Schluss mit der Gentrifizierung von Campingplätzen

Zelten war gestern: Heute wohnt man beim Camping in Mobile Homes, Eco-Lodges und Luxus-Baumhäusern. Das mag bequemer sein – aber der ursprüngliche Sinn des Zeltens geht verloren, warnt unsere Autorin. 

Stopp! Bitte nicht noch mehr Pseudo-Bohème auf Campingplätzen

Foto: Ben McCanna/Portland Press Herald via Getty Images

Im ersten Sommerurlaub mit meinem Freund unternahm ich einen Roadtrip entlang der italienischen und französischen Riviera, im Kofferraum: zwei Sporttaschen und ein 2-Mann-Wurfzelt. Für alle Nicht-Camper: Das sind Zelte, die man nach dem Herausnehmen aus der Tasche so aufspringen lassen kann, dass danach nur noch die Heringe in der Erde zu befestigen sind. Es war der erste Campingurlaub meines Lebens.

Fast jede Nacht schliefen wir woanders. Genua, Portofino, San Remo, Monaco, Nizza, Hyères – unsere Suite to go war so klein und niedrig, dass Leute, die auf den Campingplätzen daran vorbeiliefen, sie als »süß« bezeichneten, sie zeigten mit dem Finger darauf und einmal, an der Côte d'Azur, blieb unser Nachbar, der mit seiner Familie eine tunnelartige Raumstation bewohnte, stehen und fragte, wie man denn darin! bitte! ernsthaft! zu zweit schlafen könnte. Wir lächelten ihn an wie Sieger.

Eines Nachts hörten wir, wie der Mann seinen beiden Kindern im Zelt Geschichten vorlas. Die Taschenlampe tänzelte an der Zeltdecke, die Kinder kicherten, die Grillen zirpten. Es war so romantisch, ein Moment so Eins-mit-der-Welt, wie wir ihn nie in einem Hotel hätten erleben können. Von da an liebte ich Zelten. Aber wie bei Spätberufenen und Konvertiten so üblich, wurde ich sofort zum Camping-Fundamentalisten.

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In den drei Urlauben, die auf den Riviera-Roadtrip folgten, stellte ich vor allem eines fest: Camping im Sinne von Zelten ist eine nostalgische Idee, die mit der Realität nur noch wenig zu tun hat. Denn Campingplätze in Kroatien, Frankreich, Italien und Österreich sind einem Prozess unterworfen, den man durchaus als Gentrifizierung bezeichnen kann: Sie motzen sich auf, werden teurer und vertreiben die Ureinwohner.

Hier ein neuer, größerer Pool oder gleich ein Wasserpark aus bunten Kunststoff-Röhren, da ein Animationsprogramm; hier eine Eco-Lodge auf Stelzen, da ein Luxus-Baumhaus in zehn Metern Höhe; hier ein Panorama-Bungalow, da ein Hipster-Tipi. Camping heißt jetzt Glamping. Doch glamourös ist nichts daran, vor allem nicht an den allgegenwärtigen Armee-Reihen voller Mobile Homes.

Klar, die standardisierten Unterkünfte, die vor allem junge Familien ansprechen sollen, sind mit 50-120 Euro pro Person und Nacht für Zeltplatzbetreiber lukrativer als ein bescheidener Zeltplatz ohne Stromanschluss, der meist um die zwanzig Euro kostet. Und so stellt man halt noch eine Reihe Instant-Hüttchen auf – die Fläche für einfache Zelte und Individualcamper wird so immer kleiner. Betriebswirtschaftlich ist das sicher total vernünftig, aber das Ergebnis hat nur nichts mehr mit Camping zu tun.

Campingplätze – einst ein verwinkeltes Gewirr von Wohnwägen, bunten Zelten und VW-Bussen – sehen immer mehr aus wie amerikanische Vorstädte: baugleiche Häuschen, dutzendfach aneinandergereiht, ein Wegwerf-Feriendorf aus Plastik und Blech. Diese Dinger tun pittoresk mit ihren Veranden und Fensterläden, aber in Wahrheit sind sie Strom- und CO2-Schleudern: Denn sie verfügen über Klimaanlagen, Heizlüfter, Waschmaschinen, Küchen und bezogene Betten. In Sexten, Südtirol, gibt es einen Camping-Caravan-Park, der sogar einen Wellness-Bereich hat.

Nun muss man sagen: Die Gartenzwerg-Dauercamper-Fraktion gab es als Antagonisten zu den Zelt-Campern ja immer. Mein Freund und ich nannten ihre Vertreter seit unserem Riviera-Urlaub genre-übergreifend »Jürgen«, weil sie auffallend oft weiße Jürgen-von-der-Lippe-Bärte trugen.

