»Pizza bestellt, und sich schon als besonders clever gefeiert, das Geld dafür unten im Hausflur deponiert zu haben. Als es klingelt, die lässige Antwort in die aktuell nur einseitig funktionierende Gegensprechanlage: ›Super, danke, stellen Sie's einfach unten auf die Treppe, Bezahlung liegt mit Trinkgeld im Umschlag auf dem Kinderwagen.‹ Noch bevor ich die Schuhe angezogen habe, klopft es an der Tür. Es ist die Vermieterin, die einen Adventsstern und eine Schachtel Merci als vorweihnachtlichen Gruß bringt.« (SP)
»Bevor es im Lockdown einsam wird, will ich mir noch einmal etwas Gutes tun. Also besuche ich meine Schwester in Stuttgart. Wir haben tolle Gespräche, ich kaufe eine kuschelig-warme Jacke für den Corona-Winter – und verabschiede mich schweren Herzens schon am Samstag. Das restliche Wochenende brauche ich, um zuhause endlich an einem Text zu arbeiten, den ich montags abgeben muss. Auf dem Weg zum Bahnhof merke ich, dass ich meine alte Jacke vergessen habe. Meine Schwester fragt: Hast du alles Wichtige dabei? Ja, ja, sage ich. Zurück in München, wenige Schritte vor meiner Wohnung, fasse ich in die Tasche meiner neuen Jacke und merke: Ich habe meinen Schlüssel in Stuttgart gelassen. Es folgt eine Odyssee. Erst muss ich meinen Handy-Akku aufladen, dann einen Schlafplatz organisieren und einen Weg finden, um den Schlüssel nach München zu kriegen. Als ich nach 24 Stunden in meine Wohnung komme, ist die Wochenendentspannung komplett verflogen. Natürlich habe ich die Textabgabe nicht geschafft.« (DG)
»Kopfhörer, Maske, Handy – soviel Zeug ist es eigentlich gar nicht in der Jackentasche, aber diese drei Gegenstände bilden eine Art Material-Amour Fou, die können offenbar nicht ohne einander, das Silikon der Handyhülle hebelt ständig die Maske mit raus, die Kopfhörer verheddern sich, auch diese fummelige, dauernde Corona-Nervosität ist nicht hilfreich, nach acht Monaten liegen schon drei ›schöne‹ Alltagsmasken und ein Kopfhörer-Paar irgendwo im Viertel, lost wie meine Gedanken nach einem langen Tag im Homeoffice.« (AD)
»Krisen brauchen Helden: Als im Frühjahr alle Deutschen plötzlich Dinge wie Klopapier und Nudeln weghamstern, erwische ich zufällig eine neue Hefe-Lieferung im Supermarkt. Das wäre doch eine schöne Geste, denke ich, nehme vier Päckchen und klebe drei davon an das schwarze Brett im Hausflur. ›Gerne bedienen‹, schreibe ich dazu. Bald wird sich der wunderbare Geruch frischer Brote im Haus verbreiten, ob die anderen schon raten, wer so nett war und die Hefe geteilt hat? Hätte ich doch meinen Namen darunter schreiben sollen? Oder war es richtig, als Samariter im Hintergrund zu bleiben? Fünf Tage später sammele ich die drei Hefepäckchen wieder ein – niemand wollte sie.« (MB)
»›Du hast einen schönen Teint bekommen‹, begrüßen mich die Kolleginnen in der Video-Konferenz nach meinem einwöchigen Urlaub. Die Wahrheit ist: An Tag eins trank ich mit einer Freundin zwei Glühwein auf leeren Magen. Anschließend wollten wir nur kurz Haargummis kaufen. Nach zwanzig Minuten im Drogeriemarkt rollten Beauty-Produkte im Wert von 40 Euro, von denen ich teilweise noch nie gehört hatte, übers Kassenband – unter anderem Selbstbräuner. Wenn ich schon nicht in den Urlaub fahren kann, dachte mein beschwipstes Ich, dann doch wenigstens meine Haut. Zuhause trug ich den Selbstbräuner auf, wir tranken noch mehr Wein und schliefen ein. Am nächsten Morgen vor dem Spiegel der Schreck: Ich sah aus wie Trump in weiblich und mit schlimmem Ausschlag. Scheinbar hatte ich zwei Dinge vergessen. Erstens, dass meine Haut im Winter leicht reizbar ist. Zweitens, die Packungsbeilage zu lesen. Im Selbstbräuner befindet sich Farbstoff, den man nach vier Stunden abwaschen muss. Noch nie war ich so froh über den Mund-Nasen-Schutz wie in dieser Woche: Fast meinen ganzen Urlaub lang blieb mein Gesicht orange gefleckt.« (DG)
