Es gab in den letzten Monaten viele Morgen, an denen man – eh immer ein Fehler – erst mal Instagram öffnete und über einen Post von Kanye West stolperte. Eine irrwitzige Präsidentschaftskandidatur, kryptische Chatverläufe mit seiner Ex-Frau Kim Kardashian über das Sorgerecht für die Kinder, Enthauptungs- und andere Gewaltfantasien über ihren damaligen Freund Pete Davidson, Beschimpfungen seiner ehemaligen Geschäftspartner Adidas und Gap. Ein bunter Strauss an Hasstiraden, die einen jedes Mal etwas belämmert am Bildschirm zurückließen.
Ye, wie West mittlerweile genannt werden will, hat bekanntlich eine bipolare Störung, aber eben auch: großen Einfluss. Der Mann hat um die 250 Millionen Tonträger verkauft, wird in der Musikbranche wie ein Guru verehrt, bekam hartnäckig sogar in der Modebranche einen Sneakerfuß in die Tür. Und wenn immer noch ein Haufen schlauer Leute, allen voran der Designer Demna Gvasalia von Balenciaga, auf ihn setzen, wird es hinter der öffentlichen Kulisse schon nicht so wild sein.
Auftritt Kanye West bei der Paris Fashion Week: Der 45-Jährige eröffnet die schon jetzt legendäre »Matsch-Show« von Balenciaga und trägt dabei etwas Undefinierbares mit Logo besagter Marke im Mund. Der Groschen fällt nicht sofort, aber später sitzt West bei seinem anderen Designerkumpel Matthew Williams von Givenchy in der ersten Reihe und fletscht das Ding in die Kamera. Der Mann trägt da also einen Mouth Guard, einen Zahnschutz wie Boxer ihn benutzen. Eine Metapher für... ständig auf die Fresse kriegen? Den Mund zu voll nehmen? Oder einfach ein Accessoire für Krawall-Kanye?
Womöglich letzteres. Denn am Montagabend bei der Überraschungsmodenschau seines Labels Yeezy, das jetzt schmalspurig nur noch YZY heißt, will er noch mal richtig angreifen: Eines der Models läuft in einem Shirt mit dem Slogan »White Lives Matter« auf der Rückseite. West und seine Begleitung tragen das gleiche Shirt – und die Frau neben ihm ist keine geringere als Candace Owens, rechtskonservative Kommentatorin, Trump-Unterstützerin und Kritikerin der Bewegung Black Lives Matter. Natürlich erreicht die Aktion genau das, was sie offensichtlich bezweckt: maximale Aufmerksamkeit, Riesenempörung, aber auch – und damit mag West nicht gerechnet haben – fassungslose Wut und ehrliche Enttäuschung.
Der Spruch »White Lives Matter« wird von der Anti-Rassismus-Organisation Anti-Defamation League als rassistische Reaktion auf die »Black Lives Matter«-Bewegung eingestuft. Viele Querträger da draußen dürften sich jetzt über das »Merch« freuen. Aber egal, ob West das Anprangern von Gewalt gegen Schwarze tatsächlich für einen Witz oder »Betrug« hält, wie er auf Instagram nachlegte, oder ob er auf eine dystopische Zukunft anspielen wollte, in der Weiße die unterdrückte Minderheit sein werden – das Shirt ist plumpe Provokation und Effekthascherei. Wenn er wirklich, wie er in einem Vorab-Interview mit Vogue erklärte, »demokratische Mode« machen wolle, die niemanden ausschließt, sondern für alle da ist, sollte er sich vielleicht ein bisschen mehr auf seine Entwürfe konzentrieren. Die Catsuits, Cargohosen und gefütterten Kapuzen-Ponchos waren insgesamt nämlich deutlich weniger aufregend und gingen bei der sogenannten Modenschau vollkommen unter.
Austeilen kann West, einstecken leider nicht so gut. Die Stylistin Gabriella Karefa-Johnson, die zur Show eingeladen war, hatte es gewagt, das Shirt auf Instagram zu kritisieren. »Here comes the bullshit«, schrieb sie und bezeichnete die Botschaft als beleidigend und gefährlich. Daraufhin postete West ein (inzwischen gelöschtes) Foto von ihr mit der Bildunterschrift »This is not a fashion person« (»Das ist kein Modemensch«). Er warf sie seinen 18 Millionen Followern gewissermaßen zum Fraß vor, und man weiß nicht, was armseliger ist – sein selbstgerechter Designanspruch oder diese Geste eines beleidigten Kindes.
Jaden Smith verließ noch während der Show den Raum
West mag geglaubt haben, er sei mittlerweile unantastbar, ihm lasse man am Ende alles durchgehen. Auch die wirrsten Gedanken sind frei und bei ihm sowieso immer Kunst. Aber diesmal dürfte der Schuss nach hinten losgegangen sein. Jaden Smith verließ noch während der Show den Raum, Edward Enninful – Chef der britischen Vogue und wichtigster Schwarzer im Modebetrieb – bezeichnete das Shirt der New York Times gegenüber als »unangebracht« und »unsensibel«, Gigi Hadid nannte West »einen Witz«. Auch der Supreme-Kreativdirektor Tremaine Emory distanzierte sich von ihm. Vor allem schrieben in den Kommentaren auf seiner Instagram-Seite viele Fans, er könne sich sein Zeug allmählich sonst wo hinstecken.
Einer von Wests letzten Posts am Dienstagabend lautete: »When I said war I meant war« (»Als ich Krieg sagte, meinte ich Krieg.«). Das klingt in diesen Zeiten noch einmal geschmackloser als ohnehin schon.
Typischer Instagram-Kommentar: »Wild Wild West«
Slogan-T-Shirt in the making: »Make Ye matter again«
Passender Song: »Nothing else matters« (Metallica)