Der Pinguin der Impf-Oma

Was zieht man an, wenn man Geschichte schreibt? Die 90-jährige Britin Margaret Keenan, die als erster Mensch die Covid-19-Impfung bekommen hat, überbrachte mit ihrer Kleidung gleich noch eine frohe Weihnachtsbotschaft.

Im Universitätskrankenhaus der englischen Stadt Coventry erhält Margaret Keenan, 90, als erster Mensch den neuen Corona-Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer. Die Spritze verabreicht ihr Krankenschwester May Parsons.

Foto: dpa

Die meisten Menschen stehen selten oder eher nie vor der Frage, was sie zu einem historischen Anlass tragen sollen. Aber viele würden wohl zu etwas Besonderem tendieren. Extra feierlich oder extra auffällig, angemessen historisch halt. So wie Kamala Harris’ weißer Anzug neulich, Joschka Fischers Turnschuhe im hessischen Landtag. Oder man streift halt einfach ein blaues »Merry Christmas«-T-Shirt über und tritt mit lustigem Weihnachtspinguin vor die Weltpresse, wider den tierischen Ernst.

In einem solchen T-Shirt ließ sich jedenfalls gestern Margaret Keenan als allererster Mensch die frisch zugelassene Pfizer/Biontech-Impfung injizieren. Die 90-Jährige saß um 6.31 Uhr Ortszeit im Coventry Hospital und wurde nach erfolgreicher Verabreichung beklatscht wie eine Heldin.

Und das ist sie im Grunde ja auch. Nicht nur, weil sie ein »Survivor« der ersten und zweiten Welle ist und nun als erste Superfrau hoffentlich immun gegen das Virus sein wird. Nebenbei stellt sie auch so etwas wie eine nationale Gallionsfigur dar, die – zumindest symbolisch – das Rennen um die erste Impfung für das britische Königreich und Boris Johnson gewonnen hat, vorbei an der abgeschüttelten EU. Dies gelang ihr freilich ohne eigenes Zutun: Als die gebürtige Nord-Irin vor einigen Tagen gefragt wurde, ob sie die Dosis als eine der ersten empfangen möchte, habe sie das zunächst für einen Scherz des Klinikpersonals gehalten, sagte Keenan. Jetzt fühle sie sich »sehr privilegiert«.

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»Wenn ich diese Impfung mit 90 bekommen kann, kann das jeder«, sagte Margaret Keenan gestern den Reportern.

Die ganz Welt kann nun per Video dabei zusehen, wie die »Impf-Oma« ruhig im Stuhl saß, während sie von Schwester May die Spritze bekam. Dabei trug sie eine Strickjacke mit Punkten und ein T-Shirt mit lustigem Pinguin, der da spontan erst mal nicht ins Bild passen will beziehungsweise die ganze historische Szenerie höchst sympathisch konterkariert. »Just another day in the office« scheint ihre Kleidung zu sagen. Eine herrlich gut gelaunte, unprätentiöse Pionierin, die die ehemalige Schmuck-Verkäuferin hier abgibt.

Aber Vorsicht, ganz so simpel ist es dann vielleicht doch nicht. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Pinguin nämlich als Charity-Shirt des Coventry-Universitäts-Krankenhauses. Acht Pfund das Stück, bei drei oder mehr gibt es Free Shipping. Erhältlich eigentlich erst ab 14. Dezember und laut Webseite nur gedacht für Campus-Mitarbeiter. Das blaue T-Shirt hat Keenan also womöglich einfach von der Krankenschwester hingelegt bekommen, vielleicht weil es hübscher und vitaler aussieht als die übliche Krankenhauskluft.

Gleichzeitig vermittelt das Shirt natürlich Teamspirit. Für das Krankenhaus, wie auch für den britischen National Health Service (NHS), der mitunter stark in der Kritik steht, aber bei der anlaufenden Massenimpfung nun ganz vorne liegt. Vor allem steht vorne noch »Merry Christmas« drauf, was ja im Dezember so ungefähr das abgedroschenste Motto schlechthin ist, an Keenan nun jedoch erst recht zur ultimativen Weihnachtsbotschaft 2020 avanciert: »Wenn ich diese Impfung mit 90 bekommen kann, kann das jeder«, sagte sie gestern den Reportern. Klingt wie ein modernes »Fürchtet euch nicht!«

Außerdem bedeutet es für sie und die anderen Seniorinnen und Senioren, die in den nächsten Tagen geimpft werden, ja tatsächlich ein doch noch frohes Weihnachtsfest. Während Keenan ihre beiden Kinder und vier Enkelkinder in diesem Jahr kaum gesehen habe, freue sie sich nun auf ein kleines Familien-»Bubble«-Weihnachten.

Ob sich Boris Johnson das alles so vorgestellt hat oder er die Lady noch lieber in brit-chicer viktorianischer Bluse mit angestecktem Union-Jack-Pin gesehen hätte, ist nicht bekannt. Praktisch wäre diese Variante ohnehin nicht gewesen: Wie man im Video erkennen kann, erleichtert ein Oberteil mit halbem Arm das Verabreichen der Spritze ungemein. Vielleicht sollte das Pinguin-T-Shirt einfach gleich zum offiziellen Impf-Kostüm erklärt werden. Damit hätte sich dann auch gleich die Frage nach einem Impf-Nachweis erledigt.

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