»Noch eine Mail, und dann noch dieser winzig kleine Text. Eigentlich ist schon seit zwei Stunden Feierabend, Freitag ist doch ein kurzer Tag, aber im Homeoffice fransen die Tage aus und an den Enden verheddert sich alles. Nachricht vom Mann ›Der Kleine ist gerade vier Schritte gelaufen.‹ Mist. Warum bin ich nicht genau jetzt bei ihm? Draußen dämmert es bereits. Batsch, Laptop zu, Schuhe an, runter die Treppe, rauf auf's Rad. Am Spielplatz angekommen, schnell das Fahrrad abschließen, und dann endlich seh ich die zwei: Er läuft wirklich, ist das zu glauben, einen, zwei Schritte freihändig, plumpst auf den Windelhintern, lacht wie irre, diese Euphorie, gespeist aus der Ahnung, dass ihm jetzt wirklich die Welt offensteht. Wenig später dann wackeln wir nach Hause, mit dem Kind an der Hand, erzählen vom Tag, das Fahrrad ist vergessen. Es gibt Abendessen. Um zehn Uhr abends fällt’s mir wieder ein, schnell hetze ich zum zweiten Mal an diesem Tag zum Spielplatz: das Fahrrad ist weg, gestohlen.« (AD)
»In der Früh noch schnell joggen, etwas Sport gegen die Süßigkeiten im endlosen Homeoffice. Der Morgen beginnt gut, Sonnenaufgang über dem See, die Knie machen mit ohne zu zwicken, irgendwann der Blick auf die Uhr – Mist! Die erste Zoom-Konferenz ist in 20 Minuten und ich bin zu weit gelaufen. Aber wenn ich mich ranhalte, müsste es sich gerade so ausgehen. Ich beeile mich, fange an zu schnaufen, schnell laufen müssen ist das Schlimmste, das linke Knie tut doch etwas weh, ein Hund läuft mir kläffend hinterher, noch 10 Minuten. Mist, Mist, Fluchen, ich versuche zu rennen, noch 7 Minuten, die Kondition schwindet mit jedem Schritt, ein letzter Sprintversuch, dann mehr schleppen als laufen, noch ein Hund im Weg und doch erst bei dem umgefallenen Baum angekommen. Noch 2 Minuten. Mist, Mist, Mist. Noch 30 Sekunden. ›Guten ... Morgen‹, keuche ich, nach Luft ringend, einen Kilometer von daheim entfernt. Immerhin: Der Handyempfang ist erstaunlich gut – mein roter Kopf und mein verschwitztes Fußballtrikot sind für alle gut zu sehen.« (MB)
»Es ist kurz vor Ladenschluss, und uns fehlt noch Butter für's Abendbrot. Also noch mal rein in die Jacke und zum Supermarkt um die Ecke geflitzt. Zielgerichtet laufe ich zum Kühlregal, greife die Butter und noch eine Milch, und schon stehe ich in der Schlange vor der Kasse. Plötzlich stupst mich was in den Rücken, irritiert drehe ich mich um, ein älterer Mann, der seinen Einkaufswagen nicht richtig unter Kontrolle hat – und dem außerdem die Maske unter der Nase hängt. Ich rolle innerlich mit den Augen, nur nicht aufregen jetzt, schnell wieder raus. Als ich dran bin, schaut mich die Kassiererin streng an: ›Haben Sie ein Befreiungs-Attest?‹ Ich habe meine eigene Maske nicht mal unter der Nase hängen. Sie hängt noch zuhause, unbemerkt vergessen in all der Eile.« (SP)
»Der große Ikea-Einkauf nach dem Umzug. Am Morgen startet der Carsharing-Transporter nicht. Ich buche spontan auf einen Minibus um, weil ich denke, dass man die Sitze umklappen kann. Dann Ikea. Wir kommen mit zwei vollen, kaum mehr lenkbaren Wagen heraus. Ich versuche zum ersten Mal, die Sitze tatsächlich umzuklappen. Klappt nicht. Ich fahre von Ikea aus mit dem Leihauto los, um ein anderes Leihauto zu holen. Die App sagt, dass es nur wenige Kilometer entfernt ist. Erst nach dem Buchen merke ich, dass die App gehangen haben muss. Das Auto ist nämlich genau auf der anderen Seite der Stadt. Ich bin mehr als drei Stunden unterwegs. Mein Freund passt derweil im Regen auf dem Ikea-Parkplatz auf unsere beiden Einkaufswagen auf. Dann müssen wir beide Leihwagen an unterschiedlichen Stellen zurückgeben. Obwohl wir nach zwei Stunden mit dem Einkaufen fertig waren, brauchen wir insgesamt mehr als zwölf Stunden.« (DW)
Und frei nach dem Motto »Geteiltes Leid ist halbes Leid« wollen wir Sie ermutigen, uns Ihre tragisch-komischen Corona-Momente zu schicken – und zwar an: online@sz-magazin.de