Ciao Bella

Das Model Bella Hadid ist irre erfolgreich, obwohl – oder gerade weil? – sie aussieht wie ein wandelnder Instagram-Filter. Über den Trend zu cyborghaften Gesichtern und Schönheitsoperationen, die einen in das eigene Social-Media-Ich verwandeln sollen.

Bella Hadid bei den Filmfestspielen in Cannes in Schiaparelli und goldenen Bronchien.

Foto: Getty Images

Die Lippen von Julia Roberts, die Brüste von Angelina Jolie, die Nase am besten von Scarlett Johansson oder Kate Moss. Wenn Frauen früher zu Schönheitschirurgen gingen, hatten sie meist Fotos von Prominenten in der Tasche. Wie kürzlich ein Arzt der spanischen Zeitung La Vanguardia erzählte, komme das heute immer seltener vor. Die meisten jungen Frauen zückten jetzt einfach ihr Handy und zeigten ihm Selfies von sich selbst – ein Schönheitsideal, das allerdings kein Stück realer sei. Weil besagte Fotos mit Apps und Filtern so bearbeitet sind, dass sie mit der Wirklichkeit nur noch wenig oder gar nichts gemein haben.

Der Wunsch ist natürlich verständlich. Wer manchen seiner Bekannten auf Instagram folgt und sie dann gelegentlich IRL, also im echten Leben trifft, fragt sich ja bisweilen auch, ob es sich da noch um ein und dieselbe Person handelt. Das muss den Betreffenden selbst irgendwann auch mal beim versehentlichen Blick in den Supermarktspiegel gedämmert haben. Was folgt, ist also das Bemühen um schleunigste Diskrepanz-Reduktion. Und ein bisschen was geht ja tatsächlich. Hyaluron-Filler hier und da und die Wangenknochen sind plötzlich viel definierter, das Kinn kantiger, die Augenbrauen höher, die Lippen voller, genauso wie das mancher Filter daherzaubert. »Zu sich selbst finden« wurde noch nie so missverstanden.

Aber was da so ganz individuell zusammengespritzt wird, sieht am Ende erstaunlich gleich aus – so wie die meisten durch »Face Tune« und Co gejagten Gesichter auf Instagram auch irgendwie die gleiche, wohl proportionierte Soße ergeben. Unsere sich mehr und mehr ins Digitale verlagernden Ichs werden immer cyborghafter, kloniger und damit letztlich Kylie-Jenner-mäßiger, EmRat-iger und vor allem Bella-Hadid-hafter. Die sind nämlich schon da, wo die anderen noch hinwollen.

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Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man letztgenanntem Model die vergangenen Jahre entkommen ist: Die 24-Jährige ist die jüngere Schwester von Supermodel Gigi Hadid, beide wiederum wurden von klein auf von Reality-Star Yolanda Hadid für den Laufsteg getrimmt. So richtig viel erwartet hatte man sich von »Black Swan« Bella (O-Ton ihre Mutter) im Vergleich zum blonden Schwan (Gigi) eigentlich nicht, aber die Amerikanerin mit palästinensischen und holländischen Wurzeln hat eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Von Chanel Couture bis Versace und Givenchy war sie längst überall, zwischenzeitlich außerdem medienwirksam mit dem Popstar The Weeknd liiert.

Diesen Juli setzte sie sich gleich mehrfach in sämtlichen Timelines fest: Erst lief sie in Paris für ihren Busenfreund Virgil Abloh bei Off-White, war dann neben Kanye West so etwas wie Star-Gast bei Balenciaga Couture und danach die meistfotografierte Frau von Cannes, weil sie dieses Schiaparelli-Kleid trug, das die perfekt geformten Brüste nur notdürftig mit ein paar goldenen Bronchien bedeckte.

Hadid trifft mit ihrem Aussehen offensichtlich einen Nerv, der glattgebügelter nicht sein könnte

Bella (eigentlich Isabella) Hadid ist unbestritten schön. Ein plastischer Chirurg errechnete den Perfektionsgrad ihres Gesichts einmal auf 94,35 Prozent. Immer wieder wird diskutiert und anhand von »Vorher (mit 15)/Nachher (ab 19 oder so)«-Vergleichen überlegt, wo sie überall nachgeholfen haben könnte. Sämtliche Hadids bestreiten das. Aber egal, ob angeboren oder nicht, Hadid trifft mit ihrem Aussehen offensichtlich einen Nerv, der glattgebügelter nicht sein könnte: Es ist ein so ebenmäßiges, porentief reines Gesicht wie aus Madame Tussaud's Wachfigurenkabinett, die Nase stupsig, die Augen so katzenmäßig, dass man insgeheim stets damit rechnet, wenn sie den Mund aufmacht, fange sie an zu schnurren statt zu reden. Wenn sie spricht, geht es meist um »kindness«. Liebenswürdigkeit. Die, betont sie gern, sei ihre größte Stärke und der Schlüssel zum Erfolg.

»We are all models now« titelte die Washington Post vor einigen Wochen. Jeder und jede könne jetzt Model sein, und das war nicht abfällig, sondern im Gegenteil total positiv gemeint. Nicht mehr nur die Schönen und Schlanken kämen auf die Billboards, sondern auch die Interessanten, die mit Charakter, die, die was zu sagen haben. Die Ella Emhoffs, Paloma Elsessers und Jedermanns dieser Welt. Schön wär’s. Ansatzweise passiert das zwar. Aber deutlich erfolgreicher ist noch immer das Gegenmodell Bella Hadid. Ultraglatt, ultraschön, ultradünn, eine Hülle, die für nichts steht und deshalb für alles herhalten kann. Für Bulgari, Off-White, Miss Sixty, Jacquemus, Mugler – letztere veröffentlichten vergangenen Oktober ein Video mit einer animierten Version des Models. Es funktionierte geradezu erschreckend gut: Im Grunde ist Bella Hadid schon der perfekte Avatar.

Wenn Claudia Schiffer die sexy-cheesy Neunziger repräsentierte, Kate Moss den »Heroin-Chic« der späten Neunziger/Nullerjahre und Cara Delevingne die komischen Zehnerjahre, ist Bella Hadid das perfekte Abbild unserer Epoche – einer bis ins letzte Detail zurechtgetunten Zeit.

Typischer Instagram-Kommentar: »One Face fits all!«
Das sagt der Zahnarzt: »Füllungen könnt ihr bei mir auch kriegen.«
Passender Song: »Can’t feel my face« (The Weeknd)