Viel Lärm um nichts

Seit Wochen wird laut über »Quiet Luxury« diskutiert. Unsere Stilkolumnistin findet: Wenn sich jetzt selbst Kylie Jenner betont »leise« anzieht, dann ist der Trend nicht mehr nur still, sondern mausetot.

Was Kylie Jenner, Succession-Figur Logan Roy und Gwyneth Paltrow gemeinsam haben: Alle drei sind auffällig leise und teuer gekleidet. 

Fotos: instagram.com/kyliejenner, David M. Russell/HBO, instagram.com/gwynethpaltrow

Reden wir also über den Hype um »Quiet Luxury«. Aufmerksamkeit für stillen Luxus? Dem aufmerksamen Leser fällt hier gleich ein Widerspruch auf, weil das Konzept ja gerade darin besteht, möglichst wenig Lärm zu machen. Dummerweise ist es dafür jetzt eh schon zu spät. Auf die Vokabel sind von Bunte (»Mode auf Highend-Qualitätsniveau, ohne Chichi und Extravaganz«) bis Manager Magazin (»null Logos, kein Bling-Bling, bitte aber keineswegs zu verwechseln mit ›looking cheap‹ das ist out«) bereits sämtliche deutsche Medien angesprungen, wobei die Hindustan Times und die spanische Hola etwas früher dran waren. Jede PR-Agentur hat ihre sieben logofreien Sachen zusammengesammelt und daraus eine Mail mit dem Betreff »Mega Trend Quiet Luxury« gebastelt und verschickt (Priorität: hoch!). Ganz offensichtlich hat auch Kylie Jenner, die wie ihre ganze Familie sonst eher Auffälliges und/oder Aufreizendes bevorzugt, von der Sache spitzbekommen. Sie trug bei einem Trip nach Paris einen Schwung unauffälliger, monochromer Entwürfe von Bottega Veneta, Alaïa und Ferragamo, fotografierte sich damit aber so demonstrativ wie immer. Finde den Fehler.

Den leisen Anfang machte Gwyneth Paltrow, die Ende März einige medienwirksame Gerichtstermine zu absolvieren hatte und dabei extra smart und selbstsicher rüberkommen wollte. Also trug sie etwa einen cremefarbenen Rolli (1300 US-Dollar), einen grünen Mantel (3500 US-Dollar) von The Row und eine Reihe anderer, logofreier Entwürfe. Perfekt geschnitten, beste Materialien. »Reinster« Luxus, wenn man so will. Ob sie auch deshalb den Prozess gewann, ist natürlich Spekulation, aber zumindest lässt sich mit Gewissheit sagen: Dem Trend hat es nicht geschadet. Oder eben doch.

Denn seitdem wird er wie die Kaschmirziege durchs globale Dorf getrieben. Etwas Leises! Wie aufregend anachronistisch in einer Zeit, in der sonst alles möglichst laut sein soll! (Und es auch ist.) Kurz danach startete die vierte Staffel der Serie Succession und plötzlich fiel sehr vielen Leuten auf, dass da ja auch jede Menge »Quiet Luxury« zu sehen ist. Offensive Logos werden hier böse abgestraft (Staffel 4, Folge 1 und die »lächerlich geräumige« Burberry-Tasche). Viel besser als diese Szene war aber, wie der Roy-Sohn Roman sich über eine sichtbar von Moncler stammende Weste lustig machte. Nur war das eben in Staffel 2, Folge 6, wo die leise Luxuswelt noch war, wie sie sein sollte: Sie wurde registriert, aber eben nicht groß drüber geredet. So wie es in gewissen Kreisen immer noch verpönt ist, den Preis eines Kleidungstücks zu nennen, geschweige denn nach dem Label zu fragen. If you know, you know. Wenn nicht – tja. Denn so gut funktioniert der Google-Bilderabgleich bei unifarbenen Teilen leider noch nicht.

