielleicht noch mal sprechen? fragt sie. Wollt ihr mit Oma telefonieren? Ich hebe eine H&M-Tüte und werde zurechtgewiesen. Ich hätte klopfen müssen. Es passt jetzt nicht: Meine Kinder sind gerade privat.
Illustration: Grace Helmer