Seit über 20 Jahren an der Macht, eiskaltes Haifisch-Lächeln, und der jüngste Impfstoff-Coup mit Sputnik V ist natürlich auch nicht zu verachten, aber in einem ist Wladimir Putin wirklich unschlagbar: bei der Inszenierung seiner Foto-Shootings. Die alljährlich vom Kreml veröffentlichten Serien sind quasi der Pirelli-Kalender des Politikbetriebs, nur dass hier das immer gleiche Modell abgelichtet wird und Plot und Szenerie nur leicht variieren: Der Protagonist (Putin) zeigt sich eins mit der heimischen Natur (vorzugsweise Sibirien) und noch recht gut in Schuss (in jeder Hinsicht).
Der Höhepunkt dieser Posen-Propaganda wurde bekanntlich 2017 erreicht, als sich der russische Präsident oben ohne im Sattel eines Pferdes und beim Fischen im Fluss der Öffentlichkeit präsentierte. Das hatte nichts mit dem turtelnden Planschen von Minister Scharping im Pool auf Mallorca gemein. Das war todernstes, testosterongeladenes Pin-up-Material. Eine russische Zeitung schrieb damals hingerissen: »Wer könnte diesen Torso nicht wählen?« Exakt die Lesart, die Putin in der Heimat erreichen wollte.
»Nach der Oben-Ohne-Nummer schien der Präsident sich in den folgenden, winterlichen Folgen etwas softer geben zu wollen. 2018 hielt er sogar verträumt einen Strauss Bergblümchen in der Hand«
Nicht, dass Politiker anderswo das nicht auch versuchen würden. Vielleicht setzen sie nicht ganz so plakativ ihren Oberkörper ein, aber herauskommen sollte am Ende natürlich das Gleiche, wenn Helmut Kohl sich mit seiner Hannelore und einem Rehkitz an der Nuckelflasche in den grünen Bergen fotografieren ließ, Helmut Schmidt mit Kapitänsmütze auf dem Segelboot posierte oder Markus Söder sich vor gut zehn Jahren als Umweltminister mit Angelkescher und nackten Füßen am See-Steg inszenierte. Längst suchen sie bei ihm im Team wahrscheinlich nach der perfekten Location für ein Kanzlerkandidaten-Shooting. Letztlich werden überall Momente eingefangen, um damit auf Wählerfang zu gehen.
Der Unterschied zu Putin ist, dass uns seine Fotostrecken nun schon sehr lange begleiten. Seine Model-Ära dauert bereits fast so lange wie die von Kate Moss. Hier entsteht gewissermaßen ein Œuvre mit eigener visueller Handschrift, das Stoff für ganze Proseminare liefert. Vor allem aber betreibt niemand seine Inszenierung so schamlos. Nach der Oben-Ohne-Nummer schien der Präsident sich in den folgenden, winterlichen Folgen etwas softer geben zu wollen. 2018 hielt er sogar verträumt einen Strauß Bergblümchen in der Hand. Dieses Jahr ist der Blick noch weich, aber die Pose schon wieder deutlich härter, und auch das Setting in der schneebedeckten Taiga erscheint, nun ja, frostiger.
»Mehr geheucheltes Lammfrommsein geht nicht«
Sind ja auch eben solche Zeiten: Das Verhältnis mit den USA ist deutlich abgekühlt, das mit Deutschland war auch schon mal besser, vor allem wegen der Verurteilung Alexej Nawalnys steht er weltweit in der Kritik. Vielleicht wird deshalb jetzt ikonografisch das ganz schwere Geschütz aufgefahren, das alle Zweifel an seiner Stärke buchstäblich niederwalzen soll: Eine Kreuzung aus Panzer und Schneemobil in Tarnfarben, vor dem der 68-Jährige posiert wie ein Fußballer mit seinem Ferrari.
Undenkbar, dass Emmanuel Macron oder Boris Johnson (obwohl...) sich ernsthaft so ablichten ließen. Bei Putin hingegen ist die Komposition so erwartbar, dass sie schon wieder perfekt ins Bild passt. Auf gut der Hälfte der Bilder trägt er eine teure Lammfell-Kombination mit Pelz-Kapuze, darunter einen weißen Rolli, an den Füßen Lammfell-Puschen, und gelegentlich drückt er seine Lammfellmütze in den Händen sanft an die Brust. Mehr geheucheltes Lammfrommsein geht nicht.
In einer Szene sieht man ihn mit seinem – im Partnerlook gekleideten – Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei der Rast. Sie essen Salat und Wurst, trinken aus Metallbechern und sitzen trotz der eisigen Temperaturen auf Fellen draußen an der frischen Luft. Kälte? Welche Kälte? Fast ein Brokeback-Mountain-Moment, nur in der Despoten-Gruselversion. Im Grunde wirkt Putin auf all diesen Fotos längst wie eine Karikatur seiner selbst, aber scheint so sehr hinter dieser Inszenierung zu stehen, dass all die Memes da draußen einfach daran abprallen.
Lediglich ein Bild der neuen Reihe fällt thematisch ein bisschen aus dem Rahmen. Darauf sind Putin und Shoigu in einem äußerst gut bestückten Holzfällerschuppen zu sehen. Vor ihnen auf dem Tisch liegt eine große Wurzel, die sie bestaunen und betätscheln wie einen großen Schinken. Ist erlegtes Wild selbst in Russland nicht mehr mit dem Zeitgeist vereinbar? Oder soll hier explizit dem Geist des Waldes gehuldigt werden? So oder so, trauen sollte man auch diesem Braten nicht.
Typischer Instagram-Kommentar: »Put-in ist das neue Pin-up!«
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