Neues aus der Rubrik »Aktuelles Lexikon«: Spare, so der Original-Titel von Prince Harrys heute erscheinender Biografie, steht im royalen Sprachgebrauch also für »Reserve« oder »Stellvertreter« und bezieht sich auf den alten Spruch »The heir and the spare«, der wiederum für den alten Wunsch eines Monarchen steht, immer zwei Söhne zu haben: einen Thronfolger und einen für den Fall, dass der erste ausfällt. Charles soll sogar gleich bei Harrys Geburt Diana gegenüber gescherzt haben: »Jetzt hast du mir nicht nur einen Thronfolger, sondern auch noch einen Ersatz geschenkt – ich bin hier dann fertig.« Sagen wir es so: Selbst die Bahnhofshalle von Kassel-Wilhelmshöhe strahlt in diesen Tagen mehr Wärme aus als diese Familie es je getan hat.
»Spare« kann aber natürlich auch »ersparen« heißen und seit immer neue, teils sehr intime Details aus dem Buch vorab bekannt wurden – verkühlter Penis, Brüderzwist über dem Hundenapf, Entjungferung hinter dem Pub – muss man beim Blick auf die fünf großen Letter auf dem Cover nicht eher an den englischen Ausdruck »Spare me the details« denken? Überhaupt wird in dieser wie aus Kübeln dosierten Medienberichterstattung zum Buch viel zu wenig über das Cover geredet. Egal wie gut oder schlecht der Inhalt am Ende sein mag: Beim Bild haben Harry und der Verlag ganze Arbeit geleistet.
»Auf Instagram würde so ein Filter wahrscheinlich ›Blaze of Glory‹ heißen«
Da ist zunächst der Bildausschnitt. Sauber auf die Zwölf. Oben ist der Kopf leicht angeschnitten (damit auch ja nicht das lichter werdende Haar am Hinterkopf zu sehen wäre), unten ist noch ein Stück von einem grauen T-Shirt und einem Lederbändchen zu sehen. Etwa DAS Bändchen, das William seinem Bruder bei ihrem handfesten Streit vom Hals gerissen haben soll? Man will jetzt natürlich sofort wissen, wann und wie die Kette danach wieder zusammengeflickt wurde. Von ihm selbst? Von Meghan? Von einem der Butler? In einem der 16 Badezimmer in ihrem neuen Haus in Santa Barbara? Harrys Kette hat bereits ein eigenes Narrativ, bevor man überhaupt nur eine Zeile in diesem Buch gelesen hat. Das ist ganz große Kunst.
Die braucht es allerdings auch, denn dieses Buch sollte sich besser gut verkaufen. Angeblich hat Harry – frisch gebackener »Working Royal« – mindestens 35 Millionen Dollar für seinen Multi-Buch-Deal bekommen, und verkaufen tun sich Bücher, abgesehen von cleverer Werbung und Mundpropaganda, eben vor allem über ihre Cover, die die Käufer von Fenstern, auf Büchertischen und Kassen ansprechen und für sich einnehmen sollen.
Harry sehe mit der informellen Kleidung zunächst einmal betont »unköniglich« aus, stellte die New York Times fest. Vor allem im Kontrast zur kürzlich erschienenen Biografie seines Vaters. »King Charles« ist auf dem Buch im grauen Nadelstreifen-Anzug zu sehen, sicher Savile Row, die Krawatte und das Einstecktuch sitzen, die Buchstaben sind gold-glänzend. Aber genau das alles will Harry ja eben nicht mehr sein, »nicht der Prinz, als der er geboren wurde, sondern der Mann, zu dem er geworden ist«, wie er selbst schreibt.
Offensichtlich ist dieser Mann jetzt also betont »casual« unterwegs, kein Pomp, kein Firlefanz, Harry pur. Und die kalifornische Sonne, unter der er jetzt wohnt. Auf Instagram würde so ein Filter wahrscheinlich »Blaze of Glory« heißen: goldenes Licht statt goldener Buchstaben, kein Glanz, aber ordentlich Gloria. Das Bild ähnelt nicht zufällig dem auf der Biografie von Andre Agassi. Der Co-Autor J.R. Moehringer ist derselbe wie bei Open und obgleich Prinz Harry kein Hochleistungssportler ist, versucht er sich offensichtlich als Siegertyp darzustellen. Disziplin: Austeilen gegen die Familie und die Boulevardpresse, Hoheit gewinnen über die eigene Geschichtsschreibung.
Deshalb auch dieser Blick. Harry schaut dem Leser direkt ins Gesicht. Er lächelt nicht, wirkt aber auch nicht finster. Bürgeramt-Mitarbeiter sehen hier sicher nur ein 1-A-biometrisches Passbild, der geneigte Käufer im besten Fall: tiefe Entschlossenheit. Das hier werden keine 416 Seiten aufmunternde Lebensweisheiten à la Becoming von Michelle Obama, die im schulterfreien weißen Top vom Einband lächelt. Auch keine routinierte Selbstbeweihräucherung wie bei Gerhard Schröder, der dafür die klassische Kinn-auf-Hand-stütz-Pose bevorzugte. Nein, Harry geht ans Eingemachte und schaut dabei so aufrichtig in die Kamera, dass der Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen gleich mal miteingepreist wird.
Treue Royalisten ätzten natürlich sofort, das Bild sei total gephotoshopt. Weniger Falten, schmaleres Gesicht, deutlich mehr Haare. Rührend. Dabei wäre der gegenteilige Fall ja heute der viel größere Skandal. Zum Vergleich können sich die Briten ja mal das Boris-Becker-Portrait für Das Leben ist kein Spiel anschauen. Beckers Augen leuchten darauf so unnatürlich blau als hätte er zu viel von dem Gewürz aus »Dune« eingeworfen. Die Fotografin des Spare-Titelbilds ist übrigens Amerikanerin und heißt Ramona Rosales, die – so ein Zufall – auch schon Oprah Winfrey und kürzlich Meghan Markle für das Magazin Variety fotografierte. Rosales selbst postete das Cover auf ihrem Instagram-Account mit den angenehm sparsamen Worten »Prince Harry by me.«
Typischer Instagram-Kommentar: »Spare dich reich!« / »Ich kenne nur Spare Ribs«
Das sagt der treue Royalist: »Und wann kommt endlich Williams Tell-All-Biografie?«
Passender Song: »Spare me the details« (The Offspring)