Wie erklärt man einem Vierjährigen, das geliebte Spanien-Trikot besser erst mal nicht mehr anzuziehen? Montags ist Fußballtraining, Montagmorgen dürfen die Kinder deshalb immer ein Sporthemd anziehen, dieser Montag allerdings ist der Tag nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien.
Die spanische Zentralregierung hatte 5000 Nationalpolizisten in die Provinz geschickt, um die Abstimmung zu verhindern. Sie setzten Gummigeschosse und Schlagstöcke ein gegen meist friedliche Bürger, am Ende gab es mehrere Hundert Verletzte, darunter viele alte Leute. Jeder hat die Videos gesehen, jeder Geschichten gehört wie diese, dass einer Frau beim Versuch zu wählen, jeder Finger einzeln gebrochen und sie dann noch begrabscht wurde.
»Weißt du, Spanien hat gerade nicht so einen guten Ruf«, versuche ich nebulös zu erklären. »Nimm lieber das Frankreich-Trikot vom Griezmann. Oder Italien.« – »Aber Mama, Spanien ist doch eine voll gute Mannschaft!«, sagt das Kind und zieht das rote Leibchen wieder aus der Schublade. »Ja, stimmt, aber die Spanier haben sich nicht gut benommen, die sind heute keine gute Wahl.« Damit ist zumindest die Trikotfrage erst mal vom Tisch. Wie konnte es so weit kommen?
Bis vor ein paar Wochen habe ich jedem gesagt, der sich entfernt an dieses für Anfang Oktober geplante Unabhängigkeitsbegehren erinnerte, da sei die Luft raus, kaum einer redete noch davon. Dann passierte am 17. August der Terroranschlag auf der Rambla. Gut zehn Tage später gingen die Leute auf die Straße, um den »Mossos«, der katalanischen Regionalpolizei, und den Sanitätern symbolisch zu danken. Eine großartige Geste, wie ich fand, wie ich überhaupt so oft die soziale Intelligenz der Leute hier bewundere. Aber dann waren da auf der Straße massenhaft Demonstranten mit der »Estelada« unterwegs, der katalanischen Unabhängigkeitsfahne, weil der spanische König und Regierungschef Mariano Rajoy ebenfalls gekommen waren. Ich fand es geschmacklos, die Dinge zu vermischen. Wir gingen wieder nach Hause und wussten an diesem Nachmittag: die »Independencia« war nicht tot. Sie ging erst richtig los.
Seit Razzien und Festnahmen bei der Regionalregierung am 20. September steigen jeden Abend um Punkt 22 Uhr die Leute auf die Balkone und klopfen auf Töpfe und Pfannen. Die Katalanen wollen sich endlich Gehör verschaffen, ihr Recht auf Wahlfreiheit und einen eigenen Staat einfordern. Warum noch mal? Die geschichtlichen Ereignisse dazu sind kompliziert – schon je nachdem welchen Radiosender man hier einschaltet, ist die Autonomie historisch gesehen total klar oder total absurd. Was immerhin außer Frage steht, ist, dass die wirtschaftlich so starke Region bei der Verteilung der Haushaltsmittel vergleichsweise kurz gehalten wird, während das Baskenland steuerliche Autonomie genießt.
Länderfinanzausgleich, schwieriges Thema, kennt man aus Deutschland. »Die Bayern fühlen sich im Grunde ja auch als eigener Staat und machen sich nicht gleich unabhängig«, sagen meine deutschen Freunde dann immer. Woraufhin ich antworte: »Aber die Bayern jubeln, wenn die deutsche Nationalmannschaft gewinnt. Die Katalanen freuen sich, wenn die spanische verliert.« Trotzdem gibt es immer noch viele in unserem bunt gemischten, aber eben auch teils katalanischen Freundeskreis, die zwar eine Abstimmung für legitim, eine Abspaltung aber für falsch hielten. Lass die Leute doch wählen, es kommt sowieso keine Mehrheit dabei heraus, sagten die meisten. Es geht doch nur darum, ein Zeichen zu setzen.
Doch anstatt dieses »illegale« Referendum einfach zu ignorieren, weil egal welches Ergebnis, wie Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy roboterhaft wiederholte, ja nun mal verfassungswidrig sei, schickte er die Guardia Civil. Diplomatisch hochmodern. Der Rest ist bekannt. Wer vorher nicht für die Unabhängigkeit war, ist es zumindest jetzt ein bisschen mehr. Und zum ersten Mal kann ich die Katalanen sogar verstehen.
Die Lage auf den Straßen sieht jetzt ungefähr so aus: Überall sieht man Grüppchen von Menschen, die die Köpfe zusammenstecken und über die Ereignisse des letzten Tages diskutieren. Oder sie reden über die, die ihnen heute bevorstehen: Für den heutigen 3. Oktober wurde zum Generalstreik aufgerufen. Die Schulen öffnen mit einer Notbesetzung, eine Lehrkraft für sechs Klassen. Wer kann, bringt die Kinder zu den Großeltern. Eine Freundin sagt, sie schicke ihren Sohn trotzdem, weil ihr Chef zwar gesagt habe, es stehe jedem frei zu fehlen, aber natürlich unbezahlt, so ist die Gesetzeslage. Ihr Mann schreibt per WhatsApp, das komme überhaupt nicht in Frage. Wie das denn aussehe, wenn sie als Katalanen quasi den Streik boykottierten? Was dann die anderen Eltern sagen! Meine Freundin antwortet: »Ach so, dann bin ich keine gute Katalanin mehr, oder was?«
Ich habe immer gedacht, zivilisierte Gesellschaften ließen sich nicht mehr so leicht gegeneinander aufbringen. Noch geht hier auch keiner auf den anderen los, die Katalanen blieben bis jetzt bewundernswert ruhig, aber Leute verlassen WhatsApp-Gruppen, weil sie irgendwem zu Pro oder zu Contra bei der Unabhängigkeit sind. Der Katalane, und damit immer noch spanische Nationalspieler, Gerard Piqué wird beim Training der Nationalmannschaft am Montag in Madrid von den Fans wüst beschimpft. Am Sonntag war er vor laufenden Kameras in Tränen ausgebrochen, weil ihn die Ereignisse in seiner Heimatstadt Barcelona sichtlich bewegten.
Während sich das Ausland ziemlich einig ist, dass Ministerpräsident Rajoy eine so jämmerliche wie fatale Figur abgibt, hält sich die Empathie für die Verletzten aus dem »eigenen« Land in Grenzen. Viele Spanier sind offensichtlich der Meinung, dass die Katalanen genau diese Behandlung verdienen. Da die Machos, hier die Aufmüpfigen.
Wie geht das noch zusammen? Selbst wenn die Unabhängigkeit am Ende doch nicht durchkommt, zieht sich schon jetzt ein Riss durchs Land, der mich unglaublich traurig macht, weil es womöglich nicht mehr das Land ist, das ich kennen und lieben gelernt habe. Beide Seiten sind Schuld am Konflikt, das wissen alle, aber kein Politiker will es öffentlich zugeben. Aufeinander zugehen wollen die Parteien schon mal gar nicht. Wirklich rührend, dass wir unseren Kindern ständig vorbeten, sie sollten Konflikte mit Worten lösen, wenn es die Erwachsenen selbst nicht hinkriegen.
»Mama, werden die Spanier jetzt an andere Vereine verkauft, weil sie sich so schlecht benommen haben?«, fragte der Vierjährige vorm Einschlafen. Ich würde ihm so gern alles im Leben einfach über den Fußball erklären, aber ich fürchte, hier kommen wir damit nicht mehr weiter.
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Fotos: dpa