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Das letzte Triell vor der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag war dank Linda Zervakis auch modisch das überzeugendste. Offenbar dürfen Moderatorinnen von Politsendungen jetzt endlich lässiger angezogen sein.

Ein Twitter-User fragte während des Triells: »Kann man nächsten Sonntag auch Linda Zervakis wählen?«

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Zu den Ferienerinnerungen von früher gehörte mitunter ja auch: Zufällig in eine Nachrichten- oder Talksendung vom italienischen, französischen oder spanischen Fernsehprogramm reinzappen und feststellen, dass die Frauen dort irgendwie eleganter und moderner angezogen waren als zu Hause. So wie Bademeister weiter südlich halt auch immer cooler aussahen und Eis am Stiel an Mittelmeerstränden besser schmeckte. Nur dass das mit den Moderatorinnen selbst nach abgeflauter Urlaubseuphorie noch stimmte. Bislang jedenfalls.

Ein ganz neues Bild deutscher Moderatorinnen war nämlich am vergangenen Sonntag bei ProSieben/Sat1 in Gestalt von Linda Zervakis zu sehen, einst Tagesschau-Sprecherin, seit diesem Sommer nun Anchorwoman bei der privaten Konkurrenz. Inhaltlich, das wissen Zervakis-Ultras längst, ist die Hamburgerin ohnehin weit vorn angesiedelt, manche fordern für Linda Zervakis und ihre Mickey-Mouse-Nummer für Armin Laschet in Sachen Klimawindel bereits den Grimme-Preis. Der Schriftsteller Saša Stanišić twitterte gar: »Ich möchte, dass Linda Zervakis alles moderiert, 24h lang, sie darf nicht schlafen oder essen oder irgendwas anderes machen.« Aber auch optisch war es das bislang beste Programm in der Triell-Trilogie.

Das lag weniger an der lindgrünen Kombination von Zervakis' Partnerin Claudia von Brauchitsch, sondern an Zervakis‘ eigener Garderobe. In der Theorie hochseriös – Hosenanzug, hellgrau – in der Praxis – offen, oversized – erstaunlich lässig. Die weite Hose saß »high waisted«, mit elastischem Bündchen, drunter lugte keine Bluse hervor, deren Kragen nie so genau weiß wohin, sondern ein dünner, dunkelgrauer Rolli. Die Ärmel des Blazers hatte die 45-Jährige bis über die Ellenbogen hochgeschoben wie bei Prada auf dem Laufsteg. Subtext: An die Arbeit.

Zervakis' Outfit fiel auch deswegen auf, weil Moderatorinnen in der Historie des deutschen Fernsehens, vor allem im Öffentlich-Rechtlichen, eher nicht todschick sondern todernst aussehen mussten. Die legendären Fotos von Dagmar Berghoff, auf denen sie in Blümchenbluse oder femininem Twin-Set in der Tagesschau der Siebzigerjahre sitzt, wirken rückblickend geradezu revolutionär. Danach folgten Jahrzehnte der modischen Abrüstung. Nur noch geprobte Seriosität im Hosenanzug. Was einerseits verständlich ist, weil die vorzutragende Weltlage leider meist sehr ernst klingt und man einen Politiker vielleicht lieber mit Schulterpolstern gewappnet ins Verhör nimmt als mit verspieltem Rüschenkleid. Andererseits: Sollten wir nicht längst darüber hinaus sein, dass eine gute Oberfläche automatisch auf Inhaltsleere verweist?

Die männlichen Kollegen haben es da deutlich einfacher. Der Herrenanzug ist immer noch die Universalwaffe. Eine Teflon-Rüstung, an der alles abperlt, so lange sie halbwegs gut sitzt – und keine Hunde auf der Krawatte zu sehen sind. Wenn dagegen Frauen, die ja eigentlich deutlich mehr Auswahl hätten, mal etwas anderes ausprobierten, diskutierte gleich halb Deutschland darüber. Etwa als Linda Zervakis es wagte, in der Tagesschau ein gelbes Kleid zu tragen, oder Gundula Gause einen Flickenblazer. Immerhin scheint das deutsche Publikum in seiner Kritik nicht nach Geschlechtern zu unterscheiden: Als Marc Bator noch zu ARD-Zeiten eine Hornbrille aufsetzte, kassierte er ebenfalls einen Shitstorm.

Eigentlich also ein Skandal, dass man auch diesen Zervakis-Auftritt noch als Breaking News abfeiern muss. Aber als Fallhöhen-Vergleich genügt ein Blick zu ihrem alten Arbeitgeber und der dortigen Co-Moderatorin Maybrit Illner. Die trug beim Triell in ARD und ZDF wie üblich Hosenanzug. Zugeknöpft. Lila. Mehr muss man eigentlich nicht sagen.

Maybritt Illner beim Triell neben ihrem Moderationskollegen Oliver Köhr. Geht's etwas lässiger, vielleicht?

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Bevor man jetzt in die ewige Falle »Privatfernsehen = locker, Öffentlich-Rechtlich = krampfig« tappt und auch noch Pinar Atalay von RTL im schwarzen langen Kleid lobt (bisschen viel Drama vielleicht, inhaltlich dafür ebenfalls top) – auch bei den Öffentlich-Rechtlichen tut sich etwas, zumindest zur späteren Stunde. Anne Will konterte in ihrer Talkrunde nach dem Triell das Illnersche Lila mit einem gestreiften durchgeknöpften Hemdkleid. Angemessen elegant, trotzdem passend zu Wills eher sportlichem Stil. Vergangenen Sonntag trug sie Ton in Ton Beige, was zumindest farblich in diesem Herbst voll im Trend liegt. Wenn sie jetzt noch diese Sneaker weglässt, könnte man sich sogar wieder auf die Gesprächsebene konzentrieren.

Hier liegt ja der große Irrglaube unter Fernsehstylisten: Dass die Kleidung bloß nicht vom Inhalt ablenken dürfe, und deshalb betont unauffällig (aka dröge, durchschnittlich) daherkommen muss. Jede Wette, dass das bei vielen Zuschauern heute den genau gegenteiligen Effekt erreicht. Sie rätseln so lange darüber, wo man im Jahr 2021 bloß solche Farben und Schnitte herbekommt, dass sie am Ende nur die Hälfte von der Diskussion mitbekommen. Keine Mode ist eben auch keine Lösung.

Typischer Instagram-Kommentar: »Also deswegen ist Linda Zervakis zu den Privaten gewechselt!«
TV-Stylisten-Wisdom: »Je später der Abend, desto schöner die Moderatoren.«
Passender Film: »Die Waffen der Frauen« (mit Melanie Griffith)