Die Wohnwagen-Jürgens waren der etwas schrullige aber im Grunde harmlose Gegenentwurf zu uns: Wir bewunderten ihre Hingabe, es sich mit Nippes behaglich zu machen, kicherten über ihr Hausschuh-Regal am Wohnwagen-Eingang, schüttelten den Kopf über ihre Küchenpavillons, in denen an Haken Pfannen in verschiedenen Größen hingen. Tss, wer braucht diesen Firlefanz, sagten wir und kochten ein Drei-Gänge-Menü mit zwei Gabeln und einem Topf.

Wir und die, das war minus und plus, yin und yang - das Universum Campingplatz befand sich im Gleichgewicht.

Das Wurfzelt der Autorin auf einem Campingplatz am Mont Blanc in diesem Sommer

Foto: privat

Doch seit Campingplätze in ganz Europa sich zu Low-budget-Freizeitparks aufrüsten, ist das Gefüge aus der Balance. So nachvollziehbar die praktische und günstige Alternative zum Hotel für Familien im Einzelnen sein mag (wir haben selbst etliche Freunde, die mit ihrem Nachwuchs diese Form von Urlaub praktizieren und sie alle setzen gern zu langen Rechtfertigungen an, warum sie dies tun) – hier wird schleichend etwas umfunktioniert, das einst ganz anders gedacht war, nämlich: umweltfreundlich, improvisiert und individuell.

Mir ist natürlich bewusst, dass der Kampf um die Deutungshoheit, was das »richtige« und »wahre« Campen ist, schon per se so spießig ist wie die Mobile Homes selbst. Aber ich frage mich trotzdem, woher die irrige Annahme kommt, das bisherige Campen sei etwas, das es aufzuwerten oder zu optimieren gilt.

Wenn man vom Camping die Unwägbarkeiten nimmt, was bleibt dann noch? Ein normierter Urlaubsspaß, in dem man nachts keine Grillen hört.

Alles steht bezugsfertig da, keine Leine ist zu spannen, kein Stuhl aufzuklappen, keine Matratze aufzublasen. Falls das gerade wehmütig klingt – genau das soll es: Denn diese vermeintlich lästigen Aufgaben, das weiß jeder Camper, sind das Elixier des Campens. Der Sinn des Camping-Urlaubs besteht im Campen selbst: im nie endenden Auspacken, Aufstellen, Holen, Tragen, Wegbringen, Abbauen. Der Baumarkt-Slogan »Es gibt immer was zu tun« ist in Wahrheit ein Camping-Slogan. Mist, wir haben keinen Gummihammer dabei. Ich probiers mal mit den Taucherflossen. Aus nix was zaubern: das ist Zelten.

Einmal, als es regnete und sich mein Gesicht analog zur Farbe des Himmels verfinsterte, beschloss mein Freund, weil er mich noch in der fragilen Phase wähnte, in der ein frühes Camping-Trauma meine anfängliche Euphorie hätte zerstören können, eine Plane über unseren  Zeltplatz zu spannen. Anfangs lies ich destruktive Kommentare wie »wo willst du die denn bitte befestigen?« in seine Richtung ab. Doch wenig später saß ich stumm und zufrieden mit einem sehr stolzen Mann im Trockenen und spielte Schach.

Apropos Wetter: Die Art, wie man wohnt, beeinflusst auch, wie man das Wetter wahrnimmt: Für die Mobile-Home-Fraktion sind zwei Tage grauer Himmel und kühler Wind ein weit größeres Problem als für die Camping-Puristen. Das war zumindest in diesem Sommer auf einem französischen Campingplatz am Atlantik mein Eindruck. Immer wenn ich an der Vorstadtsiedlung vorbeispazierte, um meinen Waschbeutel von A nach B zu tragen, lief ich durch einen Nebel aus Frust und Aggression. Weil man ja mehrere hunderte Euro für eine Woche in so einem Mobile Home bezahlt hat. Weil man ja »Sommer« gebucht hat.

Und was ist das für eine Message an die Kinder: Klar, es gibt auf Campingplätzen auch verrückte Hippies, die alles selber aufbauen, früher haben wir das auch gemacht, aber viel cooler und moderner ist die Fertighaus-Lösung?

Liebe Glamper: Erst wenn das letzte Zelt von einem Mobile Home verdrängt wurde, werdet ihr sehen, dass wenig auf der Welt so belebend und sinnstiftend ist, wie nachts um drei mit der Taucherflosse einen Ablauf-Graben um das Zelt zu buddeln, damit es nicht weg geschwemmt wird.