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Das Problem? »Quiet Luxury« beschreibt eigentlich eine Haltung, keinen Trend. Es ist eine persönliche Einstellung Mode beziehungsweise Kleidung gegenüber und keineswegs ein neues Phänomen. Spätestens seit eine breitere Masse Zugang zu ein bisschen Luxus hat, ziehen es sehr reiche Menschen bisweilen vor, beim modischen Wettrüsten und Herzeigen gar nicht erst mitzumachen. Entweder sie tragen einfach irgendwas (Bill Gates, Rupert Murdoch, Zara-Gründer Amancio Ortega und seine älteste Tochter) oder kaufen betont hochwertige Sachen, die nicht nach außen, sondern vor allem nach innen funktionieren sollen, also auf der Haut oder mit der Statur des Trägers. Solch vornehme Zurückhaltung ist im Grunde zeitlos, nur manchmal kommt ihr das aktuelle Weltgeschehen in die Quere und macht einen Trend daraus.

Designerkleider wurden in generisch braunen Kartons versteckt

Wie zuletzt Ende der Nullerjahre, nach dem Untergang von Lehman Brothers. Da war plötzlich viel von »Stealth Wealth« die Rede, also von getarntem, heimlichen Wohlstand. Es gab Geschirr, dessen handbemaltes Dekor auf der Unterseite nur durch einen Spiegel unter dem Tisch sichtbar wurde oder Wollpullover, die von innen mit Kaschmir gefüttert waren. Net-a-porter verschickte seine Designerkleider zum ersten Mal auf Wunsch in generisch braunen Kartons. Damit die kritischen Nachbarn nicht den weiterhin hemmungslosen Konsum witterten.

Das Prinzip »Quiet Luxury« ist im Grunde immer noch dasselbe. Nur die aktuellen Auslöser sind andere – Klimakrise, Ukraine-Krieg, Inflation, Rezession, Auswahl mehrerer Kriterien möglich – und die mediale Schlagzahl hat sich innerhalb von 15 Jahren noch einmal deutlich erhöht. Fast jeder Trend geht sofort viral. In diesem Fall wurde er so viel besprochen, dass er im Grunde schon wieder tot ist, bevor all die tollen »leisen« Herbstkollektionen von Ferragamo, Loro Piana und Tod’s in die Läden kommen.

Wenn der Hashtag #quiteluxury auf TikTok 120,3 Millionen Aufrufe hat, dürften wir bald jede Menge Kylie Jenners sehen, die nicht ihre Haltung geändert haben und ab sofort weniger, hochwertiger und klassischer kaufen werden, sondern vordergründig auf Leise machen, um damit doch wieder möglichst viel Buzz zu erzeugen. Dass ausgerechnet die Generation Z, die doch angeblich auf Statussymbole pfeift, diesen Reichen-Look als Trend kopiert, ist widersprüchlich. Die Haltung verkommt zur Geste. Parallel läuft das Trendradar bereits so auf Hochtouren, dass sogar Jennifer Lopez in schwarzer Hose, weißem Oberteil und schwarzem Cardigan sofort das Prädikat »Da! Leise!« bekommt.

Dabei würde, wer genau hinschaut und mal (still) nachdenkt, feststellen: »Quiet Luxury« kann bei manchen Menschen auch über Jahre hinweg richtig gut aussehen. Etwa bei Gwyneth Paltrow, Angelina Jolie oder Victoria Beckham, die sich modisch ordentlich ausgetobt haben und dann irgendwann zur Ruhe (und zu noch mehr Geld) gekommen sind. Aber das ganze monochrome, klassische Zeug kann auf Dauer auch langweilig und bieder wirken. Oder, wie Succession gezeigt hat: Vor allem die Männer sehen in der betont unauffälligen Kleidung eher betont uninteressant aus – nicht der Rede wert.

Typische Mode-Headline: »Leise ist das neue Laut«
Typischer Succession-Kommentar: »Shut the fuck up!«
Passender Song: Let’s get loud (Jennifer Lopez)