Guten Freunden gibt man kein Küsschen

Unserer Leserin ist die Bussi-Bussi-Begrüßung in ihrem Bekanntenkreis unagenehm - wie entgeht sie diesen Ritualen ohne unfreundlich zu sein? 

Illustration: Serge Bloch

»Leider hat sich die Unsitte, bei vielen Gelegenheiten Küsschen links – Küsschen rechts zu geben, sehr verbreitet. Dies wird sogar manchmal unter flüchtigen Bekannten praktiziert. Mir ist das sehr unangenehm und peinlich, ich möchte von niemandem mit diesem Bussi-Bussi-Getue begrüßt oder verabschiedet werden. Wie kann ich mich dem entziehen, ohne unhöflich zu sein?« Hannelore H., München

Ich stelle Sie mir gerade in Frankreich vor: Große Abendessens-Einladung, Sie leicht verspätet, man sitzt schon bei Tisch, zwölf oder, sagen wir, 14 Personen. Willkommen in Ihrem persönlichen Albtraum. Denn glauben Sie nicht, Sie kämen hier mit Winken durch. Die zwölf bis 14 Personen gehören jeder einzeln geküsst, und zwar rechts und links, und ist es nicht rührend, dass den Franzosen das nicht das Geringste ausmacht? Ist ja viel zeitaufwendiger als Zurückwinken. Aber es gehört einfach dazu. So wie bei uns das, wenn man es mal bedenkt, doch recht dämliche Händeschütteln. (Hand okay, aber schütteln?)

Wäre es nicht praktischer – und sogar noch distanzierter –, wir würden einander stattdessen kurz mit der Fußspitze antippen? In Berlin gibt es einen bekannten Griesgram, der geht noch weiter als Sie. Küsse: sowieso nicht, aber die Hand gibt er eben auch nicht. Wann immer sich ihm jemand mit ausgestreckter Hand nähert, weicht er schreckhaft zurück, und zwar mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er den Teufel gesehen. Auf diese Weise kommt er sogar um lästigen Small Talk herum: »Oh, sind Sie erkältet?« – »Nein, aber ich möchte es auch nicht werden.« Small Talk beendet, und er hat wieder seine Ruhe.

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So könnten Sie es auch machen, denn Sie wissen natürlich, dass beim Händeschütteln viel mehr Bakterien und Viren übertragen werden als beim Küssen. Eine Stufe drunter: der Person, die mit geschürzten Lippen auf sie zukommt, beherzt die Hand entgegenstrecken. Diese Geste si­gnalisiert in dem sozialen Ballett, das wir alle täglich tanzen und das zum Beispiel verhindert, dass wir auf dem Bürgersteig umgerannt werden, zumindest außerhalb von Berlin, dass Sie nicht geküsst, sondern lieber mit Händeschütteln begrüßt werden wollen. Wer dies nicht versteht, hat Pro­bleme, die Sie nicht lösen können.