Wer Beth Ditto gut findet, der steht auf die Musik der Sängerin, auf ihre schrillen Outfits, auf ihr Selbstbewusstsein. Auf ihren dicken Körper. Letzteres werden aber vermutlich nur wenige laut sagen - weil sie ahnen, was vielen Menschen um sie herum dann durch den Kopf gehen könnte: »Wer auf dicke Körper steht, bei dem stimmt doch was nicht. Der hat doch mindestens einen Fetisch.« Dass es Menschen gibt, die Gefallen an Speck haben, einfach so, ist für viele kaum vorstellbar. Und wenn, dann muss es in ihren Augen noch einen anderen Grund geben. Mitleid zum Beispiel.
Als ich mit meinem ersten Partner Hand in Hand durch die Stadt lief, machte er mich irgendwann auf die irritierten Blicke der Passanten aufmerksam. Sie drückten genau das aus: Wie zur Hölle konnte so ein Schnittchen an eine Frau wie mich geraten? Ich musste innerlich lächeln, denn unsere Kennenlerngeschichte war eine völlig andere. Wir waren uns Anfang der 2000er in einem Internetforum namens »Liebhaber dicker Frauenbäuche« begegnet. Dort tauschten sich Menschen über verschiedene Aspekte des vornehmlich dicken Lebens aus, auch über Erotik und Sex.
Ich war Anfang 20 und erfuhr durch das Forum eine Art körperpositiven Aha-Moment. Mir war zwar schon vorher bewusst gewesen, dass es da draußen Menschen gibt, denen ich gefalle. Denen mein dicker Körper gefällt. Aber dass diese Menschen sich im großen Kreis genau darüber austauschen, und dass es für sie ganz normal ist, den dicken Körper zu begehren - das war neu für mich. Und befreiend. So entdeckte ich bis dahin ungekannte erotische Punkte an meinem Körper, meine Armspeckfalte zum Beispiel, die für manche offenbar eine besonders reizende Stelle ist.
Und gleichzeitig ist es bezeichnend, dass sich Menschen, die sich vom dicken Körper angezogen fühlen, nur untereinander offen austauschen können. Wir sind alle von Kindesbeinen darauf konditioniert, den dicken Körper abzulehnen. Ist das Gegenteil der Fall, also finden wir Speck sinnlich und begehrenswert, hadern viele von uns mit dieser Vorliebe. Ich kann diesen Zwiespalt immer wieder spüren, wenn ich auf der Straße mal bewusst darauf achte, wie andere Menschen mich ansehen. Wie sie meinen Bauch ansehen. Da gibt es die, die sofort abgeschreckt sind von seinem Anblick, und es gibt die, deren Augen fasziniert an ihm hängen bleiben. Mein Bauch ist meine dritte Brust, sage ich deshalb gern scherzhaft.
Bei der weiblichen Brust dagegen wird üppiges Wippen und Hopsen gern gesehen
Tatsächlich besitzen ein dicker Bauch und eine Brust in bestimmten Momenten sehr ähnliche Eigenschaften, nämlich dann, wenn es um dynamische Bewegungen geht. Wie beim Sex. Je mehr Speck einen Körper umgibt, desto mehr gerät dieser ins Schwingen und desto länger schwingt er nach. Normalerweise verachtet der gesellschaftliche Blick dieses Beben, da fest und muskulös allgemein als schön gilt. Vor allem beim Bauch. Bei der weiblichen Brust dagegen wird üppiges Wippen und Hopsen gern gesehen, bestes Beispiel sind die Fernsehserie Baywatch oder diverse Computerspiele wie Tomb Raider, in denen die sogenannten »Breast Physics«, also das realistische Mitschwingen der Brüste bei jeder Bewegung, als Qualitätsmerkmal gelten. Menschen, die den dicken Körper begehren, schätzen diese rundum spürbare Ausschüttung von Energie, und zwar überall, auch und gerade am Bauch: Jede Zelle wogt, alles ist in Ekstase. Was ich auch immer wieder höre: Männer, die dicke Frauenkörper gut finden, lieben vor allem dessen umschmeichelnde Weichheit, die maximale Nähe, die er schenken kann, weil Speck eben nachgibt und so den anderen Körper umarmen kann. Und dann lässt sich ein dicker Körper natürlich sehr gut anfassen, ist ja so viel da von ihm.
Aber mir geht es hier nicht um Sex mit dicken Menschen (obwohl ich den durchaus empfehlen kann). Mein Punkt ist: Sex mit dickem Körper ist auch einfach nur Sex. Und kein Tabu, kein Unfall und schon gar keine Lachnummer, wie es uns von Hollywood so gerne suggeriert wird. In der Sexszene in Schwer verliebt mit Gwyneth Paltrow (Rosemary) und Jack Black (Hal) zum Beispiel sieht der Zuschauer die dicke Rosemary nur durch die Augen von Hal, der sie aufgrund einer Hypnose als schlank wahrnimmt. Dass es sich um Sex mit einer sehr dicken Person handelt, wird erst durch den riesigen Tanga klar, den Rosemary Hal zuwirft, der ihn dann für die Zuschauer noch einmal demonstrativ in die Breite zieht. In das Höschen würde Rosemary zweimal passen - ein klassischer Fat Joke.
Dieses weitverbreitete Bild führt dazu, dass viele dicke Menschen, insbesondere junge Frauen, mit dem Gefühl leben, dass sie in der Welt der Erotik und des Sexes nicht willkommen sind. Dass man sie dort nicht haben und nicht sehen möchte. Für mich lag es als Jugendliche lange Zeit außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass mich jemand als Gesamtpaket, also inklusive meines Körpers anziehend finden könnte. Avancen jeglicher Art wiegelte ich deshalb barsch ab (falls ich sie überhaupt als solche wahrnahm). Das ist ein großes Problem, denn das Entdecken und Ausleben der eigenen Sexualität ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung eines Menschen. Und wenn ein junger Mensch schon früh zu spüren bekommt, dass intimer Kontakt mit ihm oder seine sexuellen Vorlieben als Tabu abgestempelt werden, kann man sich sämtliche Bestrebungen um Vielfalt und Selbstbestimmung gleich sparen.
Protokoll: Sara Peschke